und stellte sich in die Mitte. Aus dem griechischen Heere eilten jetzt Agamemnon und Odysseus herbei. Die Herolde führten die Bundesopfer heran, mischten den Wein im Kruge, und besprengten die beiden Könige mit dem Weih¬ wasser. Dann zog der Atride das Opfermesser, das ihm immer neben der großen Scheide seines Schwertes herab¬ hing, schnitt den Lämmern, wie bei Opfern gebräuchlich, das Stirnhaar ab, und rief den Göttervater zum Zeugen des Bündnisses. Dann durchschnitt er den Lämmern die Kehlen und legte die geopferten in den Staub nieder; die Herolde gossen unter Gebet den Wein aus goldnen Bechern und alles Volk von Griechenland und Troja flehte dazu laut: "Jupiter und ihr unsterblichen Götter alle! welche von uns zuerst den Eidschwur brechen, deren Gehirn fließe auf den Boden, wie dieser Wein, ihres und ihrer Kinder!"
Priamus aber sprach: "Jetzt, ihr Trojaner und Grie¬ chen, laßt mich wieder zu Ilions hoher Burg zurück¬ kehren, denn ich kann es unmöglich mit eigenen Augen ansehen, wie mein Sohn hier auf Leben und Tod mit dem Fürsten Menelaus kämpft; weiß doch Jupiter allein, welchem von beiden der Untergang verhängt ist!" So sprach der Greis, ließ die Opferlämmer in den Wagen legen, bestieg mit seinem Begleiter den Sitz, und lenkte die Rosse wieder der Stadt Troja zu.
Hierauf maßen Hektor und Odysseus den Raum des Kampfplatzes ab, und schüttelten in einem ehernen Helm zwei Loose, zu entscheiden, wer zuerst die Lanze auf den Gegner werfen dürfe. Hektor, rückwärts gewandt, schwenkte den Helm, da sprang das Loos des Paris heraus. Nun waffneten sich beide Helden und wandelten in Panzer und
und ſtellte ſich in die Mitte. Aus dem griechiſchen Heere eilten jetzt Agamemnon und Odyſſeus herbei. Die Herolde führten die Bundesopfer heran, miſchten den Wein im Kruge, und beſprengten die beiden Könige mit dem Weih¬ waſſer. Dann zog der Atride das Opfermeſſer, das ihm immer neben der großen Scheide ſeines Schwertes herab¬ hing, ſchnitt den Lämmern, wie bei Opfern gebräuchlich, das Stirnhaar ab, und rief den Göttervater zum Zeugen des Bündniſſes. Dann durchſchnitt er den Lämmern die Kehlen und legte die geopferten in den Staub nieder; die Herolde goſſen unter Gebet den Wein aus goldnen Bechern und alles Volk von Griechenland und Troja flehte dazu laut: „Jupiter und ihr unſterblichen Götter alle! welche von uns zuerſt den Eidſchwur brechen, deren Gehirn fließe auf den Boden, wie dieſer Wein, ihres und ihrer Kinder!“
Priamus aber ſprach: „Jetzt, ihr Trojaner und Grie¬ chen, laßt mich wieder zu Ilions hoher Burg zurück¬ kehren, denn ich kann es unmöglich mit eigenen Augen anſehen, wie mein Sohn hier auf Leben und Tod mit dem Fürſten Menelaus kämpft; weiß doch Jupiter allein, welchem von beiden der Untergang verhängt iſt!“ So ſprach der Greis, ließ die Opferlämmer in den Wagen legen, beſtieg mit ſeinem Begleiter den Sitz, und lenkte die Roſſe wieder der Stadt Troja zu.
Hierauf maßen Hektor und Odyſſeus den Raum des Kampfplatzes ab, und ſchüttelten in einem ehernen Helm zwei Looſe, zu entſcheiden, wer zuerſt die Lanze auf den Gegner werfen dürfe. Hektor, rückwärts gewandt, ſchwenkte den Helm, da ſprang das Loos des Paris heraus. Nun waffneten ſich beide Helden und wandelten in Panzer und
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und ſtellte ſich in die Mitte. Aus dem griechiſchen Heere
eilten jetzt Agamemnon und Odyſſeus herbei. Die Herolde
führten die Bundesopfer heran, miſchten den Wein im
Kruge, und beſprengten die beiden Könige mit dem Weih¬
waſſer. Dann zog der Atride das Opfermeſſer, das ihm
immer neben der großen Scheide ſeines Schwertes herab¬
hing, ſchnitt den Lämmern, wie bei Opfern gebräuchlich,
das Stirnhaar ab, und rief den Göttervater zum Zeugen
des Bündniſſes. Dann durchſchnitt er den Lämmern die
Kehlen und legte die geopferten in den Staub nieder;
die Herolde goſſen unter Gebet den Wein aus goldnen
Bechern und alles Volk von Griechenland und Troja
flehte dazu laut: „Jupiter und ihr unſterblichen Götter
alle! welche von uns zuerſt den Eidſchwur brechen, deren
Gehirn fließe auf den Boden, wie dieſer Wein, ihres und
ihrer Kinder!“
Priamus aber ſprach: „Jetzt, ihr Trojaner und Grie¬
chen, laßt mich wieder zu Ilions hoher Burg zurück¬
kehren, denn ich kann es unmöglich mit eigenen Augen
anſehen, wie mein Sohn hier auf Leben und Tod mit
dem Fürſten Menelaus kämpft; weiß doch Jupiter allein,
welchem von beiden der Untergang verhängt iſt!“ So
ſprach der Greis, ließ die Opferlämmer in den Wagen
legen, beſtieg mit ſeinem Begleiter den Sitz, und lenkte
die Roſſe wieder der Stadt Troja zu.
Hierauf maßen Hektor und Odyſſeus den Raum des
Kampfplatzes ab, und ſchüttelten in einem ehernen Helm
zwei Looſe, zu entſcheiden, wer zuerſt die Lanze auf den
Gegner werfen dürfe. Hektor, rückwärts gewandt, ſchwenkte
den Helm, da ſprang das Loos des Paris heraus. Nun
waffneten ſich beide Helden und wandelten in Panzer und
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/129>, abgerufen am 16.02.2025.
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