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Schuchardt, Hugo: Ueber die Lautgesetze. Gegen die Junggrammatiker. Berlin, 1885.

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Sehr selten gebrauchte Wörter bleiben zurück, sehr
häutig gebrauchte eilen voran; von beiden Seiten
also bilden sich Ausnahmen von den Lautgesetzen.
Es ist schon eine sehr alte Erfahrung dass in allen
Sprachen gerade die allergewöhnlichsten Wörter, von
denen man doch am Ersten Gehorsam gegen die
Lautgesetze erwarten sollte, am Meisten Neigung
zeigen sich von ihnen zu emancipiren, ja in Folge
dessen der Deutung zuweilen ernstliche Schwierigkeiten
bereiten (ich erinnere an die romanischen Wörter
für "gehen"); man hat sie mit der in raschem Um-
lauf befindlichen Scheidemünze verglichen, welche bald
ihr Gepräge einbüsst. Diese treffende Beobachtung
hat man in neuerer Zeit nicht weiter verfolgt, ja
man ignorirt sie meistens. Kruszewski hat allerdings
ausdrücklich hierauf hingewiesen; aber seine Andeu-
tungen befriedigen mich doch keineswegs. Er sagt:
"Wenn gosudar zu sudar und- schliesslich zu su wird,
babuska zu bauska, pravo zu pra, nasza mitosc zu
naszmosc, nasc, trzeba zu trza, podobno zu pono,
czioniek zu cziek, prosze pana zu pupana u. s. w., so
müssen wir im Auge behalten dass diese Wörter in
der Mehrzahl der Fälle rasch, ohne Accent, mit An-
lehnung an andere Wörter gesprochen werden." Alle
Sprachen liefern, besonders in Titeln und Begrüssungen,
Beispiele ähnlicher Art; ich erinnere an magy. ala
szolgaj
= alatos szolgaja, tejes oder tens = tekintetes,
span. usted = vuestra merced, vulgärdeutsch g'Morgen
u. s. w. In einigen Fällen liegt allerdings Enklisis
oder Proklisis vor; aber die Tonlosigkeit reicht in-
sofern nicht zur Erklärung aus als sich in den unbe-
tonten Silben einheitlicher Wörter nicht immer die
entsprechenden Veränderungen finden. Rum. una wird

Sehr selten gebrauchte Wörter bleiben zurück, sehr
häutig gebrauchte eilen voran; von beiden Seiten
also bilden sich Ausnahmen von den Lautgesetzen.
Es ist schon eine sehr alte Erfahrung dass in allen
Sprachen gerade die allergewöhnlichsten Wörter, von
denen man doch am Ersten Gehorsam gegen die
Lautgesetze erwarten sollte, am Meisten Neigung
zeigen sich von ihnen zu emancipiren, ja in Folge
dessen der Deutung zuweilen ernstliche Schwierigkeiten
bereiten (ich erinnere an die romanischen Wörter
für „gehen“); man hat sie mit der in raschem Um-
lauf befindlichen Scheidemünze verglichen, welche bald
ihr Gepräge einbüsst. Diese treffende Beobachtung
hat man in neuerer Zeit nicht weiter verfolgt, ja
man ignorirt sie meistens. Kruszewski hat allerdings
ausdrücklich hierauf hingewiesen; aber seine Andeu-
tungen befriedigen mich doch keineswegs. Er sagt:
„Wenn gosudaŕ zu sudaŕ und- schliesslich zu wird,
babuška zu bauška, pravo zu pra, nasza mitość zu
naszmość, naść, trzeba zu trza, podobno zu pono,
czíoniek zu czíek, proszę pana zu pŭpana u. s. w., so
müssen wir im Auge behalten dass diese Wörter in
der Mehrzahl der Fälle rasch, ohne Accent, mit An-
lehnung an andere Wörter gesprochen werden.“ Alle
Sprachen liefern, besonders in Titeln und Begrüssungen,
Beispiele ähnlicher Art; ich erinnere an magy. alá
szolgáj
= alátos szolgája, tejes oder téns = tekintetes,
span. usted = vuestra merced, vulgärdeutsch g'Morgen
u. s. w. In einigen Fällen liegt allerdings Enklisis
oder Proklisis vor; aber die Tonlosigkeit reicht in-
sofern nicht zur Erklärung aus als sich in den unbe-
tonten Silben einheitlicher Wörter nicht immer die
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[25/0037] Sehr selten gebrauchte Wörter bleiben zurück, sehr häutig gebrauchte eilen voran; von beiden Seiten also bilden sich Ausnahmen von den Lautgesetzen. Es ist schon eine sehr alte Erfahrung dass in allen Sprachen gerade die allergewöhnlichsten Wörter, von denen man doch am Ersten Gehorsam gegen die Lautgesetze erwarten sollte, am Meisten Neigung zeigen sich von ihnen zu emancipiren, ja in Folge dessen der Deutung zuweilen ernstliche Schwierigkeiten bereiten (ich erinnere an die romanischen Wörter für „gehen“); man hat sie mit der in raschem Um- lauf befindlichen Scheidemünze verglichen, welche bald ihr Gepräge einbüsst. Diese treffende Beobachtung hat man in neuerer Zeit nicht weiter verfolgt, ja man ignorirt sie meistens. Kruszewski hat allerdings ausdrücklich hierauf hingewiesen; aber seine Andeu- tungen befriedigen mich doch keineswegs. Er sagt: „Wenn gosudaŕ zu sudaŕ und- schliesslich zu sŭ wird, babuška zu bauška, pravo zu pra, nasza mitość zu naszmość, naść, trzeba zu trza, podobno zu pono, czíoniek zu czíek, proszę pana zu pŭpana u. s. w., so müssen wir im Auge behalten dass diese Wörter in der Mehrzahl der Fälle rasch, ohne Accent, mit An- lehnung an andere Wörter gesprochen werden.“ Alle Sprachen liefern, besonders in Titeln und Begrüssungen, Beispiele ähnlicher Art; ich erinnere an magy. alá szolgáj = alátos szolgája, tejes oder téns = tekintetes, span. usted = vuestra merced, vulgärdeutsch g'Morgen u. s. w. In einigen Fällen liegt allerdings Enklisis oder Proklisis vor; aber die Tonlosigkeit reicht in- sofern nicht zur Erklärung aus als sich in den unbe- tonten Silben einheitlicher Wörter nicht immer die entsprechenden Veränderungen finden. Rum. ună wird

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Zitationshilfe: Schuchardt, Hugo: Ueber die Lautgesetze. Gegen die Junggrammatiker. Berlin, 1885, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schuchardt_lautgesetze_1885/37>, abgerufen am 21.11.2024.