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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839.

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hub den Greis, voll Mitleid mit seinem grauen Haupt
und Bart, an der Hand auf und sprach: "Armer, für¬
wahr, viel Weh hast du erduldet, und jetzt, welch ein
Muth, so allein zu den Schiffen der Danaer zu wandeln,
und einem Manne vor die Augen zu treten, der dir so
viel und so tapfere Söhne erschlagen hat! Du mußt ja
ein eisernes Herz im Busen tragen! Aber wohlan, setz
dich auf den Sessel, laß uns den Kummer ein wenig be¬
ruhigen, so sehr er uns von Herzen geht, wir schaffen ja
doch nichts mit unserer Schwermuth. Das ist nun einmal
das Schicksal, das die Götter den elenden Sterblichen
bestimmt haben, Gram zu erdulden, während sie selbst
ohne Sorge sind. Denn zwei Fässer stehen an der
Schwelle von Jupiters Behausung, das eine voll Gaben
des Unglücks, das andere voll Gaben des Heils. Wem
der Gott vermischt austheilt, den trifft abwechselnd bald
ein böses, bald ein gutes Loos; wem er nur Weh aus¬
theilt, den stoßt er in Schande, der wird von herzzerfres¬
sender Noth über die Erde hin verfolgt. So schenkten
die Götter dem Peleus zwar herrliche Gaben, Habe,
Macht, ja selbst eine Unsterbliche zur Gattin; doch hat
ihm ein Himmlischer auch Böses gegeben, denn ihm ward
ein einziger Sohn, der frühe hinwelken wird, der des
Alternden so gar nicht pflegen kann, denn hier in weiter
Ferne sitze ich vor Troja und betrübe dich und die Deini¬
gen. Auch dich, o Greis, priesen die Völker vormals
glückselig, jetzt aber haben die Olympischen dir dieses Leid
gesandt, und seitdem tobt nur Schlacht und Mord um
deine Mauern. So duld' es denn und jammere nicht
unablässig, du kannst deinen edlen Sohn doch nicht wieder
aufwecken!"

hub den Greis, voll Mitleid mit ſeinem grauen Haupt
und Bart, an der Hand auf und ſprach: „Armer, für¬
wahr, viel Weh haſt du erduldet, und jetzt, welch ein
Muth, ſo allein zu den Schiffen der Danaer zu wandeln,
und einem Manne vor die Augen zu treten, der dir ſo
viel und ſo tapfere Söhne erſchlagen hat! Du mußt ja
ein eiſernes Herz im Buſen tragen! Aber wohlan, ſetz
dich auf den Seſſel, laß uns den Kummer ein wenig be¬
ruhigen, ſo ſehr er uns von Herzen geht, wir ſchaffen ja
doch nichts mit unſerer Schwermuth. Das iſt nun einmal
das Schickſal, das die Götter den elenden Sterblichen
beſtimmt haben, Gram zu erdulden, während ſie ſelbſt
ohne Sorge ſind. Denn zwei Fäſſer ſtehen an der
Schwelle von Jupiters Behauſung, das eine voll Gaben
des Unglücks, das andere voll Gaben des Heils. Wem
der Gott vermiſcht austheilt, den trifft abwechſelnd bald
ein böſes, bald ein gutes Loos; wem er nur Weh aus¬
theilt, den ſtoßt er in Schande, der wird von herzzerfreſ¬
ſender Noth über die Erde hin verfolgt. So ſchenkten
die Götter dem Peleus zwar herrliche Gaben, Habe,
Macht, ja ſelbſt eine Unſterbliche zur Gattin; doch hat
ihm ein Himmliſcher auch Böſes gegeben, denn ihm ward
ein einziger Sohn, der frühe hinwelken wird, der des
Alternden ſo gar nicht pflegen kann, denn hier in weiter
Ferne ſitze ich vor Troja und betrübe dich und die Deini¬
gen. Auch dich, o Greis, prieſen die Völker vormals
glückſelig, jetzt aber haben die Olympiſchen dir dieſes Leid
geſandt, und ſeitdem tobt nur Schlacht und Mord um
deine Mauern. So duld' es denn und jammere nicht
unabläſſig, du kannſt deinen edlen Sohn doch nicht wieder
aufwecken!“

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[308/0330] hub den Greis, voll Mitleid mit ſeinem grauen Haupt und Bart, an der Hand auf und ſprach: „Armer, für¬ wahr, viel Weh haſt du erduldet, und jetzt, welch ein Muth, ſo allein zu den Schiffen der Danaer zu wandeln, und einem Manne vor die Augen zu treten, der dir ſo viel und ſo tapfere Söhne erſchlagen hat! Du mußt ja ein eiſernes Herz im Buſen tragen! Aber wohlan, ſetz dich auf den Seſſel, laß uns den Kummer ein wenig be¬ ruhigen, ſo ſehr er uns von Herzen geht, wir ſchaffen ja doch nichts mit unſerer Schwermuth. Das iſt nun einmal das Schickſal, das die Götter den elenden Sterblichen beſtimmt haben, Gram zu erdulden, während ſie ſelbſt ohne Sorge ſind. Denn zwei Fäſſer ſtehen an der Schwelle von Jupiters Behauſung, das eine voll Gaben des Unglücks, das andere voll Gaben des Heils. Wem der Gott vermiſcht austheilt, den trifft abwechſelnd bald ein böſes, bald ein gutes Loos; wem er nur Weh aus¬ theilt, den ſtoßt er in Schande, der wird von herzzerfreſ¬ ſender Noth über die Erde hin verfolgt. So ſchenkten die Götter dem Peleus zwar herrliche Gaben, Habe, Macht, ja ſelbſt eine Unſterbliche zur Gattin; doch hat ihm ein Himmliſcher auch Böſes gegeben, denn ihm ward ein einziger Sohn, der frühe hinwelken wird, der des Alternden ſo gar nicht pflegen kann, denn hier in weiter Ferne ſitze ich vor Troja und betrübe dich und die Deini¬ gen. Auch dich, o Greis, prieſen die Völker vormals glückſelig, jetzt aber haben die Olympiſchen dir dieſes Leid geſandt, und ſeitdem tobt nur Schlacht und Mord um deine Mauern. So duld' es denn und jammere nicht unabläſſig, du kannſt deinen edlen Sohn doch nicht wieder aufwecken!“

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/330>, abgerufen am 21.11.2024.