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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838.

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den Trug jetzt erst bemerke, schaute der Götterjüngling
vom Hinterverdeck in die See, und mit verstellten Thrä¬
nen sprach er: "Wehe, nicht diese Gestade verhießet ihr
mir, Schiffer, dieß ist nicht das erbetene Land! Ist es
auch Recht, daß ihr alten Männer ein Kind auf diese
Weise täuschet?" Aber die gottesvergessene Rotte spottete
seiner und meiner Thränen, und ruderte eilig davon.
Plötzlich aber, als umschlöße sie ein trockenes Schiffs¬
werft, stand die Barke mitten im Meere still. Vergebens
schlagen ihre Ruder die See, ziehen sie die Segel herab,
streben fort mit doppelter Kraft. Epheu fängt an die
Ruder zu umschlingen, kriecht rückwärts in geschlängelter
Windung herauf, streift mit seinen schwellenden Träub¬
chen schon die Segel; Bacchus selbst -- denn er war
es -- steht herrlich da, die Stirn mit beerenbelasteten Trau¬
ben bekränzt, den mit Weinlaub umschlungenen Thyrsus¬
stab schwingend. Tiger, Luchse, Panther erschienen um
ihn gelagert, ein duftiger Strom von Wein ergoß sich
durch das Schiff. Jetzt sprangen die Männer scheu em¬
por, in Furcht und Wahnsinn. Dem ersten, der auf¬
schreien wollte, krümmte sich Mund und Nase zum Fischmaul,
und ehe die andern sich darüber entsetzen konnten, war
auch ihnen das gleiche geschehen, ihr Leib senkte sich von
blauen Schuppen umgeben, der Rückgrat wurde hochge¬
wölbt, die Arme schrumpften zu Floßfedern ein, die Füße
vereinigten sich zu einem Schwanze. Sie waren alle mit¬
einander zu Fischen geworden, sprangen in das Meer
und tauchten auf und nieder. Ich von zwanzigen war
allein übrig geblieben, aber ich zitterte an allen Gliedern
und erwartete jeden Augenblick dieselbe Verwandlung.
Bacchus jedoch sprach mir freundlich zu, weil ich ihm ja

den Trug jetzt erſt bemerke, ſchaute der Götterjüngling
vom Hinterverdeck in die See, und mit verſtellten Thrä¬
nen ſprach er: „Wehe, nicht dieſe Geſtade verhießet ihr
mir, Schiffer, dieß iſt nicht das erbetene Land! Iſt es
auch Recht, daß ihr alten Männer ein Kind auf dieſe
Weiſe täuſchet?“ Aber die gottesvergeſſene Rotte ſpottete
ſeiner und meiner Thränen, und ruderte eilig davon.
Plötzlich aber, als umſchlöße ſie ein trockenes Schiffs¬
werft, ſtand die Barke mitten im Meere ſtill. Vergebens
ſchlagen ihre Ruder die See, ziehen ſie die Segel herab,
ſtreben fort mit doppelter Kraft. Epheu fängt an die
Ruder zu umſchlingen, kriecht rückwärts in geſchlängelter
Windung herauf, ſtreift mit ſeinen ſchwellenden Träub¬
chen ſchon die Segel; Bacchus ſelbſt — denn er war
es — ſteht herrlich da, die Stirn mit beerenbelaſteten Trau¬
ben bekränzt, den mit Weinlaub umſchlungenen Thyrſus¬
ſtab ſchwingend. Tiger, Luchſe, Panther erſchienen um
ihn gelagert, ein duftiger Strom von Wein ergoß ſich
durch das Schiff. Jetzt ſprangen die Männer ſcheu em¬
por, in Furcht und Wahnſinn. Dem erſten, der auf¬
ſchreien wollte, krümmte ſich Mund und Naſe zum Fiſchmaul,
und ehe die andern ſich darüber entſetzen konnten, war
auch ihnen das gleiche geſchehen, ihr Leib ſenkte ſich von
blauen Schuppen umgeben, der Rückgrat wurde hochge¬
wölbt, die Arme ſchrumpften zu Floßfedern ein, die Füße
vereinigten ſich zu einem Schwanze. Sie waren alle mit¬
einander zu Fiſchen geworden, ſprangen in das Meer
und tauchten auf und nieder. Ich von zwanzigen war
allein übrig geblieben, aber ich zitterte an allen Gliedern
und erwartete jeden Augenblick dieſelbe Verwandlung.
Bacchus jedoch ſprach mir freundlich zu, weil ich ihm ja

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[53/0079] den Trug jetzt erſt bemerke, ſchaute der Götterjüngling vom Hinterverdeck in die See, und mit verſtellten Thrä¬ nen ſprach er: „Wehe, nicht dieſe Geſtade verhießet ihr mir, Schiffer, dieß iſt nicht das erbetene Land! Iſt es auch Recht, daß ihr alten Männer ein Kind auf dieſe Weiſe täuſchet?“ Aber die gottesvergeſſene Rotte ſpottete ſeiner und meiner Thränen, und ruderte eilig davon. Plötzlich aber, als umſchlöße ſie ein trockenes Schiffs¬ werft, ſtand die Barke mitten im Meere ſtill. Vergebens ſchlagen ihre Ruder die See, ziehen ſie die Segel herab, ſtreben fort mit doppelter Kraft. Epheu fängt an die Ruder zu umſchlingen, kriecht rückwärts in geſchlängelter Windung herauf, ſtreift mit ſeinen ſchwellenden Träub¬ chen ſchon die Segel; Bacchus ſelbſt — denn er war es — ſteht herrlich da, die Stirn mit beerenbelaſteten Trau¬ ben bekränzt, den mit Weinlaub umſchlungenen Thyrſus¬ ſtab ſchwingend. Tiger, Luchſe, Panther erſchienen um ihn gelagert, ein duftiger Strom von Wein ergoß ſich durch das Schiff. Jetzt ſprangen die Männer ſcheu em¬ por, in Furcht und Wahnſinn. Dem erſten, der auf¬ ſchreien wollte, krümmte ſich Mund und Naſe zum Fiſchmaul, und ehe die andern ſich darüber entſetzen konnten, war auch ihnen das gleiche geſchehen, ihr Leib ſenkte ſich von blauen Schuppen umgeben, der Rückgrat wurde hochge¬ wölbt, die Arme ſchrumpften zu Floßfedern ein, die Füße vereinigten ſich zu einem Schwanze. Sie waren alle mit¬ einander zu Fiſchen geworden, ſprangen in das Meer und tauchten auf und nieder. Ich von zwanzigen war allein übrig geblieben, aber ich zitterte an allen Gliedern und erwartete jeden Augenblick dieſelbe Verwandlung. Bacchus jedoch ſprach mir freundlich zu, weil ich ihm ja

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/79>, abgerufen am 21.11.2024.