zuletzt das Böse eben so gleichgültig geworden, als ihm das Gute schon längst gewesen, -- für Tugend halten. Vielmehr reden wir hier von jener Verwand- lung des ganzen inneren Wesens, welche unveränder- lich durch das ganze Leben hindurch fortdauert, und wodurch alle Neigungen des Menschen auf einmal eine neue, veredelte Richtung annehmen. Alle jene, vorhin sinnlichen Neigungen, zeigen sich jetzt durch ei- ne neue, höhere Liebe, deren Gegenstand ein geisti- ger und göttlicher ist, verdrängt, und selbst in jene Naturen, die vorhin ganz Sclaven ihrer Sinnlichkeit waren, gelangt der bessere Wille auf einmal zur schwe- ren Selbstbeherrschung. Eine solche Seele findet in keinem Besitz mehr Genüge, als in dem ihrer Liebe, und dieses Besitzes gewiß, bleibt sie bey allem andern äußern und innern Wechsel ruhig, vermag wie jener König in Bettlerlumpen Gott zu loben, wenn sie friert und wenn sie hungert *) und gern und fröhlich em- pfängt sie aus der Hand ihrer Liebe auch das Bitter- ste. Wie schon ein von sinnlicher Liebe ergriffener Mensch, mit seiner Neigung auch alles das umfasset, was mit dem Gegenstand seiner Liebe in Beziehung steht und was dieser in sich begreift; so öffnet auf ei- ne noch viel höhere Weise die Liebe zu einem Ge- genstand, welcher die ganze Welt in sich begreifet, das Herz einer reinen Bruderliebe, die auch den herzlich umfaßt, von dem sie sich gehasset weiß. Zugleich ist jene höchste Liebe ein Spiegel, worinnen die Seele
sich
*) Taubers Medulla animae, Cap. 66.
zuletzt das Boͤſe eben ſo gleichguͤltig geworden, als ihm das Gute ſchon laͤngſt geweſen, — fuͤr Tugend halten. Vielmehr reden wir hier von jener Verwand- lung des ganzen inneren Weſens, welche unveraͤnder- lich durch das ganze Leben hindurch fortdauert, und wodurch alle Neigungen des Menſchen auf einmal eine neue, veredelte Richtung annehmen. Alle jene, vorhin ſinnlichen Neigungen, zeigen ſich jetzt durch ei- ne neue, hoͤhere Liebe, deren Gegenſtand ein geiſti- ger und goͤttlicher iſt, verdraͤngt, und ſelbſt in jene Naturen, die vorhin ganz Sclaven ihrer Sinnlichkeit waren, gelangt der beſſere Wille auf einmal zur ſchwe- ren Selbſtbeherrſchung. Eine ſolche Seele findet in keinem Beſitz mehr Genuͤge, als in dem ihrer Liebe, und dieſes Beſitzes gewiß, bleibt ſie bey allem andern aͤußern und innern Wechſel ruhig, vermag wie jener Koͤnig in Bettlerlumpen Gott zu loben, wenn ſie friert und wenn ſie hungert *) und gern und froͤhlich em- pfaͤngt ſie aus der Hand ihrer Liebe auch das Bitter- ſte. Wie ſchon ein von ſinnlicher Liebe ergriffener Menſch, mit ſeiner Neigung auch alles das umfaſſet, was mit dem Gegenſtand ſeiner Liebe in Beziehung ſteht und was dieſer in ſich begreift; ſo oͤffnet auf ei- ne noch viel hoͤhere Weiſe die Liebe zu einem Ge- genſtand, welcher die ganze Welt in ſich begreifet, das Herz einer reinen Bruderliebe, die auch den herzlich umfaßt, von dem ſie ſich gehaſſet weiß. Zugleich iſt jene hoͤchſte Liebe ein Spiegel, worinnen die Seele
ſich
*) Taubers Medulla animae, Cap. 66.
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zuletzt das Boͤſe eben ſo gleichguͤltig geworden, als
ihm das Gute ſchon laͤngſt geweſen, — fuͤr Tugend
halten. Vielmehr reden wir hier von jener Verwand-
lung des ganzen inneren Weſens, welche unveraͤnder-
lich durch das ganze Leben hindurch fortdauert, und
wodurch alle Neigungen des Menſchen auf einmal
eine neue, veredelte Richtung annehmen. Alle jene,
vorhin ſinnlichen Neigungen, zeigen ſich jetzt durch ei-
ne neue, hoͤhere Liebe, deren Gegenſtand ein geiſti-
ger und goͤttlicher iſt, verdraͤngt, und ſelbſt in jene
Naturen, die vorhin ganz Sclaven ihrer Sinnlichkeit
waren, gelangt der beſſere Wille auf einmal zur ſchwe-
ren Selbſtbeherrſchung. Eine ſolche Seele findet in
keinem Beſitz mehr Genuͤge, als in dem ihrer Liebe,
und dieſes Beſitzes gewiß, bleibt ſie bey allem andern
aͤußern und innern Wechſel ruhig, vermag wie jener
Koͤnig in Bettlerlumpen Gott zu loben, wenn ſie friert
und wenn ſie hungert *) und gern und froͤhlich em-
pfaͤngt ſie aus der Hand ihrer Liebe auch das Bitter-
ſte. Wie ſchon ein von ſinnlicher Liebe ergriffener
Menſch, mit ſeiner Neigung auch alles das umfaſſet,
was mit dem Gegenſtand ſeiner Liebe in Beziehung
ſteht und was dieſer in ſich begreift; ſo oͤffnet auf ei-
ne noch viel hoͤhere Weiſe die Liebe zu einem Ge-
genſtand, welcher die ganze Welt in ſich begreifet, das
Herz einer reinen Bruderliebe, die auch den herzlich
umfaßt, von dem ſie ſich gehaſſet weiß. Zugleich iſt
jene hoͤchſte Liebe ein Spiegel, worinnen die Seele
ſich
*) Taubers Medulla animae, Cap. 66.
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Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_symbolik_1814/183>, abgerufen am 18.07.2024.
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