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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959.

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Vers zukommt und daher die Anrufsrichtung immer wechselt. pse_204.002
So wird der Erlebende in diese rasche und dauernde Bewegungsänderung pse_204.003
hineingerissen. Die rhythmische Geschlossenheit pse_204.004
des Verses wirkt hier entscheidend mit.

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Thoas: Es spricht kein Gott; es spricht dein eignes Herz.
pse_204.006
Iphigenie: Sie reden nur durch unser Herz hindurch.
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Thoas: Und hab ich, sie zu hören, nicht das Recht?
pse_204.008
Iphigenie: Es überbraust der Sturm die zarte Stimme.
pse_204.009
Thoas: Die Priesterin vernimmt sie wohl allein?
pse_204.010
Iphigenie: Vor allem merke sie der Fürst

(Goethe, Iphigenie 1/3)

pse_204.011

Man beachte, wie hier auch die gegensätzlichen Wortgehalte pse_204.012
herausgetrieben werden.

pse_204.013
Sind im Ausruf und Anruf Ursituationen menschlichen pse_204.014
Sprechens in den Stil einer Dichtung hineingenommen, so pse_204.015
treffen wir in der Dynamik des Redevorgangs bereits ein durchgehendes pse_204.016
Bauelement dichterischer Sprache. Dabei wird pse_204.017
deutlich, daß sich die Stilkräfte verbinden können. Auch im pse_204.018
Ausruf und Anruf kann diese Dynamik wirken, auch in pse_204.019
ihnen gibt es sprachliche Bilder (vgl. den vierten der gerade pse_204.020
angeführten Verse). Wir berühren damit eine weitere Tatsache pse_204.021
der dichterischen Sprache und ihrer Struktur. Die Dynamik, pse_204.022
mit der die dichterische Rede abläuft, wird Wirklichkeit pse_204.023
in der Reihung der Worte, im Satzbau, in der Kürze pse_204.024
oder Länge von Gruppen, im Rhythmus, im Tempo usw. pse_204.025
Hier sehen wir deutlich, wie die Werte der Erfahrungsgestaltung pse_204.026
und der Lautung zusammengehen. In der folgenden pse_204.027
Gegenüberstellung wirkt auch der Unterschied des steigenden pse_204.028
und fallenden Rhythmus, natürlich neben dem Wortgehalt pse_204.029
und auch dem Vokalklang:

pse_204.030

Bedecke deinen Himmel, Zeus, pse_204.031
Mit Wolkendunst pse_204.032
Und übe, dem Knaben gleich, pse_204.033
Der Disteln köpft, pse_204.034
An Eichen dich und Bergeshöhn ...
pse_204.035
   (Goethe, Prometheus)

pse_204.036

Wenn der uralte, pse_204.037
Heilige Vater pse_204.038
Mit gelassener Hand pse_204.039
Aus rollenden Wolken

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Vers zukommt und daher die Anrufsrichtung immer wechselt. pse_204.002
So wird der Erlebende in diese rasche und dauernde Bewegungsänderung pse_204.003
hineingerissen. Die rhythmische Geschlossenheit pse_204.004
des Verses wirkt hier entscheidend mit.

pse_204.005
Thoas: Es spricht kein Gott; es spricht dein eignes Herz.
pse_204.006
Iphigenie: Sie reden nur durch unser Herz hindurch.
pse_204.007
Thoas: Und hab ich, sie zu hören, nicht das Recht?
pse_204.008
Iphigenie: Es überbraust der Sturm die zarte Stimme.
pse_204.009
Thoas: Die Priesterin vernimmt sie wohl allein?
pse_204.010
Iphigenie: Vor allem merke sie der Fürst

(Goethe, Iphigenie 1/3)

pse_204.011

Man beachte, wie hier auch die gegensätzlichen Wortgehalte pse_204.012
herausgetrieben werden.

pse_204.013
Sind im Ausruf und Anruf Ursituationen menschlichen pse_204.014
Sprechens in den Stil einer Dichtung hineingenommen, so pse_204.015
treffen wir in der Dynamik des Redevorgangs bereits ein durchgehendes pse_204.016
Bauelement dichterischer Sprache. Dabei wird pse_204.017
deutlich, daß sich die Stilkräfte verbinden können. Auch im pse_204.018
Ausruf und Anruf kann diese Dynamik wirken, auch in pse_204.019
ihnen gibt es sprachliche Bilder (vgl. den vierten der gerade pse_204.020
angeführten Verse). Wir berühren damit eine weitere Tatsache pse_204.021
der dichterischen Sprache und ihrer Struktur. Die Dynamik, pse_204.022
mit der die dichterische Rede abläuft, wird Wirklichkeit pse_204.023
in der Reihung der Worte, im Satzbau, in der Kürze pse_204.024
oder Länge von Gruppen, im Rhythmus, im Tempo usw. pse_204.025
Hier sehen wir deutlich, wie die Werte der Erfahrungsgestaltung pse_204.026
und der Lautung zusammengehen. In der folgenden pse_204.027
Gegenüberstellung wirkt auch der Unterschied des steigenden pse_204.028
und fallenden Rhythmus, natürlich neben dem Wortgehalt pse_204.029
und auch dem Vokalklang:

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Bedecke deinen Himmel, Zeus, pse_204.031
Mit Wolkendunst pse_204.032
Und übe, dem Knaben gleich, pse_204.033
Der Disteln köpft, pse_204.034
An Eichen dich und Bergeshöhn ...
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   (Goethe, Prometheus)

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Wenn der uralte, pse_204.037
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Zitationshilfe: Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/220>, abgerufen am 25.11.2024.