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Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814.

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derstehliche Lust zum Morden nach und nach aus ei-
nem niemals durch gute Vorsätze unterdrückten Hang
zum Jähzorn entstanden. Dagegen hatte eine gewisse
nun verstorbene Dame, deren Geschichte mir wohl
bekannt ist, so lange sie unverheirathet war, unter die
Empfindsamen ihrer Zeit gehört, und dennoch warf sie,
aus unglaublicher Verkehrtheit, auf ihren eigenen erstge-
bornen Sohn, einen solchen Haß, daß sie ihn mehr
als einmal mit ganz kühlem Vorsatze ermorden wollte,
bis man ihn zuletzt mit Gewalt der täglichen Grau-
samkeit seiner Mutter entriß, und in fremde Hände
gab. Der Vorwand jenes unnatürlichen Hasses war:
daß das Kind ihrem schlimmsten Feinde ähnlich sey,
und ich will nicht untersuchen, von welcher andern
(unrechtmäßigen) Leidenschaft jene unnatürliche die
Folge war. Aehnliche Geschichten haben uns die
Aerzte mehrere aufbewahrt. *)

Je-
*) In den Zuständen des Somnambulismus beobachtet
man häusig, daß die Kranken einen lebhaften Wider-
willen gerade gegen jene Personen äußern, die ihnen
sonst die nächsten und liebsten sind. Auch in der Me-
lancholie und im Wahnsinn ist gerade diese Verkehrt-
heit recht häuflg. Die Geschichte eines wohlüberlegten
Mordes, den eine, übrigens vernünftig scheinende
Schwangere an ihrem Mann beging, zu dessen Fleisch
sie einen unwiderstehlichen Appetit bekommen, steht
bey Reil S. 394. Die Unglückliche salzte noch das
Fleisch des Ermordeten ein, um recht lange daran zu
haben. Auch solche Beobachtungen erinnern an den
Schwedenborgischen Satz, daß in jener Welt wollüsti-
ge Liebe sich in Lust sich gegenseitig zu morden ver-

derſtehliche Luſt zum Morden nach und nach aus ei-
nem niemals durch gute Vorſaͤtze unterdruͤckten Hang
zum Jaͤhzorn entſtanden. Dagegen hatte eine gewiſſe
nun verſtorbene Dame, deren Geſchichte mir wohl
bekannt iſt, ſo lange ſie unverheirathet war, unter die
Empfindſamen ihrer Zeit gehoͤrt, und dennoch warf ſie,
aus unglaublicher Verkehrtheit, auf ihren eigenen erſtge-
bornen Sohn, einen ſolchen Haß, daß ſie ihn mehr
als einmal mit ganz kuͤhlem Vorſatze ermorden wollte,
bis man ihn zuletzt mit Gewalt der taͤglichen Grau-
ſamkeit ſeiner Mutter entriß, und in fremde Haͤnde
gab. Der Vorwand jenes unnatuͤrlichen Haſſes war:
daß das Kind ihrem ſchlimmſten Feinde aͤhnlich ſey,
und ich will nicht unterſuchen, von welcher andern
(unrechtmaͤßigen) Leidenſchaft jene unnatuͤrliche die
Folge war. Aehnliche Geſchichten haben uns die
Aerzte mehrere aufbewahrt. *)

Je-
*) In den Zuſtaͤnden des Somnambulismus beobachtet
man haͤuſig, daß die Kranken einen lebhaften Wider-
willen gerade gegen jene Perſonen aͤußern, die ihnen
ſonſt die naͤchſten und liebſten ſind. Auch in der Me-
lancholie und im Wahnſinn iſt gerade dieſe Verkehrt-
heit recht haͤuflg. Die Geſchichte eines wohluͤberlegten
Mordes, den eine, uͤbrigens vernuͤnftig ſcheinende
Schwangere an ihrem Mann beging, zu deſſen Fleiſch
ſie einen unwiderſtehlichen Appetit bekommen, ſteht
bey Reil S. 394. Die Ungluͤckliche ſalzte noch das
Fleiſch des Ermordeten ein, um recht lange daran zu
haben. Auch ſolche Beobachtungen erinnern an den
Schwedenborgiſchen Satz, daß in jener Welt wolluͤſti-
ge Liebe ſich in Luſt ſich gegenſeitig zu morden ver-
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[122/0132] derſtehliche Luſt zum Morden nach und nach aus ei- nem niemals durch gute Vorſaͤtze unterdruͤckten Hang zum Jaͤhzorn entſtanden. Dagegen hatte eine gewiſſe nun verſtorbene Dame, deren Geſchichte mir wohl bekannt iſt, ſo lange ſie unverheirathet war, unter die Empfindſamen ihrer Zeit gehoͤrt, und dennoch warf ſie, aus unglaublicher Verkehrtheit, auf ihren eigenen erſtge- bornen Sohn, einen ſolchen Haß, daß ſie ihn mehr als einmal mit ganz kuͤhlem Vorſatze ermorden wollte, bis man ihn zuletzt mit Gewalt der taͤglichen Grau- ſamkeit ſeiner Mutter entriß, und in fremde Haͤnde gab. Der Vorwand jenes unnatuͤrlichen Haſſes war: daß das Kind ihrem ſchlimmſten Feinde aͤhnlich ſey, und ich will nicht unterſuchen, von welcher andern (unrechtmaͤßigen) Leidenſchaft jene unnatuͤrliche die Folge war. Aehnliche Geſchichten haben uns die Aerzte mehrere aufbewahrt. *) Je- *) In den Zuſtaͤnden des Somnambulismus beobachtet man haͤuſig, daß die Kranken einen lebhaften Wider- willen gerade gegen jene Perſonen aͤußern, die ihnen ſonſt die naͤchſten und liebſten ſind. Auch in der Me- lancholie und im Wahnſinn iſt gerade dieſe Verkehrt- heit recht haͤuflg. Die Geſchichte eines wohluͤberlegten Mordes, den eine, uͤbrigens vernuͤnftig ſcheinende Schwangere an ihrem Mann beging, zu deſſen Fleiſch ſie einen unwiderſtehlichen Appetit bekommen, ſteht bey Reil S. 394. Die Ungluͤckliche ſalzte noch das Fleiſch des Ermordeten ein, um recht lange daran zu haben. Auch ſolche Beobachtungen erinnern an den Schwedenborgiſchen Satz, daß in jener Welt wolluͤſti- ge Liebe ſich in Luſt ſich gegenſeitig zu morden ver-

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Zitationshilfe: Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_symbolik_1814/132>, abgerufen am 24.11.2024.