nur Gutes erwiesen habe. "Fürchte dich nicht," sagte er, "und steure mich gen Naxos." Als wir dort gelandet hatten, weihte er mich an seinem Altar zum feierlichen Dienste seiner Gottheit ein."
"Schon zu lange horchen wir deinem Geschwätz," schrie jetzt der König Pentheus, "auf, ergreifet ihn, ihr Diener, peinigt ihn mit tausend Martern und schickt ihn zur Unterwelt hinab!" Die Knechte gehorchten und war¬ fen den Schiffer gefesselt in einen tiefen Kerker. Aber eine unsichtbare Hand befreite ihn.
Nun begann erst die ernstliche Verfolgung der Bac¬ chusfeier. Des Pentheus eigene Mutter, Agave und ihre Schwestern, hatten Theil an dem rauschenden Gottes¬ dienste genommen. Der König sandte nach ihnen aus, und ließ alle Bacchantinnen in den Stadtkerker werfen. Aber ohne Hülfe eines Sterblichen werden auch sie ihrer Bande ledig, die Pforten ihres Gefängnisses thun sich auf, und sie rennen in bacchischer Begeisterung frei in den Wäldern umher. Der Diener, der abgesandt worden, mit bewaffneter Macht den Gott selbst einzufangen, kam ganz bestürzt zurück, denn Jener hatte sich willig und lä¬ chelnd den Fesseln dargeboten. So stand er jetzt gefangen vor dem Könige, der selber nicht umhin konnte, seine ju¬ gendliche göttliche Schönheit zu bewundern. Und doch beharrte er in seiner Verblendung, und behandelte ihn als einen Betrüger, der den Namen Bacchus fälschlich führe. Er ließ den gefangenen Gott mit Fesseln belasten und im hintersten und tiefsten Theile seines Pallastes, in der Nähe der Pferdekrippen, in einem dunkeln Loche ver¬ wahren. Auf des Gottes Geheiß spaltete jedoch ein Erd¬ beben das Gemäuer, seine Bande verschwanden. Er trat
nur Gutes erwieſen habe. „Fürchte dich nicht,“ ſagte er, „und ſteure mich gen Naxos.“ Als wir dort gelandet hatten, weihte er mich an ſeinem Altar zum feierlichen Dienſte ſeiner Gottheit ein.“
„Schon zu lange horchen wir deinem Geſchwätz,“ ſchrie jetzt der König Pentheus, „auf, ergreifet ihn, ihr Diener, peinigt ihn mit tauſend Martern und ſchickt ihn zur Unterwelt hinab!“ Die Knechte gehorchten und war¬ fen den Schiffer gefeſſelt in einen tiefen Kerker. Aber eine unſichtbare Hand befreite ihn.
Nun begann erſt die ernſtliche Verfolgung der Bac¬ chusfeier. Des Pentheus eigene Mutter, Agave und ihre Schweſtern, hatten Theil an dem rauſchenden Gottes¬ dienſte genommen. Der König ſandte nach ihnen aus, und ließ alle Bacchantinnen in den Stadtkerker werfen. Aber ohne Hülfe eines Sterblichen werden auch ſie ihrer Bande ledig, die Pforten ihres Gefängniſſes thun ſich auf, und ſie rennen in bacchiſcher Begeiſterung frei in den Wäldern umher. Der Diener, der abgeſandt worden, mit bewaffneter Macht den Gott ſelbſt einzufangen, kam ganz beſtürzt zurück, denn Jener hatte ſich willig und lä¬ chelnd den Feſſeln dargeboten. So ſtand er jetzt gefangen vor dem Könige, der ſelber nicht umhin konnte, ſeine ju¬ gendliche göttliche Schönheit zu bewundern. Und doch beharrte er in ſeiner Verblendung, und behandelte ihn als einen Betrüger, der den Namen Bacchus fälſchlich führe. Er ließ den gefangenen Gott mit Feſſeln belaſten und im hinterſten und tiefſten Theile ſeines Pallaſtes, in der Nähe der Pferdekrippen, in einem dunkeln Loche ver¬ wahren. Auf des Gottes Geheiß ſpaltete jedoch ein Erd¬ beben das Gemäuer, ſeine Bande verſchwanden. Er trat
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nur Gutes erwieſen habe. „Fürchte dich nicht,“ ſagte er,
„und ſteure mich gen Naxos.“ Als wir dort gelandet
hatten, weihte er mich an ſeinem Altar zum feierlichen
Dienſte ſeiner Gottheit ein.“
„Schon zu lange horchen wir deinem Geſchwätz,“
ſchrie jetzt der König Pentheus, „auf, ergreifet ihn, ihr
Diener, peinigt ihn mit tauſend Martern und ſchickt ihn
zur Unterwelt hinab!“ Die Knechte gehorchten und war¬
fen den Schiffer gefeſſelt in einen tiefen Kerker. Aber
eine unſichtbare Hand befreite ihn.
Nun begann erſt die ernſtliche Verfolgung der Bac¬
chusfeier. Des Pentheus eigene Mutter, Agave und ihre
Schweſtern, hatten Theil an dem rauſchenden Gottes¬
dienſte genommen. Der König ſandte nach ihnen aus,
und ließ alle Bacchantinnen in den Stadtkerker werfen.
Aber ohne Hülfe eines Sterblichen werden auch ſie ihrer
Bande ledig, die Pforten ihres Gefängniſſes thun ſich
auf, und ſie rennen in bacchiſcher Begeiſterung frei in
den Wäldern umher. Der Diener, der abgeſandt worden,
mit bewaffneter Macht den Gott ſelbſt einzufangen, kam
ganz beſtürzt zurück, denn Jener hatte ſich willig und lä¬
chelnd den Feſſeln dargeboten. So ſtand er jetzt gefangen
vor dem Könige, der ſelber nicht umhin konnte, ſeine ju¬
gendliche göttliche Schönheit zu bewundern. Und doch
beharrte er in ſeiner Verblendung, und behandelte ihn
als einen Betrüger, der den Namen Bacchus fälſchlich
führe. Er ließ den gefangenen Gott mit Feſſeln belaſten
und im hinterſten und tiefſten Theile ſeines Pallaſtes, in
der Nähe der Pferdekrippen, in einem dunkeln Loche ver¬
wahren. Auf des Gottes Geheiß ſpaltete jedoch ein Erd¬
beben das Gemäuer, ſeine Bande verſchwanden. Er trat
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/80>, abgerufen am 21.11.2024.
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