pse_283.001 Bau auf, der aber durch die prächtige Fülle von pse_283.002 Bewegung und den Reichtum an Bildern und Gliedern verdeckt pse_283.003 wird. Gerade diese reiche Umhüllung schafft eine besonders pse_283.004 reizvolle Abart dieses Typus. Aber solche Bauweise pse_283.005 kann auch negative Seiten zeigen. Wenn die Konstruktion zu pse_283.006 deutlich wird, wenn die logische Fügung herrscht, so bekommt pse_283.007 das dichterische Werk etwas Starres, oft beinahe pse_283.008 Klapperndes. Wenn unter dem strengen Bau nicht die große pse_283.009 Haltung eines tiefen Inneren vernehmbar wird, gerät solche pse_283.010 Kunst bedenklich in die Nähe des bloßen Mechanismus.
pse_283.011 Die andere Form nannte Walzel die deutsch-organische pse_283.012 Form. Das ist die Bauweise, für die der Ausdruck Organismus pse_283.013 am Platz ist. Zwei Kennzeichen sind besonders deutlich: es pse_283.014 wird in solchen Dichtungen das Werden betont, d. h. die pse_283.015 Fügung verschafft den Eindruck des Strömens, die Glieder pse_283.016 sind nicht scharf getrennt oder logisch aneinander geordnet, pse_283.017 sondern sie ergeben sich aus einer seelischen Gesamtbewegung. pse_283.018 Der Rhythmus und auch die Wortgehalte wirken zusammen, pse_283.019 diese Form zu schaffen. Wie da sogar eine streng logische pse_283.020 Konstruktion, wie es ein Bedingungssatz ist, die Härte verlieren pse_283.021 kann und einer strömenden Gesamtbewegung sich einfügt, pse_283.022 zeigen die Goethe-Verse:
pse_283.023
Wenn der uraltepse_283.024 Heilige Vaterpse_283.025 Mit gelassener Handpse_283.026 Aus rollenden Wolkenpse_283.027 Segnende Blitzepse_283.028 Über die Erde sät,pse_283.029 Küß ich den letztenpse_283.030 Saum seines Kleides,pse_283.031 Kindliche Schauerpse_283.032 Treu in der Brust.
pse_283.033
Auch der erste Teil des "Faust" weist diese Form auf vom pse_283.034 Gesamtbau her bis in die einzelnen Glieder. In dieser Form pse_283.035 selbst schafft der Dichter vor allem ein Symbol des Lebens, pse_283.036 wie er es eben als Strömen erfaßt. Die Gefahr einer solchen pse_283.037 Form ist nun das Gegenteil der früheren: die Konturen verschwimmen, pse_283.038 die Übersicht -- besonders bei großen Dichtungen pse_283.039 -- geht verloren.
pse_283.001 Bau auf, der aber durch die prächtige Fülle von pse_283.002 Bewegung und den Reichtum an Bildern und Gliedern verdeckt pse_283.003 wird. Gerade diese reiche Umhüllung schafft eine besonders pse_283.004 reizvolle Abart dieses Typus. Aber solche Bauweise pse_283.005 kann auch negative Seiten zeigen. Wenn die Konstruktion zu pse_283.006 deutlich wird, wenn die logische Fügung herrscht, so bekommt pse_283.007 das dichterische Werk etwas Starres, oft beinahe pse_283.008 Klapperndes. Wenn unter dem strengen Bau nicht die große pse_283.009 Haltung eines tiefen Inneren vernehmbar wird, gerät solche pse_283.010 Kunst bedenklich in die Nähe des bloßen Mechanismus.
pse_283.011 Die andere Form nannte Walzel die deutsch-organische pse_283.012 Form. Das ist die Bauweise, für die der Ausdruck Organismus pse_283.013 am Platz ist. Zwei Kennzeichen sind besonders deutlich: es pse_283.014 wird in solchen Dichtungen das Werden betont, d. h. die pse_283.015 Fügung verschafft den Eindruck des Strömens, die Glieder pse_283.016 sind nicht scharf getrennt oder logisch aneinander geordnet, pse_283.017 sondern sie ergeben sich aus einer seelischen Gesamtbewegung. pse_283.018 Der Rhythmus und auch die Wortgehalte wirken zusammen, pse_283.019 diese Form zu schaffen. Wie da sogar eine streng logische pse_283.020 Konstruktion, wie es ein Bedingungssatz ist, die Härte verlieren pse_283.021 kann und einer strömenden Gesamtbewegung sich einfügt, pse_283.022 zeigen die Goethe-Verse:
pse_283.023
Wenn der uraltepse_283.024 Heilige Vaterpse_283.025 Mit gelassener Handpse_283.026 Aus rollenden Wolkenpse_283.027 Segnende Blitzepse_283.028 Über die Erde sät,pse_283.029 Küß ich den letztenpse_283.030 Saum seines Kleides,pse_283.031 Kindliche Schauerpse_283.032 Treu in der Brust.
pse_283.033
Auch der erste Teil des »Faust« weist diese Form auf vom pse_283.034 Gesamtbau her bis in die einzelnen Glieder. In dieser Form pse_283.035 selbst schafft der Dichter vor allem ein Symbol des Lebens, pse_283.036 wie er es eben als Strömen erfaßt. Die Gefahr einer solchen pse_283.037 Form ist nun das Gegenteil der früheren: die Konturen verschwimmen, pse_283.038 die Übersicht — besonders bei großen Dichtungen pse_283.039 — geht verloren.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0299"n="283"/><lbn="pse_283.001"/>
Bau auf, der aber durch die prächtige Fülle von <lbn="pse_283.002"/>
Bewegung und den Reichtum an Bildern und Gliedern verdeckt <lbn="pse_283.003"/>
wird. Gerade diese reiche Umhüllung schafft eine besonders <lbn="pse_283.004"/>
reizvolle Abart dieses Typus. Aber solche Bauweise <lbn="pse_283.005"/>
kann auch negative Seiten zeigen. Wenn die Konstruktion zu <lbn="pse_283.006"/>
deutlich wird, wenn die logische Fügung herrscht, so bekommt <lbn="pse_283.007"/>
das dichterische Werk etwas Starres, oft beinahe <lbn="pse_283.008"/>
Klapperndes. Wenn unter dem strengen Bau nicht die große <lbn="pse_283.009"/>
Haltung eines tiefen Inneren vernehmbar wird, gerät solche <lbn="pse_283.010"/>
Kunst bedenklich in die Nähe des bloßen Mechanismus.</p><p><lbn="pse_283.011"/>
Die andere Form nannte Walzel die deutsch-organische <lbn="pse_283.012"/>
Form. Das ist die Bauweise, für die der Ausdruck Organismus <lbn="pse_283.013"/>
am Platz ist. Zwei Kennzeichen sind besonders deutlich: es <lbn="pse_283.014"/>
wird in solchen Dichtungen das Werden betont, d. h. die <lbn="pse_283.015"/>
Fügung verschafft den Eindruck des Strömens, die Glieder <lbn="pse_283.016"/>
sind nicht scharf getrennt oder logisch aneinander geordnet, <lbn="pse_283.017"/>
sondern sie ergeben sich aus einer seelischen Gesamtbewegung. <lbn="pse_283.018"/>
Der Rhythmus und auch die Wortgehalte wirken zusammen, <lbn="pse_283.019"/>
diese Form zu schaffen. Wie da sogar eine streng logische <lbn="pse_283.020"/>
Konstruktion, wie es ein Bedingungssatz ist, die Härte verlieren <lbn="pse_283.021"/>
kann und einer strömenden Gesamtbewegung sich einfügt, <lbn="pse_283.022"/>
zeigen die Goethe-Verse:</p><lbn="pse_283.023"/><lg><l><hirendition="#aq">Wenn der uralte</hi></l><lbn="pse_283.024"/><l><hirendition="#aq">Heilige Vater</hi></l><lbn="pse_283.025"/><l><hirendition="#aq">Mit gelassener Hand</hi></l><lbn="pse_283.026"/><l><hirendition="#aq">Aus rollenden Wolken</hi></l><lbn="pse_283.027"/><l><hirendition="#aq">Segnende Blitze</hi></l><lbn="pse_283.028"/><l><hirendition="#aq">Über die Erde sät,</hi></l><lbn="pse_283.029"/><l><hirendition="#aq">Küß ich den letzten</hi></l><lbn="pse_283.030"/><l><hirendition="#aq">Saum seines Kleides,</hi></l><lbn="pse_283.031"/><l><hirendition="#aq">Kindliche Schauer</hi></l><lbn="pse_283.032"/><l><hirendition="#aq">Treu in der Brust.</hi></l></lg><lbn="pse_283.033"/><p>Auch der erste Teil des »Faust« weist diese Form auf vom <lbn="pse_283.034"/>
Gesamtbau her bis in die einzelnen Glieder. In dieser Form <lbn="pse_283.035"/>
selbst schafft der Dichter vor allem ein Symbol des Lebens, <lbn="pse_283.036"/>
wie er es eben als Strömen erfaßt. Die Gefahr einer solchen <lbn="pse_283.037"/>
Form ist nun das Gegenteil der früheren: die Konturen verschwimmen, <lbn="pse_283.038"/>
die Übersicht — besonders bei großen Dichtungen <lbn="pse_283.039"/>— geht verloren.</p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[283/0299]
pse_283.001
Bau auf, der aber durch die prächtige Fülle von pse_283.002
Bewegung und den Reichtum an Bildern und Gliedern verdeckt pse_283.003
wird. Gerade diese reiche Umhüllung schafft eine besonders pse_283.004
reizvolle Abart dieses Typus. Aber solche Bauweise pse_283.005
kann auch negative Seiten zeigen. Wenn die Konstruktion zu pse_283.006
deutlich wird, wenn die logische Fügung herrscht, so bekommt pse_283.007
das dichterische Werk etwas Starres, oft beinahe pse_283.008
Klapperndes. Wenn unter dem strengen Bau nicht die große pse_283.009
Haltung eines tiefen Inneren vernehmbar wird, gerät solche pse_283.010
Kunst bedenklich in die Nähe des bloßen Mechanismus.
pse_283.011
Die andere Form nannte Walzel die deutsch-organische pse_283.012
Form. Das ist die Bauweise, für die der Ausdruck Organismus pse_283.013
am Platz ist. Zwei Kennzeichen sind besonders deutlich: es pse_283.014
wird in solchen Dichtungen das Werden betont, d. h. die pse_283.015
Fügung verschafft den Eindruck des Strömens, die Glieder pse_283.016
sind nicht scharf getrennt oder logisch aneinander geordnet, pse_283.017
sondern sie ergeben sich aus einer seelischen Gesamtbewegung. pse_283.018
Der Rhythmus und auch die Wortgehalte wirken zusammen, pse_283.019
diese Form zu schaffen. Wie da sogar eine streng logische pse_283.020
Konstruktion, wie es ein Bedingungssatz ist, die Härte verlieren pse_283.021
kann und einer strömenden Gesamtbewegung sich einfügt, pse_283.022
zeigen die Goethe-Verse:
pse_283.023
Wenn der uralte pse_283.024
Heilige Vater pse_283.025
Mit gelassener Hand pse_283.026
Aus rollenden Wolken pse_283.027
Segnende Blitze pse_283.028
Über die Erde sät, pse_283.029
Küß ich den letzten pse_283.030
Saum seines Kleides, pse_283.031
Kindliche Schauer pse_283.032
Treu in der Brust.
pse_283.033
Auch der erste Teil des »Faust« weist diese Form auf vom pse_283.034
Gesamtbau her bis in die einzelnen Glieder. In dieser Form pse_283.035
selbst schafft der Dichter vor allem ein Symbol des Lebens, pse_283.036
wie er es eben als Strömen erfaßt. Die Gefahr einer solchen pse_283.037
Form ist nun das Gegenteil der früheren: die Konturen verschwimmen, pse_283.038
die Übersicht — besonders bei großen Dichtungen pse_283.039
— geht verloren.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:
Bogensignaturen: keine Angabe;
Druckfehler: keine Angabe;
fremdsprachliches Material: gekennzeichnet;
Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;
Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage;
i/j in Fraktur: wie Vorlage;
I/J in Fraktur: wie Vorlage;
Kolumnentitel: nicht übernommen;
Kustoden: nicht übernommen;
langes s (ſ): wie Vorlage;
Normalisierungen: keine;
rundes r (ꝛ): wie Vorlage;
Seitenumbrüche markiert: ja;
Silbentrennung: nicht übernommen;
u/v bzw. U/V: wie Vorlage;
Vokale mit übergest. e: wie Vorlage;
Vollständigkeit: vollständig erfasst;
Zeichensetzung: wie Vorlage;
Zeilenumbrüche markiert: ja;
Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/299>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.