auf's Ruder und zwei von ihnen, Eurylochus und Peri¬ medes, kamen herbei und legten mir, wie ich früher befohlen hatte, noch viel stärkere Stricke an und schnür¬ ten auch die alten fester zusammen. Erst als wir glück¬ lich vorüber gesteuert und ganz ausser dem Bereiche der Sirenenstimmen waren, nahmen meine Freunde sich selbst das Wachs aus den Ohren und mir lösten sie die Fesseln wieder. Ich aber dankte ihnen herzlich für ihre Beharr¬ lichkeit.
Kaum waren wir etwas vorwärts gerudert, als ich von ferne Wasserstaub und eine mächtige Brandung ge¬ wahr wurde. Das war die Charybdis, ein täglich drei¬ mal unter einem Fels hervorquellender und wieder zurück¬ wallender Strudel, der jedes Schiff verschlingt, das in seinen Rachen geräth. Meinen Begleitern fuhren die Ruder vor Schrecken aus der Hand; sie flossen dem Strome nach, und das Schiff stand stille. Ich selbst sprang von meinem Sitze auf, durcheilte das Schiff und sprach den Freunden, von Mann zu Manne gehend, Muth ein. "Lieben Freunde," sagte ich, "wir sind ja keine Neulinge in den Gefahren. Was auch kommen mag, ein größeres Leid als in der Höhle des Cyklopen, kann uns nicht betreffen; und doch half euch dort meine Klugheit hinaus. Drum, gehorchet mir nur Alle. Bleibt fest auf euren Bänken sitzen, und schlaget muthig mit den Ru¬ dern" -- denn sie hatten sie wieder gefangen -- "auf die Brandung los. Ich denke, Jupiter hilft uns durch schleunige Flucht aus dieser Noth. Du aber, Steuer¬ mann, nimm alle deine Besinnung zusammen und lenke das Schiff durch Schaum und Brandung so gut du kannst! Arbeite dich an den Fels hin, damit du nicht
auf's Ruder und zwei von ihnen, Eurylochus und Peri¬ medes, kamen herbei und legten mir, wie ich früher befohlen hatte, noch viel ſtärkere Stricke an und ſchnür¬ ten auch die alten feſter zuſammen. Erſt als wir glück¬ lich vorüber geſteuert und ganz auſſer dem Bereiche der Sirenenſtimmen waren, nahmen meine Freunde ſich ſelbſt das Wachs aus den Ohren und mir löſten ſie die Feſſeln wieder. Ich aber dankte ihnen herzlich für ihre Beharr¬ lichkeit.
Kaum waren wir etwas vorwärts gerudert, als ich von ferne Waſſerſtaub und eine mächtige Brandung ge¬ wahr wurde. Das war die Charybdis, ein täglich drei¬ mal unter einem Fels hervorquellender und wieder zurück¬ wallender Strudel, der jedes Schiff verſchlingt, das in ſeinen Rachen geräth. Meinen Begleitern fuhren die Ruder vor Schrecken aus der Hand; ſie floſſen dem Strome nach, und das Schiff ſtand ſtille. Ich ſelbſt ſprang von meinem Sitze auf, durcheilte das Schiff und ſprach den Freunden, von Mann zu Manne gehend, Muth ein. „Lieben Freunde,“ ſagte ich, „wir ſind ja keine Neulinge in den Gefahren. Was auch kommen mag, ein größeres Leid als in der Höhle des Cyklopen, kann uns nicht betreffen; und doch half euch dort meine Klugheit hinaus. Drum, gehorchet mir nur Alle. Bleibt feſt auf euren Bänken ſitzen, und ſchlaget muthig mit den Ru¬ dern“ — denn ſie hatten ſie wieder gefangen — „auf die Brandung los. Ich denke, Jupiter hilft uns durch ſchleunige Flucht aus dieſer Noth. Du aber, Steuer¬ mann, nimm alle deine Beſinnung zuſammen und lenke das Schiff durch Schaum und Brandung ſo gut du kannſt! Arbeite dich an den Fels hin, damit du nicht
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auf's Ruder und zwei von ihnen, Eurylochus und Peri¬
medes, kamen herbei und legten mir, wie ich früher
befohlen hatte, noch viel ſtärkere Stricke an und ſchnür¬
ten auch die alten feſter zuſammen. Erſt als wir glück¬
lich vorüber geſteuert und ganz auſſer dem Bereiche der
Sirenenſtimmen waren, nahmen meine Freunde ſich ſelbſt
das Wachs aus den Ohren und mir löſten ſie die Feſſeln
wieder. Ich aber dankte ihnen herzlich für ihre Beharr¬
lichkeit.
Kaum waren wir etwas vorwärts gerudert, als ich
von ferne Waſſerſtaub und eine mächtige Brandung ge¬
wahr wurde. Das war die Charybdis, ein täglich drei¬
mal unter einem Fels hervorquellender und wieder zurück¬
wallender Strudel, der jedes Schiff verſchlingt, das in
ſeinen Rachen geräth. Meinen Begleitern fuhren die
Ruder vor Schrecken aus der Hand; ſie floſſen dem
Strome nach, und das Schiff ſtand ſtille. Ich ſelbſt
ſprang von meinem Sitze auf, durcheilte das Schiff und
ſprach den Freunden, von Mann zu Manne gehend, Muth
ein. „Lieben Freunde,“ ſagte ich, „wir ſind ja keine
Neulinge in den Gefahren. Was auch kommen mag, ein
größeres Leid als in der Höhle des Cyklopen, kann uns
nicht betreffen; und doch half euch dort meine Klugheit
hinaus. Drum, gehorchet mir nur Alle. Bleibt feſt auf
euren Bänken ſitzen, und ſchlaget muthig mit den Ru¬
dern“ — denn ſie hatten ſie wieder gefangen — „auf
die Brandung los. Ich denke, Jupiter hilft uns durch
ſchleunige Flucht aus dieſer Noth. Du aber, Steuer¬
mann, nimm alle deine Beſinnung zuſammen und lenke
das Schiff durch Schaum und Brandung ſo gut du
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/184>, abgerufen am 22.11.2024.
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