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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838.

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liche Zäume an. Während dieß geschieht, bestrich der
Vater das Antlitz seines Sohnes mit einer heiligen Salbe,
und machte es dadurch geschickt, die glühende Flamme zu
ertragen. Um das Haupthaar legte er ihm seine Strah¬
lensonne, aber er seufzte dazu, und sprach warnend:
"Kind, schone mir die Stacheln, brauche wacker die Zügel;
denn die Rosse rennen schon von selbst, und es kostet
Mühe, sie im Fluge zu halten; die Straße geht schräg
in weit umbiegender Krümmung; den Südpol wie
den Nordpol mußt du meiden. Du erblickst deutlich
die Gleise der Räder. Senke dich nicht zu tief, sonst
geräth die Erde in Brand; steige nicht zu hoch, sonst
verbrennst du den Himmel. Auf, die Finsterniß flieht,
nimm die Zügel zur Hand; oder -- noch ist es Zeit;
besinne dich, liebes Kind; überlaß den Wagen mir, laß
mich der Welt das Licht schenken, und bleibe du Zu¬
schauer!"

Der Jüngling schien die Worte des Vaters gar
nicht zu hören, er schwang sich mit einem Sprung auf
den Wagen, ganz erfreut, die Zügel in den Händen zu
haben, und nickte dem unzufriedenen Vater einen kurzen,
freundlichen Dank. Mittlerweile füllten die vier Flügel¬
rosse mit gluthathmendem Wiehern die Luft und ihr Huf
stampfte gegen die Barren. Thetis, Phaethons Großmut¬
ter, welcher nichts vom Loose des Enkels ahnte, that
diese auf; die Welt lag in unendlichem Raume vor den
Blicken des Knaben, die Rosse flogen die Bahn aufwärts,
und spalteten die Morgennebel, die vor ihnen lagen.

Inzwischen fühlten die Rosse wohl, daß sie nicht die
gewohnte Last tragen, und das Joch leichter sey, als ge¬
wöhnlich; und wie Schiffe, wenn sie das rechte Gewicht

liche Zäume an. Während dieß geſchieht, beſtrich der
Vater das Antlitz ſeines Sohnes mit einer heiligen Salbe,
und machte es dadurch geſchickt, die glühende Flamme zu
ertragen. Um das Haupthaar legte er ihm ſeine Strah¬
lenſonne, aber er ſeufzte dazu, und ſprach warnend:
„Kind, ſchone mir die Stacheln, brauche wacker die Zügel;
denn die Roſſe rennen ſchon von ſelbſt, und es koſtet
Mühe, ſie im Fluge zu halten; die Straße geht ſchräg
in weit umbiegender Krümmung; den Südpol wie
den Nordpol mußt du meiden. Du erblickſt deutlich
die Gleiſe der Räder. Senke dich nicht zu tief, ſonſt
geräth die Erde in Brand; ſteige nicht zu hoch, ſonſt
verbrennſt du den Himmel. Auf, die Finſterniß flieht,
nimm die Zügel zur Hand; oder — noch iſt es Zeit;
beſinne dich, liebes Kind; überlaß den Wagen mir, laß
mich der Welt das Licht ſchenken, und bleibe du Zu¬
ſchauer!“

Der Jüngling ſchien die Worte des Vaters gar
nicht zu hören, er ſchwang ſich mit einem Sprung auf
den Wagen, ganz erfreut, die Zügel in den Händen zu
haben, und nickte dem unzufriedenen Vater einen kurzen,
freundlichen Dank. Mittlerweile füllten die vier Flügel¬
roſſe mit gluthathmendem Wiehern die Luft und ihr Huf
ſtampfte gegen die Barren. Thetis, Phaethons Großmut¬
ter, welcher nichts vom Looſe des Enkels ahnte, that
dieſe auf; die Welt lag in unendlichem Raume vor den
Blicken des Knaben, die Roſſe flogen die Bahn aufwärts,
und ſpalteten die Morgennebel, die vor ihnen lagen.

Inzwiſchen fühlten die Roſſe wohl, daß ſie nicht die
gewohnte Laſt tragen, und das Joch leichter ſey, als ge¬
wöhnlich; und wie Schiffe, wenn ſie das rechte Gewicht

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[32/0058] liche Zäume an. Während dieß geſchieht, beſtrich der Vater das Antlitz ſeines Sohnes mit einer heiligen Salbe, und machte es dadurch geſchickt, die glühende Flamme zu ertragen. Um das Haupthaar legte er ihm ſeine Strah¬ lenſonne, aber er ſeufzte dazu, und ſprach warnend: „Kind, ſchone mir die Stacheln, brauche wacker die Zügel; denn die Roſſe rennen ſchon von ſelbſt, und es koſtet Mühe, ſie im Fluge zu halten; die Straße geht ſchräg in weit umbiegender Krümmung; den Südpol wie den Nordpol mußt du meiden. Du erblickſt deutlich die Gleiſe der Räder. Senke dich nicht zu tief, ſonſt geräth die Erde in Brand; ſteige nicht zu hoch, ſonſt verbrennſt du den Himmel. Auf, die Finſterniß flieht, nimm die Zügel zur Hand; oder — noch iſt es Zeit; beſinne dich, liebes Kind; überlaß den Wagen mir, laß mich der Welt das Licht ſchenken, und bleibe du Zu¬ ſchauer!“ Der Jüngling ſchien die Worte des Vaters gar nicht zu hören, er ſchwang ſich mit einem Sprung auf den Wagen, ganz erfreut, die Zügel in den Händen zu haben, und nickte dem unzufriedenen Vater einen kurzen, freundlichen Dank. Mittlerweile füllten die vier Flügel¬ roſſe mit gluthathmendem Wiehern die Luft und ihr Huf ſtampfte gegen die Barren. Thetis, Phaethons Großmut¬ ter, welcher nichts vom Looſe des Enkels ahnte, that dieſe auf; die Welt lag in unendlichem Raume vor den Blicken des Knaben, die Roſſe flogen die Bahn aufwärts, und ſpalteten die Morgennebel, die vor ihnen lagen. Inzwiſchen fühlten die Roſſe wohl, daß ſie nicht die gewohnte Laſt tragen, und das Joch leichter ſey, als ge¬ wöhnlich; und wie Schiffe, wenn ſie das rechte Gewicht

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/58>, abgerufen am 21.11.2024.