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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959.

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Gegenideale immer aufeinander angewiesen sind. Etwa so: pse_298.002
die klassische Dichtungsform würde von Erstarrung bedroht pse_298.003
sein, von bloßer Schablone und Mechanismus, wenn nicht pse_298.004
romantische Art auflockerte und Widerpart hielte. Und die pse_298.005
romantische Form würde sich in Willkür und Phantasterei pse_298.006
auflösen, wenn nicht immer wieder das strenge Kunstgesetz pse_298.007
klassischer Prägung dagegen wirkte. Das gilt fürs einzelne pse_298.008
Werk und den Dichter, aber auch für ganze Epochen; dadurch pse_298.009
entsteht ja die geschichtliche Dialektik. Die schöpferischen pse_298.010
Größen gehen über diese Gegensätzlichkeit hinaus, pse_298.011
ihnen gegenüber versagen solche Typen. Man denke an pse_298.012
Shakespeare oder an Goethes "Faust".

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Es ist lehrreich, einige solche Versuche von Gegentypen zu pse_298.014
erwähnen. Man erkennt daran, wie man sich immer auf neuen pse_298.015
Wegen bemüht, den Möglichkeiten dichterischer Gestaltung pse_298.016
nahezukommen. Dabei sind die Einteilungen teils von gestalterischen pse_298.017
Sichten getroffen, teils aber auch vom Gehalt her, pse_298.018
der in den Kunstwerken lebendig wird. Die älteste für uns pse_298.019
noch wichtige ist die schon erwähnte von Schiller. Der naive pse_298.020
Dichter ist noch mitten innen in der Natur, er ist selbst ein pse_298.021
Stück davon. Aus dieser Geborgenheit schafft er. Der sentimentalische pse_298.022
dagegen steht der Natur gegenüber, erhöht sie pse_298.023
dadurch zu einem Ideal und strebt ihm in seiner Kunst entgegen. pse_298.024
Schiller hat in diesen Gegensatz den von Realismus pse_298.025
und Idealismus eingefügt und in beiden Möglichkeiten auch pse_298.026
die Gefahren erkannt: daß der Realist in Plattheit versinke, der pse_298.027
Idealist in Verstiegenheit gerate. Sicher kann man mit diesen pse_298.028
Typen bestimmte Dichtungen charakterisieren. Man erkennt pse_298.029
so den Unterschied zwischen dem einfachen Volkslied und den pse_298.030
Hymnen von Hölderlin, zwischen den Märchen von Grimm pse_298.031
und den Novellen von C. F. Meyer, zwischen den Volksstücken pse_298.032
in der Art der Fastnachtsspiele und den Dramen pse_298.033
Schillers. Die Romantiker haben in ihren theoretischen Darlegungen pse_298.034
klassische und romantische Dichtung unterschieden, pse_298.035
zum erstenmal eindringlich dargestellt in den Berliner Vorlesungen pse_298.036
A. W. Schlegels. Klassische Dichtung richtet sich pse_298.037
nach den großen Beispielen der Antike aus, romantische geht pse_298.038
auf die Volksgrundlagen der abendländischen Kultur zurück.

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Gegenideale immer aufeinander angewiesen sind. Etwa so: pse_298.002
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Shakespeare oder an Goethes »Faust«.

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Es ist lehrreich, einige solche Versuche von Gegentypen zu pse_298.014
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Stück davon. Aus dieser Geborgenheit schafft er. Der sentimentalische pse_298.022
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Schiller hat in diesen Gegensatz den von Realismus pse_298.025
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Idealist in Verstiegenheit gerate. Sicher kann man mit diesen pse_298.028
Typen bestimmte Dichtungen charakterisieren. Man erkennt pse_298.029
so den Unterschied zwischen dem einfachen Volkslied und den pse_298.030
Hymnen von Hölderlin, zwischen den Märchen von Grimm pse_298.031
und den Novellen von C. F. Meyer, zwischen den Volksstücken pse_298.032
in der Art der Fastnachtsspiele und den Dramen pse_298.033
Schillers. Die Romantiker haben in ihren theoretischen Darlegungen pse_298.034
klassische und romantische Dichtung unterschieden, pse_298.035
zum erstenmal eindringlich dargestellt in den Berliner Vorlesungen pse_298.036
A. W. Schlegels. Klassische Dichtung richtet sich pse_298.037
nach den großen Beispielen der Antike aus, romantische geht pse_298.038
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Zitationshilfe: Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/314>, abgerufen am 21.11.2024.