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Schubert-Feder, Cläre: Das Leben der Studentinnen in Zürich. Berlin, 1894.

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amtlichen Ausweis über das zurückgelegte 18. Lebensjahr
noch eine Bürgschaft für eine bestimmte, wissenschaftliche
Vorbildung durch Zeugnisse oder zu bestehendes "Zu-
lassungsexamen". Die Verordnung erwähnt, übrigens in
völliger Gleichstellung, männliche und weibliche Studirende.
Das speciell auch an die Vorbildung der Frauen strengere
Anforderungen als vordem gestellt wurden, war von den
tüchtigeren Elementen der bereits immatriculirten Damen,
unter Führung von Fräulein Vögtlin, in besonderer Ein-
gabe ausdrücklich erbeten worden. Um die völlige Gleich-
stellung der weiblichen mit den männlichen Studirenden in
der angeführten Verordnung erwarb sich der damals
amtirende Regierungsrath und Erziehungsdirektor Sieber,
der stets ein Förderer strebsamer Frauen gewesen, dankens-
werthe Verdienste.

Erst nachdem jener vielbesprochene Ukas, der den meisten
Russinnen das Signal zur Abreise gab, ergangen war,
hob die gesunde Entwickelung des Frauenstudiums in Zürich
an. Aber wenn schon für eine Frau immer viel Muth
dazu gehörte, und voraussichtlich noch für eine lange Weile
gehören wird, ein regelrechtes Berufs-Studium an der
Universität durchzumachen, unmittelbar nach dem Jahre
1873 mußte er doppelt groß sein. Die Vorurtheile waren
allseitig himmelhoch gethürmt: nicht nur, daß der Wunsch
zu studiren in der eigenen Familie für durchaus verwerflich,
wenn's gut ging, für ein Zeichen hochgradiger Ueberspannt-
heit galt, daß Bekannte, daß die Gesellschaft das innige,
aus der Seele der Einzelnen keimende Verlangen, zu
wissen und mit dem Wissen zu nützen, schonungslos geißelte,
nein auch in Zürich, an der Universität, unter den Ein-
wohnern der Stadt selbst hatte die Voreingenommenheit
tiefe Wurzeln geschlagen, und man begegnete den studiren-

amtlichen Ausweis über das zurückgelegte 18. Lebensjahr
noch eine Bürgschaft für eine bestimmte, wissenschaftliche
Vorbildung durch Zeugnisse oder zu bestehendes „Zu-
lassungsexamen“. Die Verordnung erwähnt, übrigens in
völliger Gleichstellung, männliche und weibliche Studirende.
Das speciell auch an die Vorbildung der Frauen strengere
Anforderungen als vordem gestellt wurden, war von den
tüchtigeren Elementen der bereits immatriculirten Damen,
unter Führung von Fräulein Vögtlin, in besonderer Ein-
gabe ausdrücklich erbeten worden. Um die völlige Gleich-
stellung der weiblichen mit den männlichen Studirenden in
der angeführten Verordnung erwarb sich der damals
amtirende Regierungsrath und Erziehungsdirektor Sieber,
der stets ein Förderer strebsamer Frauen gewesen, dankens-
werthe Verdienste.

Erst nachdem jener vielbesprochene Ukas, der den meisten
Russinnen das Signal zur Abreise gab, ergangen war,
hob die gesunde Entwickelung des Frauenstudiums in Zürich
an. Aber wenn schon für eine Frau immer viel Muth
dazu gehörte, und voraussichtlich noch für eine lange Weile
gehören wird, ein regelrechtes Berufs-Studium an der
Universität durchzumachen, unmittelbar nach dem Jahre
1873 mußte er doppelt groß sein. Die Vorurtheile waren
allseitig himmelhoch gethürmt: nicht nur, daß der Wunsch
zu studiren in der eigenen Familie für durchaus verwerflich,
wenn's gut ging, für ein Zeichen hochgradiger Ueberspannt-
heit galt, daß Bekannte, daß die Gesellschaft das innige,
aus der Seele der Einzelnen keimende Verlangen, zu
wissen und mit dem Wissen zu nützen, schonungslos geißelte,
nein auch in Zürich, an der Universität, unter den Ein-
wohnern der Stadt selbst hatte die Voreingenommenheit
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[7/0010] amtlichen Ausweis über das zurückgelegte 18. Lebensjahr noch eine Bürgschaft für eine bestimmte, wissenschaftliche Vorbildung durch Zeugnisse oder zu bestehendes „Zu- lassungsexamen“. Die Verordnung erwähnt, übrigens in völliger Gleichstellung, männliche und weibliche Studirende. Das speciell auch an die Vorbildung der Frauen strengere Anforderungen als vordem gestellt wurden, war von den tüchtigeren Elementen der bereits immatriculirten Damen, unter Führung von Fräulein Vögtlin, in besonderer Ein- gabe ausdrücklich erbeten worden. Um die völlige Gleich- stellung der weiblichen mit den männlichen Studirenden in der angeführten Verordnung erwarb sich der damals amtirende Regierungsrath und Erziehungsdirektor Sieber, der stets ein Förderer strebsamer Frauen gewesen, dankens- werthe Verdienste. Erst nachdem jener vielbesprochene Ukas, der den meisten Russinnen das Signal zur Abreise gab, ergangen war, hob die gesunde Entwickelung des Frauenstudiums in Zürich an. Aber wenn schon für eine Frau immer viel Muth dazu gehörte, und voraussichtlich noch für eine lange Weile gehören wird, ein regelrechtes Berufs-Studium an der Universität durchzumachen, unmittelbar nach dem Jahre 1873 mußte er doppelt groß sein. Die Vorurtheile waren allseitig himmelhoch gethürmt: nicht nur, daß der Wunsch zu studiren in der eigenen Familie für durchaus verwerflich, wenn's gut ging, für ein Zeichen hochgradiger Ueberspannt- heit galt, daß Bekannte, daß die Gesellschaft das innige, aus der Seele der Einzelnen keimende Verlangen, zu wissen und mit dem Wissen zu nützen, schonungslos geißelte, nein auch in Zürich, an der Universität, unter den Ein- wohnern der Stadt selbst hatte die Voreingenommenheit tiefe Wurzeln geschlagen, und man begegnete den studiren-

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Zitationshilfe: Schubert-Feder, Cläre: Das Leben der Studentinnen in Zürich. Berlin, 1894, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubertfeder_studentinnen_1894/10>, abgerufen am 02.06.2024.