Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

nen, denn auf zwei Seiten umschloßen ihn die Trojaner
in dichtem Gedränge, auf der dritten hemmte seinen Lauf
ein Sumpf, und auf der vierten, hinter Latinern und
Rutulern, erhoben sich zugangslos die Mauern der
Stadt. Auch verfolgte den Fliehenden, obgleich noch
von der alten Pfeilwunde entkräftet und im Laufe selbst
ermüdet, Aeneas und bedrängte mit dem Fuße den Fuß
des Bebenden. Jetzt erst entstand unter den zuschauen¬
den Heeren ein rechtes Geschrei, Ufer und Hügel umher
erschollen und donnernd stieg der Ruf zum Himmelsge¬
wölbe empor. Auf der Flucht rief der geängstete Turnus
diesem und jenem Rutuler mit Namen zu und verlangte
sein eigenes Kampfschwert. Aeneas aber bedrohte Jeden,
der ihm nahen würde, mit unausbleiblichem Verderben,
und schreckte mit der Drohung, sich auf die Stadt zu
werfen und sie zu zerstören, alle Herannahenden zurück.

So durchkreisten sie die Bahn fünfmal, denn es
galt kein Spiel und keinen geringen Kampfpreis. In
einem wilden Oelbaume, der sich in mitten des Kampf¬
platzes befand, und dem Faunus geweiht war, dem die
glücklich gelandeten Schiffer hier Weihgeschenke aufzu¬
hängen pflegten, steckte der Speer des Aeneas vom ersten
Kampfwurfe her und hatte sich in der Wurzel des Bau¬
mes gefangen. Beim Vorübereilen kam dem trojanischen
Helden der Gedanke, seinen Speer herauszuziehen und
dem Feind, den er im Laufe nicht einzuholen vermochte,
mit der Lanze zu verfolgen. Außer sich vor Schrecken
sah dieß Turnus und richtete sein Gebet an den ein¬
heimischen Gott Faunus mit den Worten: "O Faun
und gütige Göttin des italischen Bodens, wenn ich euch
immer die schuldigen Ehren erwiesen habe, erbarmt euch

28 *

nen, denn auf zwei Seiten umſchloßen ihn die Trojaner
in dichtem Gedränge, auf der dritten hemmte ſeinen Lauf
ein Sumpf, und auf der vierten, hinter Latinern und
Rutulern, erhoben ſich zugangslos die Mauern der
Stadt. Auch verfolgte den Fliehenden, obgleich noch
von der alten Pfeilwunde entkräftet und im Laufe ſelbſt
ermüdet, Aeneas und bedrängte mit dem Fuße den Fuß
des Bebenden. Jetzt erſt entſtand unter den zuſchauen¬
den Heeren ein rechtes Geſchrei, Ufer und Hügel umher
erſchollen und donnernd ſtieg der Ruf zum Himmelsge¬
wölbe empor. Auf der Flucht rief der geängſtete Turnus
dieſem und jenem Rutuler mit Namen zu und verlangte
ſein eigenes Kampfſchwert. Aeneas aber bedrohte Jeden,
der ihm nahen würde, mit unausbleiblichem Verderben,
und ſchreckte mit der Drohung, ſich auf die Stadt zu
werfen und ſie zu zerſtören, alle Herannahenden zurück.

So durchkreiſten ſie die Bahn fünfmal, denn es
galt kein Spiel und keinen geringen Kampfpreis. In
einem wilden Oelbaume, der ſich in mitten des Kampf¬
platzes befand, und dem Faunus geweiht war, dem die
glücklich gelandeten Schiffer hier Weihgeſchenke aufzu¬
hängen pflegten, ſteckte der Speer des Aeneas vom erſten
Kampfwurfe her und hatte ſich in der Wurzel des Bau¬
mes gefangen. Beim Vorübereilen kam dem trojaniſchen
Helden der Gedanke, ſeinen Speer herauszuziehen und
dem Feind, den er im Laufe nicht einzuholen vermochte,
mit der Lanze zu verfolgen. Außer ſich vor Schrecken
ſah dieß Turnus und richtete ſein Gebet an den ein¬
heimiſchen Gott Faunus mit den Worten: „O Faun
und gütige Göttin des italiſchen Bodens, wenn ich euch
immer die ſchuldigen Ehren erwieſen habe, erbarmt euch

28 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0457" n="435"/>
nen, denn auf zwei Seiten um&#x017F;chloßen ihn die Trojaner<lb/>
in dichtem Gedränge, auf der dritten hemmte &#x017F;einen Lauf<lb/>
ein Sumpf, und auf der vierten, hinter Latinern und<lb/>
Rutulern, erhoben &#x017F;ich zugangslos die Mauern der<lb/>
Stadt. Auch verfolgte den Fliehenden, obgleich noch<lb/>
von der alten Pfeilwunde entkräftet und im Laufe &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
ermüdet, Aeneas und bedrängte mit dem Fuße den Fuß<lb/>
des Bebenden. Jetzt er&#x017F;t ent&#x017F;tand unter den zu&#x017F;chauen¬<lb/>
den Heeren ein rechtes Ge&#x017F;chrei, Ufer und Hügel umher<lb/>
er&#x017F;chollen und donnernd &#x017F;tieg der Ruf zum Himmelsge¬<lb/>
wölbe empor. Auf der Flucht rief der geäng&#x017F;tete Turnus<lb/>
die&#x017F;em und jenem Rutuler mit Namen zu und verlangte<lb/>
&#x017F;ein eigenes Kampf&#x017F;chwert. Aeneas aber bedrohte Jeden,<lb/>
der ihm nahen würde, mit unausbleiblichem Verderben,<lb/>
und &#x017F;chreckte mit der Drohung, &#x017F;ich auf die Stadt zu<lb/>
werfen und &#x017F;ie zu zer&#x017F;tören, alle Herannahenden zurück.</p><lb/>
            <p>So durchkrei&#x017F;ten &#x017F;ie die Bahn fünfmal, denn es<lb/>
galt kein Spiel und keinen geringen Kampfpreis. In<lb/>
einem wilden Oelbaume, der &#x017F;ich in mitten des Kampf¬<lb/>
platzes befand, und dem Faunus geweiht war, dem die<lb/>
glücklich gelandeten Schiffer hier Weihge&#x017F;chenke aufzu¬<lb/>
hängen pflegten, &#x017F;teckte der Speer des Aeneas vom er&#x017F;ten<lb/>
Kampfwurfe her und hatte &#x017F;ich in der Wurzel des Bau¬<lb/>
mes gefangen. Beim Vorübereilen kam dem trojani&#x017F;chen<lb/>
Helden der Gedanke, &#x017F;einen Speer herauszuziehen und<lb/>
dem Feind, den er im Laufe nicht einzuholen vermochte,<lb/>
mit der Lanze zu verfolgen. Außer &#x017F;ich vor Schrecken<lb/>
&#x017F;ah dieß Turnus und richtete &#x017F;ein Gebet an den ein¬<lb/>
heimi&#x017F;chen Gott Faunus mit den Worten: &#x201E;O Faun<lb/>
und gütige Göttin des itali&#x017F;chen Bodens, wenn ich euch<lb/>
immer die &#x017F;chuldigen Ehren erwie&#x017F;en habe, erbarmt euch<lb/>
<fw type="sig" place="bottom">28 *<lb/></fw>
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[435/0457] nen, denn auf zwei Seiten umſchloßen ihn die Trojaner in dichtem Gedränge, auf der dritten hemmte ſeinen Lauf ein Sumpf, und auf der vierten, hinter Latinern und Rutulern, erhoben ſich zugangslos die Mauern der Stadt. Auch verfolgte den Fliehenden, obgleich noch von der alten Pfeilwunde entkräftet und im Laufe ſelbſt ermüdet, Aeneas und bedrängte mit dem Fuße den Fuß des Bebenden. Jetzt erſt entſtand unter den zuſchauen¬ den Heeren ein rechtes Geſchrei, Ufer und Hügel umher erſchollen und donnernd ſtieg der Ruf zum Himmelsge¬ wölbe empor. Auf der Flucht rief der geängſtete Turnus dieſem und jenem Rutuler mit Namen zu und verlangte ſein eigenes Kampfſchwert. Aeneas aber bedrohte Jeden, der ihm nahen würde, mit unausbleiblichem Verderben, und ſchreckte mit der Drohung, ſich auf die Stadt zu werfen und ſie zu zerſtören, alle Herannahenden zurück. So durchkreiſten ſie die Bahn fünfmal, denn es galt kein Spiel und keinen geringen Kampfpreis. In einem wilden Oelbaume, der ſich in mitten des Kampf¬ platzes befand, und dem Faunus geweiht war, dem die glücklich gelandeten Schiffer hier Weihgeſchenke aufzu¬ hängen pflegten, ſteckte der Speer des Aeneas vom erſten Kampfwurfe her und hatte ſich in der Wurzel des Bau¬ mes gefangen. Beim Vorübereilen kam dem trojaniſchen Helden der Gedanke, ſeinen Speer herauszuziehen und dem Feind, den er im Laufe nicht einzuholen vermochte, mit der Lanze zu verfolgen. Außer ſich vor Schrecken ſah dieß Turnus und richtete ſein Gebet an den ein¬ heimiſchen Gott Faunus mit den Worten: „O Faun und gütige Göttin des italiſchen Bodens, wenn ich euch immer die ſchuldigen Ehren erwieſen habe, erbarmt euch 28 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/457
Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 435. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/457>, abgerufen am 05.05.2024.