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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839.

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verflossen ist, und der Held ihn mit jedem Sonnenaufgang ohne
Mitleid um das Grab seines Freundes schleift. Du wür¬
dest dich selbst verwundern, wenn du sähest, wie frisch und
thauig er daliegt, vom Blute gereinigt, alle Wunden ge¬
schlossen. Selbst im Tode pflegen die Götter noch seiner."
Voll Freude langte Priamus den herrlichen Becher hervor,
den er bei sich im Wagen liegen hatte. "Nimm ihn,"
sprach er, "verleih' mir deinen Schutz dafür, und geleite
mich zum Zelte deines Herrn." Merkurius, als scheute
er sich, ohne Achilles Wissen Geschenke zu nehmen, wies
die Gabe ab, schwang sich jedoch zu dem Helden in den
Wagen, ergriff Zaum und Geißel, und bald hatten sie
Graben und Mauer erreicht. Hier fanden sie die Hüter
eben mit ihrem Abendmahle beschäftigt. Doch ein Wink
des Gottes versenkte sie in tiefen Schlaf, und ein Druck
seiner Hand schob den Riegel vom Thore. So gelangte
Priamus mit seinem Lastwagen glücklich vor die Lager¬
hütte des Peliden, die hoch aus Balken gebaut, und mit
Schilf bedeckt, auch mit einem geräumigen Hofe umgeben
war, den eine dichte Reihe von Pfählen umschloß. Nur
ein einziger tannener Riegel verschloß die Pforte, aber so
schwer, daß nur drei starke Griechen ihn vor oder zurück
schieben konnten; nur Achilles selbst brauchte keine Beihülfe
dazu. Jetzt aber öffnete Hermes das Thor ohne Mühe,
stieg vom Wagen, gab sich als Gott zu erkennen und ver¬
schwand, nachdem er dem Greis gerathen, des Helden
Kniee zu umfassen, und ihn bei Vater und Mutter zu
beschwören.

Priamus sprang jetzt auch vom Wagen, und übergab
dem Idäus Rosse und Maulthiere. Er selbst ging gera¬
den Weges auf die Wohnung zu, wo Achilles saß. Er

verfloſſen iſt, und der Held ihn mit jedem Sonnenaufgang ohne
Mitleid um das Grab ſeines Freundes ſchleift. Du wür¬
deſt dich ſelbſt verwundern, wenn du ſäheſt, wie friſch und
thauig er daliegt, vom Blute gereinigt, alle Wunden ge¬
ſchloſſen. Selbſt im Tode pflegen die Götter noch ſeiner.“
Voll Freude langte Priamus den herrlichen Becher hervor,
den er bei ſich im Wagen liegen hatte. „Nimm ihn,“
ſprach er, „verleih' mir deinen Schutz dafür, und geleite
mich zum Zelte deines Herrn.“ Merkurius, als ſcheute
er ſich, ohne Achilles Wiſſen Geſchenke zu nehmen, wies
die Gabe ab, ſchwang ſich jedoch zu dem Helden in den
Wagen, ergriff Zaum und Geißel, und bald hatten ſie
Graben und Mauer erreicht. Hier fanden ſie die Hüter
eben mit ihrem Abendmahle beſchäftigt. Doch ein Wink
des Gottes verſenkte ſie in tiefen Schlaf, und ein Druck
ſeiner Hand ſchob den Riegel vom Thore. So gelangte
Priamus mit ſeinem Laſtwagen glücklich vor die Lager¬
hütte des Peliden, die hoch aus Balken gebaut, und mit
Schilf bedeckt, auch mit einem geräumigen Hofe umgeben
war, den eine dichte Reihe von Pfählen umſchloß. Nur
ein einziger tannener Riegel verſchloß die Pforte, aber ſo
ſchwer, daß nur drei ſtarke Griechen ihn vor oder zurück
ſchieben konnten; nur Achilles ſelbſt brauchte keine Beihülfe
dazu. Jetzt aber öffnete Hermes das Thor ohne Mühe,
ſtieg vom Wagen, gab ſich als Gott zu erkennen und ver¬
ſchwand, nachdem er dem Greis gerathen, des Helden
Kniee zu umfaſſen, und ihn bei Vater und Mutter zu
beſchwören.

Priamus ſprang jetzt auch vom Wagen, und übergab
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den Weges auf die Wohnung zu, wo Achilles ſaß. Er

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[306/0328] verfloſſen iſt, und der Held ihn mit jedem Sonnenaufgang ohne Mitleid um das Grab ſeines Freundes ſchleift. Du wür¬ deſt dich ſelbſt verwundern, wenn du ſäheſt, wie friſch und thauig er daliegt, vom Blute gereinigt, alle Wunden ge¬ ſchloſſen. Selbſt im Tode pflegen die Götter noch ſeiner.“ Voll Freude langte Priamus den herrlichen Becher hervor, den er bei ſich im Wagen liegen hatte. „Nimm ihn,“ ſprach er, „verleih' mir deinen Schutz dafür, und geleite mich zum Zelte deines Herrn.“ Merkurius, als ſcheute er ſich, ohne Achilles Wiſſen Geſchenke zu nehmen, wies die Gabe ab, ſchwang ſich jedoch zu dem Helden in den Wagen, ergriff Zaum und Geißel, und bald hatten ſie Graben und Mauer erreicht. Hier fanden ſie die Hüter eben mit ihrem Abendmahle beſchäftigt. Doch ein Wink des Gottes verſenkte ſie in tiefen Schlaf, und ein Druck ſeiner Hand ſchob den Riegel vom Thore. So gelangte Priamus mit ſeinem Laſtwagen glücklich vor die Lager¬ hütte des Peliden, die hoch aus Balken gebaut, und mit Schilf bedeckt, auch mit einem geräumigen Hofe umgeben war, den eine dichte Reihe von Pfählen umſchloß. Nur ein einziger tannener Riegel verſchloß die Pforte, aber ſo ſchwer, daß nur drei ſtarke Griechen ihn vor oder zurück ſchieben konnten; nur Achilles ſelbſt brauchte keine Beihülfe dazu. Jetzt aber öffnete Hermes das Thor ohne Mühe, ſtieg vom Wagen, gab ſich als Gott zu erkennen und ver¬ ſchwand, nachdem er dem Greis gerathen, des Helden Kniee zu umfaſſen, und ihn bei Vater und Mutter zu beſchwören. Priamus ſprang jetzt auch vom Wagen, und übergab dem Idäus Roſſe und Maulthiere. Er ſelbſt ging gera¬ den Weges auf die Wohnung zu, wo Achilles ſaß. Er

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/328>, abgerufen am 22.11.2024.