Beete voll duftender Blumen; auch flossen in dem Raume zwei Quellen: die eine durchschlängelte den Garten, die andere quoll unter der Schwelle des Hofes am hohen Palaste selbst; und aus ihr schöpften sich die Bürger ihr Wasser.
Nachdem Odysseus alle die Herrlichkeiten eine gute Weile bewundert, betrat er den Palast und eilte nach dem Saale des Königes. Hier waren die vornehmen Phäaken zu einem Schmause versammelt. Weil aber der Tag sich neigte, gedachten sie des Schlafes, und spen¬ deten eben am Schlusse des Mahles dem Hermes ein Trankopfer. Odysseus durchwandelte noch in Nebel ge¬ hüllt ihre Reihen, bis er vor dem Königspaar angelangt war. Da zerfloß auf Athene's Wink das Dunkel um ihn her; er warf sich vor der Königin Arete schutzflehend nieder, umfing ihre Kniee und rief: "O Arete, Rexenors hohe Tochter, flehend liege ich vor dir und deinem Ge¬ mahl! Mögen die Götter euch Heil und Leben schenken, so gewiß ihr mir, dem Verirrten, Wiederkehr in die Hei¬ math bereitet! denn ferne von den Meinigen streife ich schon lange in der Verbannung umher!" So sprach der Held und setzte sich am Heerd in die Asche nieder, neben dem brennenden Feuer. Die Phäaken schwiegen alle bei dem unerwarteten Anblicke staunend; bis endlich der graue, welterfahrere Held Echeneos, der älteste unter den Gästen, das Schweigen brach und vor der Versamm¬ lung zu dem Könige gewendet, also begann: "Fürwahr, Alcinous, es ziemt sich nicht, daß irgendwo auf der Erde ein Fremdling in der Asche sitze. Gewiß denken meine Mitgäste, wie ich, und erwarten nur deinen Befehl. Laß darum den Fremden auf einem der schmucken Sessel
Beete voll duftender Blumen; auch floſſen in dem Raume zwei Quellen: die eine durchſchlängelte den Garten, die andere quoll unter der Schwelle des Hofes am hohen Palaſte ſelbſt; und aus ihr ſchöpften ſich die Bürger ihr Waſſer.
Nachdem Odyſſeus alle die Herrlichkeiten eine gute Weile bewundert, betrat er den Palaſt und eilte nach dem Saale des Königes. Hier waren die vornehmen Phäaken zu einem Schmauſe verſammelt. Weil aber der Tag ſich neigte, gedachten ſie des Schlafes, und ſpen¬ deten eben am Schluſſe des Mahles dem Hermes ein Trankopfer. Odyſſeus durchwandelte noch in Nebel ge¬ hüllt ihre Reihen, bis er vor dem Königspaar angelangt war. Da zerfloß auf Athene's Wink das Dunkel um ihn her; er warf ſich vor der Königin Arete ſchutzflehend nieder, umfing ihre Kniee und rief: „O Arete, Rexenors hohe Tochter, flehend liege ich vor dir und deinem Ge¬ mahl! Mögen die Götter euch Heil und Leben ſchenken, ſo gewiß ihr mir, dem Verirrten, Wiederkehr in die Hei¬ math bereitet! denn ferne von den Meinigen ſtreife ich ſchon lange in der Verbannung umher!“ So ſprach der Held und ſetzte ſich am Heerd in die Aſche nieder, neben dem brennenden Feuer. Die Phäaken ſchwiegen alle bei dem unerwarteten Anblicke ſtaunend; bis endlich der graue, welterfahrere Held Echeneos, der älteſte unter den Gäſten, das Schweigen brach und vor der Verſamm¬ lung zu dem Könige gewendet, alſo begann: „Fürwahr, Alcinous, es ziemt ſich nicht, daß irgendwo auf der Erde ein Fremdling in der Aſche ſitze. Gewiß denken meine Mitgäſte, wie ich, und erwarten nur deinen Befehl. Laß darum den Fremden auf einem der ſchmucken Seſſel
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Beete voll duftender Blumen; auch floſſen in dem Raume
zwei Quellen: die eine durchſchlängelte den Garten, die
andere quoll unter der Schwelle des Hofes am hohen
Palaſte ſelbſt; und aus ihr ſchöpften ſich die Bürger
ihr Waſſer.
Nachdem Odyſſeus alle die Herrlichkeiten eine gute
Weile bewundert, betrat er den Palaſt und eilte nach
dem Saale des Königes. Hier waren die vornehmen
Phäaken zu einem Schmauſe verſammelt. Weil aber der
Tag ſich neigte, gedachten ſie des Schlafes, und ſpen¬
deten eben am Schluſſe des Mahles dem Hermes ein
Trankopfer. Odyſſeus durchwandelte noch in Nebel ge¬
hüllt ihre Reihen, bis er vor dem Königspaar angelangt
war. Da zerfloß auf Athene's Wink das Dunkel um
ihn her; er warf ſich vor der Königin Arete ſchutzflehend
nieder, umfing ihre Kniee und rief: „O Arete, Rexenors
hohe Tochter, flehend liege ich vor dir und deinem Ge¬
mahl! Mögen die Götter euch Heil und Leben ſchenken,
ſo gewiß ihr mir, dem Verirrten, Wiederkehr in die Hei¬
math bereitet! denn ferne von den Meinigen ſtreife ich
ſchon lange in der Verbannung umher!“ So ſprach
der Held und ſetzte ſich am Heerd in die Aſche nieder,
neben dem brennenden Feuer. Die Phäaken ſchwiegen
alle bei dem unerwarteten Anblicke ſtaunend; bis endlich
der graue, welterfahrere Held Echeneos, der älteſte unter
den Gäſten, das Schweigen brach und vor der Verſamm¬
lung zu dem Könige gewendet, alſo begann: „Fürwahr,
Alcinous, es ziemt ſich nicht, daß irgendwo auf der Erde
ein Fremdling in der Aſche ſitze. Gewiß denken meine
Mitgäſte, wie ich, und erwarten nur deinen Befehl. Laß
darum den Fremden auf einem der ſchmucken Seſſel
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/132>, abgerufen am 24.11.2024.
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