abschüssig, da bedarf es gar sicherer Lenkung. Die Mee¬ resgöttin Thetis selbst, die mich dann in ihre Fluthen aufzunehmen bereit ist, pflegt alsdann zu befürchten, ich möchte in die Tiefe geschmettert werden. Dazu bedenke, daß der Himmel sich in beständigem Umschwunge dreht, und ich diesem reißenden Kreislaufe entgegen fahren muß. Wie vermöchtest du das, wenn ich dir auch meinen Wa¬ gen gäbe? Darum geliebter Sohn, verlange nicht ein so schlimmes Geschenk, und bessere deinen Wunsch, so lange es noch Zeit ist. Sieh mein erschrecktes Gesicht an. O könntest du durch meine Augen in mein sorgenvolles Va¬ terherz eindringen! Verlange, was du sonst willst von allen Gütern des Himmels und der Erde! Ich schwöre dir beim Styx, du sollst es haben! Was umarmst du mich mit solchem Ungestüm?"
Aber der Jüngling ließ mit Flehen nicht ab, und der Vater hatte den heiligen Schwur geschworen. So nahm er denn seinen Sohn bei der Hand und führte ihn zu dem Sonnenwagen, Vulkans herrlicher Arbeit. Achse, Deichsel und der Kranz der Räder waren von Gold, die Speichen Silber; vom Joche schimmerten Chrysolithen und Juwelen. Während Phaethon die herrliche Arbeit beherzt anstaunte, thut im gerötheten Osten die erwachte Morgenröthe ihr Purpurthor und ihren Vorsaal, der voll Rosen ist, auf. Die Sterne verschwinden allmählig, der Morgenstern ist der letzte, der seinen Posten am Him¬ mel verläßt, und die äußersten Hörner des Mondes ver¬ lieren sich am Rande. Jetzt giebt Phöbus den geflügel¬ ten Horen den Befehl, die Rosse zu schirren; und diese führen die gluthsprühenden Thiere, von Ambrosia gesät¬ tigt, von den erhabenen Krippen und legen ihnen herr¬
abſchüſſig, da bedarf es gar ſicherer Lenkung. Die Mee¬ resgöttin Thetis ſelbſt, die mich dann in ihre Fluthen aufzunehmen bereit iſt, pflegt alsdann zu befürchten, ich möchte in die Tiefe geſchmettert werden. Dazu bedenke, daß der Himmel ſich in beſtändigem Umſchwunge dreht, und ich dieſem reißenden Kreislaufe entgegen fahren muß. Wie vermöchteſt du das, wenn ich dir auch meinen Wa¬ gen gäbe? Darum geliebter Sohn, verlange nicht ein ſo ſchlimmes Geſchenk, und beſſere deinen Wunſch, ſo lange es noch Zeit iſt. Sieh mein erſchrecktes Geſicht an. O könnteſt du durch meine Augen in mein ſorgenvolles Va¬ terherz eindringen! Verlange, was du ſonſt willſt von allen Gütern des Himmels und der Erde! Ich ſchwöre dir beim Styx, du ſollſt es haben! Was umarmſt du mich mit ſolchem Ungeſtüm?“
Aber der Jüngling ließ mit Flehen nicht ab, und der Vater hatte den heiligen Schwur geſchworen. So nahm er denn ſeinen Sohn bei der Hand und führte ihn zu dem Sonnenwagen, Vulkans herrlicher Arbeit. Achſe, Deichſel und der Kranz der Räder waren von Gold, die Speichen Silber; vom Joche ſchimmerten Chryſolithen und Juwelen. Während Phaethon die herrliche Arbeit beherzt anſtaunte, thut im gerötheten Oſten die erwachte Morgenröthe ihr Purpurthor und ihren Vorſaal, der voll Roſen iſt, auf. Die Sterne verſchwinden allmählig, der Morgenſtern iſt der letzte, der ſeinen Poſten am Him¬ mel verläßt, und die äußerſten Hörner des Mondes ver¬ lieren ſich am Rande. Jetzt giebt Phöbus den geflügel¬ ten Horen den Befehl, die Roſſe zu ſchirren; und dieſe führen die gluthſprühenden Thiere, von Ambroſia geſät¬ tigt, von den erhabenen Krippen und legen ihnen herr¬
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0057"n="31"/>
abſchüſſig, da bedarf es gar ſicherer Lenkung. Die Mee¬<lb/>
resgöttin Thetis ſelbſt, die mich dann in ihre Fluthen<lb/>
aufzunehmen bereit iſt, pflegt alsdann zu befürchten, ich<lb/>
möchte in die Tiefe geſchmettert werden. Dazu bedenke,<lb/>
daß der Himmel ſich in beſtändigem Umſchwunge dreht,<lb/>
und ich dieſem reißenden Kreislaufe entgegen fahren muß.<lb/>
Wie vermöchteſt du das, wenn ich dir auch meinen Wa¬<lb/>
gen gäbe? Darum geliebter Sohn, verlange nicht ein ſo<lb/>ſchlimmes Geſchenk, und beſſere deinen Wunſch, ſo lange<lb/>
es noch Zeit iſt. Sieh mein erſchrecktes Geſicht an. O<lb/>
könnteſt du durch meine Augen in mein ſorgenvolles Va¬<lb/>
terherz eindringen! Verlange, was du ſonſt willſt von<lb/>
allen Gütern des Himmels und der Erde! Ich ſchwöre<lb/>
dir beim Styx, du ſollſt es haben! Was umarmſt du<lb/>
mich mit ſolchem Ungeſtüm?“</p><lb/><p>Aber der Jüngling ließ mit Flehen nicht ab, und<lb/>
der Vater hatte den heiligen Schwur geſchworen. So<lb/>
nahm er denn ſeinen Sohn bei der Hand und führte ihn<lb/>
zu dem Sonnenwagen, Vulkans herrlicher Arbeit. Achſe,<lb/>
Deichſel und der Kranz der Räder waren von Gold, die<lb/>
Speichen Silber; vom Joche ſchimmerten Chryſolithen<lb/>
und Juwelen. Während Phaethon die herrliche Arbeit<lb/>
beherzt anſtaunte, thut im gerötheten Oſten die erwachte<lb/>
Morgenröthe ihr Purpurthor und ihren Vorſaal, der<lb/>
voll Roſen iſt, auf. Die Sterne verſchwinden allmählig,<lb/>
der Morgenſtern iſt der letzte, der ſeinen Poſten am Him¬<lb/>
mel verläßt, und die äußerſten Hörner des Mondes ver¬<lb/>
lieren ſich am Rande. Jetzt giebt Phöbus den geflügel¬<lb/>
ten Horen den Befehl, die Roſſe zu ſchirren; und dieſe<lb/>
führen die gluthſprühenden Thiere, von Ambroſia geſät¬<lb/>
tigt, von den erhabenen Krippen und legen ihnen herr¬<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[31/0057]
abſchüſſig, da bedarf es gar ſicherer Lenkung. Die Mee¬
resgöttin Thetis ſelbſt, die mich dann in ihre Fluthen
aufzunehmen bereit iſt, pflegt alsdann zu befürchten, ich
möchte in die Tiefe geſchmettert werden. Dazu bedenke,
daß der Himmel ſich in beſtändigem Umſchwunge dreht,
und ich dieſem reißenden Kreislaufe entgegen fahren muß.
Wie vermöchteſt du das, wenn ich dir auch meinen Wa¬
gen gäbe? Darum geliebter Sohn, verlange nicht ein ſo
ſchlimmes Geſchenk, und beſſere deinen Wunſch, ſo lange
es noch Zeit iſt. Sieh mein erſchrecktes Geſicht an. O
könnteſt du durch meine Augen in mein ſorgenvolles Va¬
terherz eindringen! Verlange, was du ſonſt willſt von
allen Gütern des Himmels und der Erde! Ich ſchwöre
dir beim Styx, du ſollſt es haben! Was umarmſt du
mich mit ſolchem Ungeſtüm?“
Aber der Jüngling ließ mit Flehen nicht ab, und
der Vater hatte den heiligen Schwur geſchworen. So
nahm er denn ſeinen Sohn bei der Hand und führte ihn
zu dem Sonnenwagen, Vulkans herrlicher Arbeit. Achſe,
Deichſel und der Kranz der Räder waren von Gold, die
Speichen Silber; vom Joche ſchimmerten Chryſolithen
und Juwelen. Während Phaethon die herrliche Arbeit
beherzt anſtaunte, thut im gerötheten Oſten die erwachte
Morgenröthe ihr Purpurthor und ihren Vorſaal, der
voll Roſen iſt, auf. Die Sterne verſchwinden allmählig,
der Morgenſtern iſt der letzte, der ſeinen Poſten am Him¬
mel verläßt, und die äußerſten Hörner des Mondes ver¬
lieren ſich am Rande. Jetzt giebt Phöbus den geflügel¬
ten Horen den Befehl, die Roſſe zu ſchirren; und dieſe
führen die gluthſprühenden Thiere, von Ambroſia geſät¬
tigt, von den erhabenen Krippen und legen ihnen herr¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/57>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.