Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

"Mir gehört der zweite Preis," sprach er, "die herrliche
ungezähmte, sechsjährige Stute; bedauerst du jenen, so
hast du Gold, Erz, Vieh, Rosse und Mägde genug im
Zelte, gib ihm davon, was du willst!" Achilles lächelte,
sprach seinem lieben Altersgenossen das Roß zu, und
schenkte dem Eumelus einen herrlichen Harnisch. Aber
Menelaus beschuldigte nun seinerseits den Antilochus, ihm
die Rosse mit List gehindert zu haben, und sann ihm einen
Eid beim Schöpfer des Rosses, Poseidon, an. Der be¬
schämte Jüngling gestand sein Vergehen, und führte die
gewonnene Stute dem Atriden zu. Dieß besänftigte den
Zorn des Menelaus; er überließ dem Jünglinge das
Roß und nahm sich den dritten Preis, das Becken. Zwei
Talente Goldes als vierten Kampfpreis erhub Meriones;
den übrigen fünften, einen vom Feuer noch unberührten
Mischbecher mit Henkeln, überließ Achilles dem Nestor als
Geschenk.

Nun wurde zum Faustkampfe geschritten, und dem
Sieger ein Maulthier, dem Besiegten ein Henkelbecher
bestimmt. Sogleich erhub sich ein kraftvoller, gewaltiger
Mann, Epeus, der Sohn des Panopeus, faßte das Thier
und rief: "Dieses ist mein, den Becher nehme wer will!
Das aber verkünde ich: der Leib wird ihm von meiner
Faust zerschmettert, und die Gebeine zermalm' ich ihm!"
Auf diesen Gruß verstummten alle Helden, bis sich Eurya¬
lus, des Mekistheus Sohn, ihm gegürtet und kampfbereit
entgegenstellte. Bald kreuzten sich ihre Arme, die Fäuste
klatschten auf den Kiefern, der Angstschweiß floß ihnen
von den Gliedern. Endlich versetzte Epeus seinem Geg¬
ner einen Streich auf den Backen, daß er zu Boden fiel,
wie ein Fisch, der aus der Welle aufs Ufergras gesprungen

„Mir gehört der zweite Preis,“ ſprach er, „die herrliche
ungezähmte, ſechsjährige Stute; bedauerſt du jenen, ſo
haſt du Gold, Erz, Vieh, Roſſe und Mägde genug im
Zelte, gib ihm davon, was du willſt!“ Achilles lächelte,
ſprach ſeinem lieben Altersgenoſſen das Roß zu, und
ſchenkte dem Eumelus einen herrlichen Harniſch. Aber
Menelaus beſchuldigte nun ſeinerſeits den Antilochus, ihm
die Roſſe mit Liſt gehindert zu haben, und ſann ihm einen
Eid beim Schöpfer des Roſſes, Poſeidon, an. Der be¬
ſchämte Jüngling geſtand ſein Vergehen, und führte die
gewonnene Stute dem Atriden zu. Dieß beſänftigte den
Zorn des Menelaus; er überließ dem Jünglinge das
Roß und nahm ſich den dritten Preis, das Becken. Zwei
Talente Goldes als vierten Kampfpreis erhub Meriones;
den übrigen fünften, einen vom Feuer noch unberührten
Miſchbecher mit Henkeln, überließ Achilles dem Neſtor als
Geſchenk.

Nun wurde zum Fauſtkampfe geſchritten, und dem
Sieger ein Maulthier, dem Beſiegten ein Henkelbecher
beſtimmt. Sogleich erhub ſich ein kraftvoller, gewaltiger
Mann, Epëus, der Sohn des Panopeus, faßte das Thier
und rief: „Dieſes iſt mein, den Becher nehme wer will!
Das aber verkünde ich: der Leib wird ihm von meiner
Fauſt zerſchmettert, und die Gebeine zermalm' ich ihm!“
Auf dieſen Gruß verſtummten alle Helden, bis ſich Eurya¬
lus, des Mekiſtheus Sohn, ihm gegürtet und kampfbereit
entgegenſtellte. Bald kreuzten ſich ihre Arme, die Fäuſte
klatſchten auf den Kiefern, der Angſtſchweiß floß ihnen
von den Gliedern. Endlich verſetzte Epëus ſeinem Geg¬
ner einen Streich auf den Backen, daß er zu Boden fiel,
wie ein Fiſch, der aus der Welle aufs Ufergras geſprungen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0318" n="296"/>
&#x201E;Mir gehört der zweite Preis,&#x201C; &#x017F;prach er, &#x201E;die herrliche<lb/>
ungezähmte, &#x017F;echsjährige Stute; bedauer&#x017F;t du jenen, &#x017F;o<lb/>
ha&#x017F;t du Gold, Erz, Vieh, Ro&#x017F;&#x017F;e und Mägde genug im<lb/>
Zelte, gib ihm davon, was du will&#x017F;t!&#x201C; Achilles lächelte,<lb/>
&#x017F;prach &#x017F;einem lieben Altersgeno&#x017F;&#x017F;en das Roß zu, und<lb/>
&#x017F;chenkte dem Eumelus einen herrlichen Harni&#x017F;ch. Aber<lb/>
Menelaus be&#x017F;chuldigte nun &#x017F;einer&#x017F;eits den Antilochus, ihm<lb/>
die Ro&#x017F;&#x017F;e mit Li&#x017F;t gehindert zu haben, und &#x017F;ann ihm einen<lb/>
Eid beim Schöpfer des Ro&#x017F;&#x017F;es, Po&#x017F;eidon, an. Der be¬<lb/>
&#x017F;chämte Jüngling ge&#x017F;tand &#x017F;ein Vergehen, und führte die<lb/>
gewonnene Stute dem Atriden zu. Dieß be&#x017F;änftigte den<lb/>
Zorn des Menelaus; er überließ dem Jünglinge das<lb/>
Roß und nahm &#x017F;ich den dritten Preis, das Becken. Zwei<lb/>
Talente Goldes als vierten Kampfpreis erhub Meriones;<lb/>
den übrigen fünften, einen vom Feuer noch unberührten<lb/>
Mi&#x017F;chbecher mit Henkeln, überließ Achilles dem Ne&#x017F;tor als<lb/>
Ge&#x017F;chenk.</p><lb/>
          <p>Nun wurde zum Fau&#x017F;tkampfe ge&#x017F;chritten, und dem<lb/>
Sieger ein Maulthier, dem Be&#x017F;iegten ein Henkelbecher<lb/>
be&#x017F;timmt. Sogleich erhub &#x017F;ich ein kraftvoller, gewaltiger<lb/>
Mann, Ep<hi rendition="#aq">ë</hi>us, der Sohn des Panopeus, faßte das Thier<lb/>
und rief: &#x201E;Die&#x017F;es i&#x017F;t mein, den Becher nehme wer will!<lb/>
Das aber verkünde ich: der Leib wird ihm von meiner<lb/>
Fau&#x017F;t zer&#x017F;chmettert, und die Gebeine zermalm' ich ihm!&#x201C;<lb/>
Auf die&#x017F;en Gruß ver&#x017F;tummten alle Helden, bis &#x017F;ich Eurya¬<lb/>
lus, des Meki&#x017F;theus Sohn, ihm gegürtet und kampfbereit<lb/>
entgegen&#x017F;tellte. Bald kreuzten &#x017F;ich ihre Arme, die Fäu&#x017F;te<lb/>
klat&#x017F;chten auf den Kiefern, der Ang&#x017F;t&#x017F;chweiß floß ihnen<lb/>
von den Gliedern. Endlich ver&#x017F;etzte Ep<hi rendition="#aq">ë</hi>us &#x017F;einem Geg¬<lb/>
ner einen Streich auf den Backen, daß er zu Boden fiel,<lb/>
wie ein Fi&#x017F;ch, der aus der Welle aufs Ufergras ge&#x017F;prungen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[296/0318] „Mir gehört der zweite Preis,“ ſprach er, „die herrliche ungezähmte, ſechsjährige Stute; bedauerſt du jenen, ſo haſt du Gold, Erz, Vieh, Roſſe und Mägde genug im Zelte, gib ihm davon, was du willſt!“ Achilles lächelte, ſprach ſeinem lieben Altersgenoſſen das Roß zu, und ſchenkte dem Eumelus einen herrlichen Harniſch. Aber Menelaus beſchuldigte nun ſeinerſeits den Antilochus, ihm die Roſſe mit Liſt gehindert zu haben, und ſann ihm einen Eid beim Schöpfer des Roſſes, Poſeidon, an. Der be¬ ſchämte Jüngling geſtand ſein Vergehen, und führte die gewonnene Stute dem Atriden zu. Dieß beſänftigte den Zorn des Menelaus; er überließ dem Jünglinge das Roß und nahm ſich den dritten Preis, das Becken. Zwei Talente Goldes als vierten Kampfpreis erhub Meriones; den übrigen fünften, einen vom Feuer noch unberührten Miſchbecher mit Henkeln, überließ Achilles dem Neſtor als Geſchenk. Nun wurde zum Fauſtkampfe geſchritten, und dem Sieger ein Maulthier, dem Beſiegten ein Henkelbecher beſtimmt. Sogleich erhub ſich ein kraftvoller, gewaltiger Mann, Epëus, der Sohn des Panopeus, faßte das Thier und rief: „Dieſes iſt mein, den Becher nehme wer will! Das aber verkünde ich: der Leib wird ihm von meiner Fauſt zerſchmettert, und die Gebeine zermalm' ich ihm!“ Auf dieſen Gruß verſtummten alle Helden, bis ſich Eurya¬ lus, des Mekiſtheus Sohn, ihm gegürtet und kampfbereit entgegenſtellte. Bald kreuzten ſich ihre Arme, die Fäuſte klatſchten auf den Kiefern, der Angſtſchweiß floß ihnen von den Gliedern. Endlich verſetzte Epëus ſeinem Geg¬ ner einen Streich auf den Backen, daß er zu Boden fiel, wie ein Fiſch, der aus der Welle aufs Ufergras geſprungen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/318
Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/318>, abgerufen am 21.05.2024.