Gemüthsart der oberen und niederen Klassen sind schon ganz italienisch.
Den andern Tag (den 17. Sept.) fuhr ich von Roveredo ab. Man bleibt abermals, während einer Strecke, zwischen Gartenmauern eingeschlossen. Kömmt man aber ins Freye, so wird man sogleich von einem jener Schau- spiele überrascht, welche die Natur zuweilen in einer Anwandlung von Laune giebt, und die uns so groß, so erhaben scheinen, ihr aber so wenig kosten mögen. Man sieht eine star- rende, unfruchtbare Felsenrinde vor sich ausge- breitet, welche die deutlichsten Zeichen trägt, daß sie vormals in hochgewölbter Gestalt auf diesem Platze gestanden habe, durch irgend eine Kraft aber in ihren Grundfesten erschüt- tert und ausgedehnt, und so von oben herab in sich selbst zusammen gesunken und fast zur Fläche geworden sey. Sie zieht sich rechts bis zu der Etsch herab und ist links eine mä- ßige Anhöhe geblieben, deren Schichten, durch die erwähnte Kraft, langsam gehoben und auf
Gemuͤthsart der oberen und niederen Klaſſen ſind ſchon ganz italieniſch.
Den andern Tag (den 17. Sept.) fuhr ich von Roveredo ab. Man bleibt abermals, waͤhrend einer Strecke, zwiſchen Gartenmauern eingeſchloſſen. Koͤmmt man aber ins Freye, ſo wird man ſogleich von einem jener Schau- ſpiele uͤberraſcht, welche die Natur zuweilen in einer Anwandlung von Laune giebt, und die uns ſo groß, ſo erhaben ſcheinen, ihr aber ſo wenig koſten moͤgen. Man ſieht eine ſtar- rende, unfruchtbare Felſenrinde vor ſich ausge- breitet, welche die deutlichſten Zeichen traͤgt, daß ſie vormals in hochgewoͤlbter Geſtalt auf dieſem Platze geſtanden habe, durch irgend eine Kraft aber in ihren Grundfeſten erſchuͤt- tert und ausgedehnt, und ſo von oben herab in ſich ſelbſt zuſammen geſunken und faſt zur Flaͤche geworden ſey. Sie zieht ſich rechts bis zu der Etſch herab und iſt links eine maͤ- ßige Anhoͤhe geblieben, deren Schichten, durch die erwaͤhnte Kraft, langſam gehoben und auf
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Gemuͤthsart der oberen und niederen Klaſſen
ſind ſchon ganz italieniſch.
Den andern Tag (den 17. Sept.) fuhr ich
von Roveredo ab. Man bleibt abermals,
waͤhrend einer Strecke, zwiſchen Gartenmauern
eingeſchloſſen. Koͤmmt man aber ins Freye,
ſo wird man ſogleich von einem jener Schau-
ſpiele uͤberraſcht, welche die Natur zuweilen
in einer Anwandlung von Laune giebt, und
die uns ſo groß, ſo erhaben ſcheinen, ihr aber
ſo wenig koſten moͤgen. Man ſieht eine ſtar-
rende, unfruchtbare Felſenrinde vor ſich ausge-
breitet, welche die deutlichſten Zeichen traͤgt,
daß ſie vormals in hochgewoͤlbter Geſtalt auf
dieſem Platze geſtanden habe, durch irgend
eine Kraft aber in ihren Grundfeſten erſchuͤt-
tert und ausgedehnt, und ſo von oben herab
in ſich ſelbſt zuſammen geſunken und faſt zur
Flaͤche geworden ſey. Sie zieht ſich rechts
bis zu der Etſch herab und iſt links eine maͤ-
ßige Anhoͤhe geblieben, deren Schichten, durch
die erwaͤhnte Kraft, langſam gehoben und auf
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Neue Reise durch Italien" ist auch erschiene… [mehr]
Die "Neue Reise durch Italien" ist auch erschienen als 7. Heft der "Reise eines Livländers von Riga nach Warschau, durch Südpreußen, über Breslau [...] nach Bozen in Tyrol".
Schulz, Friedrich: Neue Reise durch Italien. Bd. 1, H. 1. Berlin, 1797, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_italien_1797/52>, abgerufen am 17.06.2024.
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