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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

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mit Fett und Blut gefüllt war, Amphinomus aber brachte
zwei Brode aus dem Korb herbei, füllte einen Becher
mit Wein, und trank ihn unter Handschlag dem Sieger
zu, indem er sagte: "Auf dein Wohlergehen, fremder
Vater, mögest du künftig von aller Trübsal frei seyn!"
Odysseus blickte ihm ernsthaft ins Auge und erwiederte:
"Amphinomus, du scheinst mir ein recht verständiger
Jüngling zu seyn, und bist eines angesehenen Mannes
Kind. Nimm dir mein Wort zu Herzen! Es giebt
nichts Eitleres und Unbeständigeres auf Erden, als der
Mensch ist; so lang ihn die Götter begünstigen, meint
er, die Zukunft könne ihm nichts Böses bringen; und
wenn nun das Traurige kommt, so findet er keinen Muth
in sich, es zu ertragen. Ich selbst habe das erfahren,
und habe, im Vertrauen auf meine Jugendstärke, in
glücklichen Tagen auch manches gethan, was ich nicht
hätte sollen. Drum warne ich einen Jeden, im Uebermuthe
nicht zu freveln, und rathe ihm, die Gaben der Götter
in Demuth zu empfangen. So ist es auch nicht klug,
daß die Freier sich jetzt so trotzig geberden, und der
Gattin des Mannes so viel Schmach anthun, der schwer¬
lich lange mehr von seiner Heimath entfernt, der viel¬
leicht so nahe ist! Möge dich, Amphinomus, ein guter
Dämon aus dem Hause hinwegführen, ehe du Jenem
begegnest!" So sprach Odysseus, goß eine Spende aus,
trank und gab dann den Becher dem Jüngling zurück.
Der Freier senkte nachdenklich sein Haupt, und schritt
betrübt durch den Saal, als ahnete ihm etwas Schlim¬
mes. Dennoch entrann er dem Verhängnisse nicht, das
ihm Athene bestimmt hatte.


mit Fett und Blut gefüllt war, Amphinomus aber brachte
zwei Brode aus dem Korb herbei, füllte einen Becher
mit Wein, und trank ihn unter Handſchlag dem Sieger
zu, indem er ſagte: „Auf dein Wohlergehen, fremder
Vater, mögeſt du künftig von aller Trübſal frei ſeyn!“
Odyſſeus blickte ihm ernſthaft ins Auge und erwiederte:
„Amphinomus, du ſcheinſt mir ein recht verſtändiger
Jüngling zu ſeyn, und biſt eines angeſehenen Mannes
Kind. Nimm dir mein Wort zu Herzen! Es giebt
nichts Eitleres und Unbeſtändigeres auf Erden, als der
Menſch iſt; ſo lang ihn die Götter begünſtigen, meint
er, die Zukunft könne ihm nichts Böſes bringen; und
wenn nun das Traurige kommt, ſo findet er keinen Muth
in ſich, es zu ertragen. Ich ſelbſt habe das erfahren,
und habe, im Vertrauen auf meine Jugendſtärke, in
glücklichen Tagen auch manches gethan, was ich nicht
hätte ſollen. Drum warne ich einen Jeden, im Uebermuthe
nicht zu freveln, und rathe ihm, die Gaben der Götter
in Demuth zu empfangen. So iſt es auch nicht klug,
daß die Freier ſich jetzt ſo trotzig geberden, und der
Gattin des Mannes ſo viel Schmach anthun, der ſchwer¬
lich lange mehr von ſeiner Heimath entfernt, der viel¬
leicht ſo nahe iſt! Möge dich, Amphinomus, ein guter
Dämon aus dem Hauſe hinwegführen, ehe du Jenem
begegneſt!“ So ſprach Odyſſeus, goß eine Spende aus,
trank und gab dann den Becher dem Jüngling zurück.
Der Freier ſenkte nachdenklich ſein Haupt, und ſchritt
betrübt durch den Saal, als ahnete ihm etwas Schlim¬
mes. Dennoch entrann er dem Verhängniſſe nicht, das
ihm Athene beſtimmt hatte.


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[228/0250] mit Fett und Blut gefüllt war, Amphinomus aber brachte zwei Brode aus dem Korb herbei, füllte einen Becher mit Wein, und trank ihn unter Handſchlag dem Sieger zu, indem er ſagte: „Auf dein Wohlergehen, fremder Vater, mögeſt du künftig von aller Trübſal frei ſeyn!“ Odyſſeus blickte ihm ernſthaft ins Auge und erwiederte: „Amphinomus, du ſcheinſt mir ein recht verſtändiger Jüngling zu ſeyn, und biſt eines angeſehenen Mannes Kind. Nimm dir mein Wort zu Herzen! Es giebt nichts Eitleres und Unbeſtändigeres auf Erden, als der Menſch iſt; ſo lang ihn die Götter begünſtigen, meint er, die Zukunft könne ihm nichts Böſes bringen; und wenn nun das Traurige kommt, ſo findet er keinen Muth in ſich, es zu ertragen. Ich ſelbſt habe das erfahren, und habe, im Vertrauen auf meine Jugendſtärke, in glücklichen Tagen auch manches gethan, was ich nicht hätte ſollen. Drum warne ich einen Jeden, im Uebermuthe nicht zu freveln, und rathe ihm, die Gaben der Götter in Demuth zu empfangen. So iſt es auch nicht klug, daß die Freier ſich jetzt ſo trotzig geberden, und der Gattin des Mannes ſo viel Schmach anthun, der ſchwer¬ lich lange mehr von ſeiner Heimath entfernt, der viel¬ leicht ſo nahe iſt! Möge dich, Amphinomus, ein guter Dämon aus dem Hauſe hinwegführen, ehe du Jenem begegneſt!“ So ſprach Odyſſeus, goß eine Spende aus, trank und gab dann den Becher dem Jüngling zurück. Der Freier ſenkte nachdenklich ſein Haupt, und ſchritt betrübt durch den Saal, als ahnete ihm etwas Schlim¬ mes. Dennoch entrann er dem Verhängniſſe nicht, das ihm Athene beſtimmt hatte.

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/250>, abgerufen am 22.11.2024.