die Versammlung hinein: "Freuet euch immerhin beim Mahle, ihr Freier! aber lärmet mir nicht so! denn das ist eine Lust, dem Sänger in Stille zuzuhorchen! Mor¬ gen wollen wir Rathsversammlung halten; da will ich euch frank und frei den Vorschlag machen, nach Hause zu gehen, denn es ist Zeit, daß ihr euch an eurer eigenen Habe wärmet, und nicht des fremden Mannes Erbgut vollends aufzehret!"
Die Freier bissen sich auf die Lippen, als sie solche Reden hörten, und konnten über die entschlossenen Worte des Jünglings nicht genug staunen. Aber von seinem Vorschlage, zum Vater Penelope's Ikarion zu wandern, wollten sie nichts hören, und zankten sich trotzig mit ihm herum. Endlich brachen sie auf und auch Telemach ging zur Ruhe.
Am andern Morgen sprang er zeitig vom Lager, kleidete sich an und hängte das Schwert um die Schul¬ tern. Dann trat er aus der Kammer hervor und gebot den Herolden, die Versammlung der Bürger zu berufen und lud auch die Freier zu derselben ein. Als das Volk sich gedrängt eingefunden hatte, erschien der Fürstensohn, die Lanze in der Hand; Pallas Athene hatte seiner Ge¬ stalt Hoheit und Anmuth verliehen, so daß alles Volk den Kommenden anstaunte. Selbst die Greise machten ihm ehrerbietig Platz, und er setzte sich auf den Stuhl seines Vaters Odysseus. Da erhub zuerst der Held Aegyptius, von Alter gebückt und reich an Erfahrung, er, dessen ältester Sohn Antiphus schon mit Odysseus vor Troja gezogen war und erst auf dem Rückwege ver¬ unglückte, dessen zweiter Sohn Eurynomus mit unter den Freiern sich befand, während die zwei jüngsten Söhne
die Verſammlung hinein: „Freuet euch immerhin beim Mahle, ihr Freier! aber lärmet mir nicht ſo! denn das iſt eine Luſt, dem Sänger in Stille zuzuhorchen! Mor¬ gen wollen wir Rathsverſammlung halten; da will ich euch frank und frei den Vorſchlag machen, nach Hauſe zu gehen, denn es iſt Zeit, daß ihr euch an eurer eigenen Habe wärmet, und nicht des fremden Mannes Erbgut vollends aufzehret!“
Die Freier biſſen ſich auf die Lippen, als ſie ſolche Reden hörten, und konnten über die entſchloſſenen Worte des Jünglings nicht genug ſtaunen. Aber von ſeinem Vorſchlage, zum Vater Penelope's Ikarion zu wandern, wollten ſie nichts hören, und zankten ſich trotzig mit ihm herum. Endlich brachen ſie auf und auch Telemach ging zur Ruhe.
Am andern Morgen ſprang er zeitig vom Lager, kleidete ſich an und hängte das Schwert um die Schul¬ tern. Dann trat er aus der Kammer hervor und gebot den Herolden, die Verſammlung der Bürger zu berufen und lud auch die Freier zu derſelben ein. Als das Volk ſich gedrängt eingefunden hatte, erſchien der Fürſtenſohn, die Lanze in der Hand; Pallas Athene hatte ſeiner Ge¬ ſtalt Hoheit und Anmuth verliehen, ſo daß alles Volk den Kommenden anſtaunte. Selbſt die Greiſe machten ihm ehrerbietig Platz, und er ſetzte ſich auf den Stuhl ſeines Vaters Odyſſeus. Da erhub zuerſt der Held Aegyptius, von Alter gebückt und reich an Erfahrung, er, deſſen älteſter Sohn Antiphus ſchon mit Odyſſeus vor Troja gezogen war und erſt auf dem Rückwege ver¬ unglückte, deſſen zweiter Sohn Eurynomus mit unter den Freiern ſich befand, während die zwei jüngſten Söhne
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die Verſammlung hinein: „Freuet euch immerhin beim
Mahle, ihr Freier! aber lärmet mir nicht ſo! denn das
iſt eine Luſt, dem Sänger in Stille zuzuhorchen! Mor¬
gen wollen wir Rathsverſammlung halten; da will ich
euch frank und frei den Vorſchlag machen, nach Hauſe zu
gehen, denn es iſt Zeit, daß ihr euch an eurer eigenen
Habe wärmet, und nicht des fremden Mannes Erbgut
vollends aufzehret!“
Die Freier biſſen ſich auf die Lippen, als ſie ſolche
Reden hörten, und konnten über die entſchloſſenen Worte
des Jünglings nicht genug ſtaunen. Aber von ſeinem
Vorſchlage, zum Vater Penelope's Ikarion zu wandern,
wollten ſie nichts hören, und zankten ſich trotzig mit ihm
herum. Endlich brachen ſie auf und auch Telemach
ging zur Ruhe.
Am andern Morgen ſprang er zeitig vom Lager,
kleidete ſich an und hängte das Schwert um die Schul¬
tern. Dann trat er aus der Kammer hervor und gebot
den Herolden, die Verſammlung der Bürger zu berufen
und lud auch die Freier zu derſelben ein. Als das Volk
ſich gedrängt eingefunden hatte, erſchien der Fürſtenſohn,
die Lanze in der Hand; Pallas Athene hatte ſeiner Ge¬
ſtalt Hoheit und Anmuth verliehen, ſo daß alles Volk
den Kommenden anſtaunte. Selbſt die Greiſe machten
ihm ehrerbietig Platz, und er ſetzte ſich auf den Stuhl
ſeines Vaters Odyſſeus. Da erhub zuerſt der Held
Aegyptius, von Alter gebückt und reich an Erfahrung,
er, deſſen älteſter Sohn Antiphus ſchon mit Odyſſeus
vor Troja gezogen war und erſt auf dem Rückwege ver¬
unglückte, deſſen zweiter Sohn Eurynomus mit unter den
Freiern ſich befand, während die zwei jüngſten Söhne
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/96>, abgerufen am 24.11.2024.
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