unversehrt und herrlicher als zuvor in die Mitte seiner Verehrer.
Ein Bote über dem andern kam vor den König Pentheus und meldete ihm, welche Wunderthaten die Chöre begeisterter Frauen, von seiner Mutter und ihren Schwestern angeführt, verrichteten. Ihr Stab durfte nur an Felsen schlagen, so sprang Wasser oder sprudelnder Wein heraus, die Bäche floßen unter seinem Zauberschlage mit Milch, aus den hohlen Bäumen träufelte Honig. "Ja," fügte einer der Boten hinzu, "wärest du zugegen gewesen, o Herr, und hättest den Gott, den du jetzt schiltst, selbst gesehen, du würdest dich in Gebeten vor ihm nie¬ dergeworfen haben!"
Pentheus, immer entrüsteter, bot auf diese Nachrichten alle schwerbewaffneten Krieger, alle Reiter, alle Leichtbe¬ schildeten gegen das rasende Weiberheer auf. Da erschien Bacchus selbst wieder, und trat als sein eigener Abgeord¬ neter vor den König. Er versprach, ihm die Bac¬ chantinnen entwaffnet vorzuführen, wenn nur der Kö¬ nig selbst die Frauentracht anlegen wolle, damit er nicht als Mann und Uneingeweihter von ihnen zerris¬ sen werde. Ungerne und mit sehr natürlichem Mi߬ trauen ging Pentheus auf den Vorschlag ein; doch folgte er endlich dem Gotte zur Schlachtbank. Aber als er hinausschritt zur Stadt, war er schon vom Wahn¬ sinne, den ihm der mächtige Gott zugesandt hatte, besessen. Ihm däuchte es, als schaue er zwei Sonnen, ein gedop¬ peltes Theben, und jedes seiner Thore zwiefach. Bacchus selbst kam ihm vor, wie ein Stier, der mit großen Hör¬ nern an dem Kopfe vor ihm herschreite. Er selbst wurde wider Willen von bacchischer Begeisterung ergriffen, ver¬
unverſehrt und herrlicher als zuvor in die Mitte ſeiner Verehrer.
Ein Bote über dem andern kam vor den König Pentheus und meldete ihm, welche Wunderthaten die Chöre begeiſterter Frauen, von ſeiner Mutter und ihren Schweſtern angeführt, verrichteten. Ihr Stab durfte nur an Felſen ſchlagen, ſo ſprang Waſſer oder ſprudelnder Wein heraus, die Bäche floßen unter ſeinem Zauberſchlage mit Milch, aus den hohlen Bäumen träufelte Honig. „Ja,“ fügte einer der Boten hinzu, „wäreſt du zugegen geweſen, o Herr, und hätteſt den Gott, den du jetzt ſchiltſt, ſelbſt geſehen, du würdeſt dich in Gebeten vor ihm nie¬ dergeworfen haben!“
Pentheus, immer entrüſteter, bot auf dieſe Nachrichten alle ſchwerbewaffneten Krieger, alle Reiter, alle Leichtbe¬ ſchildeten gegen das raſende Weiberheer auf. Da erſchien Bacchus ſelbſt wieder, und trat als ſein eigener Abgeord¬ neter vor den König. Er verſprach, ihm die Bac¬ chantinnen entwaffnet vorzuführen, wenn nur der Kö¬ nig ſelbſt die Frauentracht anlegen wolle, damit er nicht als Mann und Uneingeweihter von ihnen zerriſ¬ ſen werde. Ungerne und mit ſehr natürlichem Mi߬ trauen ging Pentheus auf den Vorſchlag ein; doch folgte er endlich dem Gotte zur Schlachtbank. Aber als er hinausſchritt zur Stadt, war er ſchon vom Wahn¬ ſinne, den ihm der mächtige Gott zugeſandt hatte, beſeſſen. Ihm däuchte es, als ſchaue er zwei Sonnen, ein gedop¬ peltes Theben, und jedes ſeiner Thore zwiefach. Bacchus ſelbſt kam ihm vor, wie ein Stier, der mit großen Hör¬ nern an dem Kopfe vor ihm herſchreite. Er ſelbſt wurde wider Willen von bacchiſcher Begeiſterung ergriffen, ver¬
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[55/0081]
unverſehrt und herrlicher als zuvor in die Mitte ſeiner
Verehrer.
Ein Bote über dem andern kam vor den König
Pentheus und meldete ihm, welche Wunderthaten die
Chöre begeiſterter Frauen, von ſeiner Mutter und ihren
Schweſtern angeführt, verrichteten. Ihr Stab durfte nur
an Felſen ſchlagen, ſo ſprang Waſſer oder ſprudelnder
Wein heraus, die Bäche floßen unter ſeinem Zauberſchlage
mit Milch, aus den hohlen Bäumen träufelte Honig.
„Ja,“ fügte einer der Boten hinzu, „wäreſt du zugegen
geweſen, o Herr, und hätteſt den Gott, den du jetzt ſchiltſt,
ſelbſt geſehen, du würdeſt dich in Gebeten vor ihm nie¬
dergeworfen haben!“
Pentheus, immer entrüſteter, bot auf dieſe Nachrichten
alle ſchwerbewaffneten Krieger, alle Reiter, alle Leichtbe¬
ſchildeten gegen das raſende Weiberheer auf. Da erſchien
Bacchus ſelbſt wieder, und trat als ſein eigener Abgeord¬
neter vor den König. Er verſprach, ihm die Bac¬
chantinnen entwaffnet vorzuführen, wenn nur der Kö¬
nig ſelbſt die Frauentracht anlegen wolle, damit er
nicht als Mann und Uneingeweihter von ihnen zerriſ¬
ſen werde. Ungerne und mit ſehr natürlichem Mi߬
trauen ging Pentheus auf den Vorſchlag ein; doch
folgte er endlich dem Gotte zur Schlachtbank. Aber als
er hinausſchritt zur Stadt, war er ſchon vom Wahn¬
ſinne, den ihm der mächtige Gott zugeſandt hatte, beſeſſen.
Ihm däuchte es, als ſchaue er zwei Sonnen, ein gedop¬
peltes Theben, und jedes ſeiner Thore zwiefach. Bacchus
ſelbſt kam ihm vor, wie ein Stier, der mit großen Hör¬
nern an dem Kopfe vor ihm herſchreite. Er ſelbſt wurde
wider Willen von bacchiſcher Begeiſterung ergriffen, ver¬
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/81>, abgerufen am 21.11.2024.
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