Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

außerhalb der Stadt." So sprach sie, und verhehlte nur
die Ermordung der Männer. Ihr erwiederte Jason:
"Königin, die Hülfe, die du uns Hülfsbedürftigen anbie¬
test, nehmen wir mit dankbarem Herzen an; wenn ich
meinen Genossen die Nachricht zurückgebracht habe, will
ich in eure Stadt zurückkehren, aber den Scepter und die
Insel behalte du selbst! Nicht als ob ich sie verachtete:
aber mich erwarten schwere Kämpfe im fernen Lande."
Jason reichte der königlichen Jungfrau die Hand zum
Abschiedsgruße, dann eilte er zurück ans Ufer. Bald
kamen auch die Frauen auf schnellen Wagen nach, mit
vielen Gastgeschenken. Ohne Mühe überredeten sie die
Helden, die ihres Führers Botschaft schon vernommen
hatten, die Stadt zu betreten und in ihren Häusern ein¬
zukehren. Jason nahm seine Wohnung in der Königs¬
burg selbst, die Andern da und dort; nur Herkules, der
Feind weibischen Lebens, blieb mit wenigen auserlesenen
Genossen zurück auf dem Schiffe. Jetzt füllten fröhliche
Mahlzeiten und Tänze die Stadt; duftiger Opferdampf
stieg zum Himmel; Einwohnerinnen und Gäste ehrten
den Schutzgott der Insel, Vulkanus, und Venus, seine Ge¬
mahlin. Von Tag zu Tag wurde die Abfahrt verscho¬
ben und noch lange hätten die Helden bei den freund¬
lichen Wirthinnen verweilt, wenn nicht Herkules vom
Schiffe herbeigekommen wäre und die Genossen, ohne der
Weiber Wissen, um sich versammelt hätte. "Ihr Elen¬
den" schalt er, "hattet ihr nicht genug Frauen im eigenen
Lande? seyd ihr der Hochzeit bedürftig hierhergekommen?
wollt ihr als Bauern zu Lemnos das Feld pflügen?
Freilich! ein Gott wird für uns das Vließ holen und
es uns zu Füßen, legen! Lieber lasset uns jeden in seine

7*

außerhalb der Stadt.“ So ſprach ſie, und verhehlte nur
die Ermordung der Männer. Ihr erwiederte Jaſon:
„Königin, die Hülfe, die du uns Hülfsbedürftigen anbie¬
teſt, nehmen wir mit dankbarem Herzen an; wenn ich
meinen Genoſſen die Nachricht zurückgebracht habe, will
ich in eure Stadt zurückkehren, aber den Scepter und die
Inſel behalte du ſelbſt! Nicht als ob ich ſie verachtete:
aber mich erwarten ſchwere Kämpfe im fernen Lande.“
Jaſon reichte der königlichen Jungfrau die Hand zum
Abſchiedsgruße, dann eilte er zurück ans Ufer. Bald
kamen auch die Frauen auf ſchnellen Wagen nach, mit
vielen Gaſtgeſchenken. Ohne Mühe überredeten ſie die
Helden, die ihres Führers Botſchaft ſchon vernommen
hatten, die Stadt zu betreten und in ihren Häuſern ein¬
zukehren. Jaſon nahm ſeine Wohnung in der Königs¬
burg ſelbſt, die Andern da und dort; nur Herkules, der
Feind weibiſchen Lebens, blieb mit wenigen auserleſenen
Genoſſen zurück auf dem Schiffe. Jetzt füllten fröhliche
Mahlzeiten und Tänze die Stadt; duftiger Opferdampf
ſtieg zum Himmel; Einwohnerinnen und Gäſte ehrten
den Schutzgott der Inſel, Vulkanus, und Venus, ſeine Ge¬
mahlin. Von Tag zu Tag wurde die Abfahrt verſcho¬
ben und noch lange hätten die Helden bei den freund¬
lichen Wirthinnen verweilt, wenn nicht Herkules vom
Schiffe herbeigekommen wäre und die Genoſſen, ohne der
Weiber Wiſſen, um ſich verſammelt hätte. „Ihr Elen¬
den“ ſchalt er, „hattet ihr nicht genug Frauen im eigenen
Lande? ſeyd ihr der Hochzeit bedürftig hierhergekommen?
wollt ihr als Bauern zu Lemnos das Feld pflügen?
Freilich! ein Gott wird für uns das Vließ holen und
es uns zu Füßen, legen! Lieber laſſet uns jeden in ſeine

7*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0125" n="99"/>
außerhalb der Stadt.&#x201C; So &#x017F;prach &#x017F;ie, und verhehlte nur<lb/>
die Ermordung der Männer. Ihr erwiederte Ja&#x017F;on:<lb/>
&#x201E;Königin, die Hülfe, die du uns Hülfsbedürftigen anbie¬<lb/>
te&#x017F;t, nehmen wir mit dankbarem Herzen an; wenn ich<lb/>
meinen Geno&#x017F;&#x017F;en die Nachricht zurückgebracht habe, will<lb/>
ich in eure Stadt zurückkehren, aber den Scepter und die<lb/>
In&#x017F;el behalte du &#x017F;elb&#x017F;t! Nicht als ob ich &#x017F;ie verachtete:<lb/>
aber mich erwarten &#x017F;chwere Kämpfe im fernen Lande.&#x201C;<lb/>
Ja&#x017F;on reichte der königlichen Jungfrau die Hand zum<lb/>
Ab&#x017F;chiedsgruße, dann eilte er zurück ans Ufer. Bald<lb/>
kamen auch die Frauen auf &#x017F;chnellen Wagen nach, mit<lb/>
vielen Ga&#x017F;tge&#x017F;chenken. Ohne Mühe überredeten &#x017F;ie die<lb/>
Helden, die ihres Führers Bot&#x017F;chaft &#x017F;chon vernommen<lb/>
hatten, die Stadt zu betreten und in ihren Häu&#x017F;ern ein¬<lb/>
zukehren. Ja&#x017F;on nahm &#x017F;eine Wohnung in der Königs¬<lb/>
burg &#x017F;elb&#x017F;t, die Andern da und dort; nur Herkules, der<lb/>
Feind weibi&#x017F;chen Lebens, blieb mit wenigen auserle&#x017F;enen<lb/>
Geno&#x017F;&#x017F;en zurück auf dem Schiffe. Jetzt füllten fröhliche<lb/>
Mahlzeiten und Tänze die Stadt; duftiger Opferdampf<lb/>
&#x017F;tieg zum Himmel; Einwohnerinnen und Gä&#x017F;te ehrten<lb/>
den Schutzgott der In&#x017F;el, Vulkanus, und Venus, &#x017F;eine Ge¬<lb/>
mahlin. Von Tag zu Tag wurde die Abfahrt ver&#x017F;cho¬<lb/>
ben und noch lange hätten die Helden bei den freund¬<lb/>
lichen Wirthinnen verweilt, wenn nicht Herkules vom<lb/>
Schiffe herbeigekommen wäre und die Geno&#x017F;&#x017F;en, ohne der<lb/>
Weiber Wi&#x017F;&#x017F;en, um &#x017F;ich ver&#x017F;ammelt hätte. &#x201E;Ihr Elen¬<lb/>
den&#x201C; &#x017F;chalt er, &#x201E;hattet ihr nicht genug Frauen im eigenen<lb/>
Lande? &#x017F;eyd ihr der Hochzeit bedürftig hierhergekommen?<lb/>
wollt ihr als Bauern zu Lemnos das Feld pflügen?<lb/>
Freilich! ein Gott wird für uns das Vließ holen und<lb/>
es uns zu Füßen, legen! Lieber la&#x017F;&#x017F;et uns jeden in &#x017F;eine<lb/>
<fw type="sig" place="bottom">7*<lb/></fw>
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[99/0125] außerhalb der Stadt.“ So ſprach ſie, und verhehlte nur die Ermordung der Männer. Ihr erwiederte Jaſon: „Königin, die Hülfe, die du uns Hülfsbedürftigen anbie¬ teſt, nehmen wir mit dankbarem Herzen an; wenn ich meinen Genoſſen die Nachricht zurückgebracht habe, will ich in eure Stadt zurückkehren, aber den Scepter und die Inſel behalte du ſelbſt! Nicht als ob ich ſie verachtete: aber mich erwarten ſchwere Kämpfe im fernen Lande.“ Jaſon reichte der königlichen Jungfrau die Hand zum Abſchiedsgruße, dann eilte er zurück ans Ufer. Bald kamen auch die Frauen auf ſchnellen Wagen nach, mit vielen Gaſtgeſchenken. Ohne Mühe überredeten ſie die Helden, die ihres Führers Botſchaft ſchon vernommen hatten, die Stadt zu betreten und in ihren Häuſern ein¬ zukehren. Jaſon nahm ſeine Wohnung in der Königs¬ burg ſelbſt, die Andern da und dort; nur Herkules, der Feind weibiſchen Lebens, blieb mit wenigen auserleſenen Genoſſen zurück auf dem Schiffe. Jetzt füllten fröhliche Mahlzeiten und Tänze die Stadt; duftiger Opferdampf ſtieg zum Himmel; Einwohnerinnen und Gäſte ehrten den Schutzgott der Inſel, Vulkanus, und Venus, ſeine Ge¬ mahlin. Von Tag zu Tag wurde die Abfahrt verſcho¬ ben und noch lange hätten die Helden bei den freund¬ lichen Wirthinnen verweilt, wenn nicht Herkules vom Schiffe herbeigekommen wäre und die Genoſſen, ohne der Weiber Wiſſen, um ſich verſammelt hätte. „Ihr Elen¬ den“ ſchalt er, „hattet ihr nicht genug Frauen im eigenen Lande? ſeyd ihr der Hochzeit bedürftig hierhergekommen? wollt ihr als Bauern zu Lemnos das Feld pflügen? Freilich! ein Gott wird für uns das Vließ holen und es uns zu Füßen, legen! Lieber laſſet uns jeden in ſeine 7*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/125
Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/125>, abgerufen am 23.11.2024.