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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

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die andre, die Feuerathmende, die hat ja meine eigene
Mutter im Arm, und drohet sie auf mich zu schleudern!
Weh mir! Sie erwürgt mich! Wie soll ich ihr entflie¬
hen?"" Von allen diesen Schreckbildern, fuhr der Hirte
fort, war weit und breit nichts zu sehen, sondern er hielt
wohl das Gebrüll der Rinder und das Hundegebell für
Stimmen der Furien. Uns aber faßte alle ein Schre¬
cken, zumal da der Fremdling sein Schwert von der
Seite zog und sich wie rasend auf die Rinderschaar warf,
und ihnen das Eisen in die Bäuche stieß, daß sich bald
die Meeresfluth roth färbte. Endlich ermannten wir
uns, bliesen mit unsern Muscheln das Landvolk zusam¬
men und nahten uns den bewaffneten Fremdlingen in
einem geschlossenen Haufen. Der Rasende, den die Zu¬
ckungen des Wahnsinns allmählig verlassen hatten, stürzte
nun, am Mund von Schaume triefend, zu Boden. Wir
alle wandten uns ihm zu mit Werfen und Schleu¬
dern, während sein Genosse ihm den Schaum abwischte
und seinen eigenen Mantel ihm gewandt um den Leib
schlug. Bald aber sprang der Darniedergeworfene mit
vollem Bewußtseyn wieder auf und wehrte sich seines
Lebens. Zuletzt jedoch mußten sie der Ueberzahl weichen,
wir umschlossen sie in einem Kreise; die wiederholten
Steinwürfe machten, daß ihnen die Waffen aus den
Händen fielen und ihre Kniee ermattet zu Boden sanken.
Nun bemächtigten wir uns ihrer und geleiteten sie zu
Thoas, dem Beherrscher des Landes. Dieser hatte sie
kaum zu Gesichte bekommen, als er auch schon befahl,
die Gefangenen dir als Todesopfer zuzusenden. Flehe
nur, o Jungfrau, daß du recht viel solche Fremdlinge
abzuschlachten bekommst, denn es scheinen recht herrliche

Schwab, das klass. Alterthum. III. 4

die andre, die Feuerathmende, die hat ja meine eigene
Mutter im Arm, und drohet ſie auf mich zu ſchleudern!
Weh mir! Sie erwürgt mich! Wie ſoll ich ihr entflie¬
hen?““ Von allen dieſen Schreckbildern, fuhr der Hirte
fort, war weit und breit nichts zu ſehen, ſondern er hielt
wohl das Gebrüll der Rinder und das Hundegebell für
Stimmen der Furien. Uns aber faßte alle ein Schre¬
cken, zumal da der Fremdling ſein Schwert von der
Seite zog und ſich wie raſend auf die Rinderſchaar warf,
und ihnen das Eiſen in die Bäuche ſtieß, daß ſich bald
die Meeresfluth roth färbte. Endlich ermannten wir
uns, blieſen mit unſern Muſcheln das Landvolk zuſam¬
men und nahten uns den bewaffneten Fremdlingen in
einem geſchloſſenen Haufen. Der Raſende, den die Zu¬
ckungen des Wahnſinns allmählig verlaſſen hatten, ſtürzte
nun, am Mund von Schaume triefend, zu Boden. Wir
alle wandten uns ihm zu mit Werfen und Schleu¬
dern, während ſein Genoſſe ihm den Schaum abwiſchte
und ſeinen eigenen Mantel ihm gewandt um den Leib
ſchlug. Bald aber ſprang der Darniedergeworfene mit
vollem Bewußtſeyn wieder auf und wehrte ſich ſeines
Lebens. Zuletzt jedoch mußten ſie der Ueberzahl weichen,
wir umſchloſſen ſie in einem Kreiſe; die wiederholten
Steinwürfe machten, daß ihnen die Waffen aus den
Händen fielen und ihre Kniee ermattet zu Boden ſanken.
Nun bemächtigten wir uns ihrer und geleiteten ſie zu
Thoas, dem Beherrſcher des Landes. Dieſer hatte ſie
kaum zu Geſichte bekommen, als er auch ſchon befahl,
die Gefangenen dir als Todesopfer zuzuſenden. Flehe
nur, o Jungfrau, daß du recht viel ſolche Fremdlinge
abzuſchlachten bekommſt, denn es ſcheinen recht herrliche

Schwab, das klaſſ. Alterthum. III. 4
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[49/0071] die andre, die Feuerathmende, die hat ja meine eigene Mutter im Arm, und drohet ſie auf mich zu ſchleudern! Weh mir! Sie erwürgt mich! Wie ſoll ich ihr entflie¬ hen?““ Von allen dieſen Schreckbildern, fuhr der Hirte fort, war weit und breit nichts zu ſehen, ſondern er hielt wohl das Gebrüll der Rinder und das Hundegebell für Stimmen der Furien. Uns aber faßte alle ein Schre¬ cken, zumal da der Fremdling ſein Schwert von der Seite zog und ſich wie raſend auf die Rinderſchaar warf, und ihnen das Eiſen in die Bäuche ſtieß, daß ſich bald die Meeresfluth roth färbte. Endlich ermannten wir uns, blieſen mit unſern Muſcheln das Landvolk zuſam¬ men und nahten uns den bewaffneten Fremdlingen in einem geſchloſſenen Haufen. Der Raſende, den die Zu¬ ckungen des Wahnſinns allmählig verlaſſen hatten, ſtürzte nun, am Mund von Schaume triefend, zu Boden. Wir alle wandten uns ihm zu mit Werfen und Schleu¬ dern, während ſein Genoſſe ihm den Schaum abwiſchte und ſeinen eigenen Mantel ihm gewandt um den Leib ſchlug. Bald aber ſprang der Darniedergeworfene mit vollem Bewußtſeyn wieder auf und wehrte ſich ſeines Lebens. Zuletzt jedoch mußten ſie der Ueberzahl weichen, wir umſchloſſen ſie in einem Kreiſe; die wiederholten Steinwürfe machten, daß ihnen die Waffen aus den Händen fielen und ihre Kniee ermattet zu Boden ſanken. Nun bemächtigten wir uns ihrer und geleiteten ſie zu Thoas, dem Beherrſcher des Landes. Dieſer hatte ſie kaum zu Geſichte bekommen, als er auch ſchon befahl, die Gefangenen dir als Todesopfer zuzuſenden. Flehe nur, o Jungfrau, daß du recht viel ſolche Fremdlinge abzuſchlachten bekommſt, denn es ſcheinen recht herrliche Schwab, das klaſſ. Alterthum. III. 4

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/71>, abgerufen am 24.11.2024.