Den Morgen über wurde mit gleichem Glücke gekämpft, und auf beiden Seiten strömte viel Blut auf den Boden. Als aber die Sonne hoch am Mittagshimmel stand, legte Zeus zwei Todesloose in seine goldne Waage, faßte sie in der Mitte und wog in der Luft. Da sank das Ver¬ hängniß der Griechen, daß ihr Gewicht sich bis zur Erde niedersenkte und das der Trojaner zum Himmel emporstieg.
Mit einem Donnerschlage kündigte er die verwandelte Schickung dem Heere der Griechen an, indem ein Blitz¬ strahl mitten unter dasselbe herabfuhr. Bei diesem An¬ blicke durchschauderte ein ahnungsvoller Schrecken die Reihen der Griechen und die größten Helden fingen an zu wanken. Idomeneus, Agamemnon, die beiden Ajax selbst hielten nicht mehr Stand. Bald war nur noch der greise Nestor im Vorderkampf zu schauen, aber auch dieser nur gezwungen, denn Paris hatte sein Roß vorn am Mähnenbusch mit einem Pfeile tödtlich getroffen. Das Pferd bäumte sich angstvoll und wälzte sich bald mit seiner Wunde; während nun Nestor dem Nebenroß die Stränge mit seinem Schwert abzuhauen bemüht war, kam Hektor mit seinem Wagen, in der Verfolgung der Griechen be¬ griffen, auf ihn zugefahren, und jetzt wäre es um das Leben des edlen Greises geschehen gewesen, wenn nicht Diomedes herbeigeeilt wäre. Dieser schalt den mit umge¬ wandtem Rücken den Schiffen zufliehenden Odysseus und ermunterte ihn vergebens zur Abwehr; dann stellte er sich selbst vor die Rosse Nestors, überantwortete sie dem Sthe¬ nelus und Eurymedon und nahm den Greis auf seinen eigenen Wagen. Dann ging er mit ihm gerade dem Hektor entgegen, schickte seinen Speer ab und verfehlte zwar den Helden selbst, durchschoß jedoch seinem Wagenlenker
Den Morgen über wurde mit gleichem Glücke gekämpft, und auf beiden Seiten ſtrömte viel Blut auf den Boden. Als aber die Sonne hoch am Mittagshimmel ſtand, legte Zeus zwei Todeslooſe in ſeine goldne Waage, faßte ſie in der Mitte und wog in der Luft. Da ſank das Ver¬ hängniß der Griechen, daß ihr Gewicht ſich bis zur Erde niederſenkte und das der Trojaner zum Himmel emporſtieg.
Mit einem Donnerſchlage kündigte er die verwandelte Schickung dem Heere der Griechen an, indem ein Blitz¬ ſtrahl mitten unter daſſelbe herabfuhr. Bei dieſem An¬ blicke durchſchauderte ein ahnungsvoller Schrecken die Reihen der Griechen und die größten Helden fingen an zu wanken. Idomeneus, Agamemnon, die beiden Ajax ſelbſt hielten nicht mehr Stand. Bald war nur noch der greiſe Neſtor im Vorderkampf zu ſchauen, aber auch dieſer nur gezwungen, denn Paris hatte ſein Roß vorn am Mähnenbuſch mit einem Pfeile tödtlich getroffen. Das Pferd bäumte ſich angſtvoll und wälzte ſich bald mit ſeiner Wunde; während nun Neſtor dem Nebenroß die Stränge mit ſeinem Schwert abzuhauen bemüht war, kam Hektor mit ſeinem Wagen, in der Verfolgung der Griechen be¬ griffen, auf ihn zugefahren, und jetzt wäre es um das Leben des edlen Greiſes geſchehen geweſen, wenn nicht Diomedes herbeigeeilt wäre. Dieſer ſchalt den mit umge¬ wandtem Rücken den Schiffen zufliehenden Odyſſeus und ermunterte ihn vergebens zur Abwehr; dann ſtellte er ſich ſelbſt vor die Roſſe Neſtors, überantwortete ſie dem Sthe¬ nelus und Eurymedon und nahm den Greis auf ſeinen eigenen Wagen. Dann ging er mit ihm gerade dem Hektor entgegen, ſchickte ſeinen Speer ab und verfehlte zwar den Helden ſelbſt, durchſchoß jedoch ſeinem Wagenlenker
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Den Morgen über wurde mit gleichem Glücke gekämpft,
und auf beiden Seiten ſtrömte viel Blut auf den Boden.
Als aber die Sonne hoch am Mittagshimmel ſtand, legte
Zeus zwei Todeslooſe in ſeine goldne Waage, faßte ſie
in der Mitte und wog in der Luft. Da ſank das Ver¬
hängniß der Griechen, daß ihr Gewicht ſich bis zur Erde
niederſenkte und das der Trojaner zum Himmel emporſtieg.
Mit einem Donnerſchlage kündigte er die verwandelte
Schickung dem Heere der Griechen an, indem ein Blitz¬
ſtrahl mitten unter daſſelbe herabfuhr. Bei dieſem An¬
blicke durchſchauderte ein ahnungsvoller Schrecken die
Reihen der Griechen und die größten Helden fingen an
zu wanken. Idomeneus, Agamemnon, die beiden Ajax
ſelbſt hielten nicht mehr Stand. Bald war nur noch der
greiſe Neſtor im Vorderkampf zu ſchauen, aber auch dieſer
nur gezwungen, denn Paris hatte ſein Roß vorn am
Mähnenbuſch mit einem Pfeile tödtlich getroffen. Das
Pferd bäumte ſich angſtvoll und wälzte ſich bald mit ſeiner
Wunde; während nun Neſtor dem Nebenroß die Stränge
mit ſeinem Schwert abzuhauen bemüht war, kam Hektor
mit ſeinem Wagen, in der Verfolgung der Griechen be¬
griffen, auf ihn zugefahren, und jetzt wäre es um das
Leben des edlen Greiſes geſchehen geweſen, wenn nicht
Diomedes herbeigeeilt wäre. Dieſer ſchalt den mit umge¬
wandtem Rücken den Schiffen zufliehenden Odyſſeus und
ermunterte ihn vergebens zur Abwehr; dann ſtellte er ſich
ſelbſt vor die Roſſe Neſtors, überantwortete ſie dem Sthe¬
nelus und Eurymedon und nahm den Greis auf ſeinen
eigenen Wagen. Dann ging er mit ihm gerade dem
Hektor entgegen, ſchickte ſeinen Speer ab und verfehlte
zwar den Helden ſelbſt, durchſchoß jedoch ſeinem Wagenlenker
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/176>, abgerufen am 25.11.2024.
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