pse_322.001 innerlich vorgestellten Lautung, und umgekehrt wirkt diese pse_322.002 als Lautung und nicht bloß als Schall nur, indem sie einen pse_322.003 Sinn hat. Die Dichtung baut also schon auf einem sehr verwickelten pse_322.004 geistigen Gebilde auf. Diese sprachliche Gegebenheit pse_322.005 führt aber in der Dichtung sofort in einen weiteren Bereich, pse_322.006 in den der Sprachkunst. Die Sprache entfaltet in einer pse_322.007 Dichtung ihre wesenhaften Kräfte, dient nicht bloß als Instrument pse_322.008 der Verständigung, sondern schafft durch ihre pse_322.009 Werte eine eigene Welt. Das gelingt durch die Vertiefung pse_322.010 der sprachlichen Struktur in den Stilkräften, die das Sprachgebilde pse_322.011 aus einem Sprachwerk zu einem Sprachkunstwerk pse_322.012 machen. Von dieser Grundlage aus bauen sich die größeren pse_322.013 Zusammenhänge auf: der Aufbau der Dichtung, der selber pse_322.014 wieder in die Tiefe schauen läßt. Stifters "Nachsommer" ist pse_322.015 in mehrfacher Hinsicht von der Mitte her angelegt: Das pse_322.016 mittlere Kapitel bringt die höchste Sinngebung und führt pse_322.017 vom Sinngehalt des ersten in den des zweiten Teils. Dieser pse_322.018 Augenblick ist auch die zeitliche Mitte des ganzen Ablaufs. pse_322.019 Zugleich bildet das Rosenhaus die zuerst gesuchte, dann erlebte pse_322.020 Mitte des Bildungsweges Heinrichs: von hier aus greift pse_322.021 er in die Welt in immer weiteren Griffen, hierher kehrt er pse_322.022 immer wieder zurück. Man könnte dartun, daß mit diesem pse_322.023 Bau schon zugleich ein Menschenbild gestaltet wird, der pse_322.024 Mensch der Innerlichkeit, der aus dem tiefsten Inneren bestimmt pse_322.025 ist. In diesem Bau also wird ein Tieferes unmittelbar pse_322.026 erlebbar. Ferner die Personen, die ein Dichter in einer epischen pse_322.027 und dramatischen Dichtung schafft. Jede dieser Personen, pse_322.028 vor allem aber die Hauptgestalten, sind nicht nur pse_322.029 Figuren für sich, sondern führen in die Tiefe. Adrian Leverkühn pse_322.030 ist nicht bloß die Zentralgestalt von Th. Manns Roman, pse_322.031 sondern langsam erfassen wir, daß er zu einem Symbol wird, pse_322.032 daß in ihm Wesen und Schicksal des deutschen Volkes greifbar pse_322.033 wird, wie es der Dichter sieht. In der Gestalt Kaiser pse_322.034 Rudolfs II. in Grillparzers "Bruderzwist in Habsburg" wird pse_322.035 nicht nur Grillparzers Wesen selber lebendig, ist nicht nur die pse_322.036 Zentralgestalt des Dramas da, sondern wir erleben an seinem pse_322.037 Verhältnis zu seiner vielfach aufgesplitterten Mitwelt etwas pse_322.038 von der Struktur und Tragik des Geschichtlichen und ihn selbst
pse_322.001 innerlich vorgestellten Lautung, und umgekehrt wirkt diese pse_322.002 als Lautung und nicht bloß als Schall nur, indem sie einen pse_322.003 Sinn hat. Die Dichtung baut also schon auf einem sehr verwickelten pse_322.004 geistigen Gebilde auf. Diese sprachliche Gegebenheit pse_322.005 führt aber in der Dichtung sofort in einen weiteren Bereich, pse_322.006 in den der Sprachkunst. Die Sprache entfaltet in einer pse_322.007 Dichtung ihre wesenhaften Kräfte, dient nicht bloß als Instrument pse_322.008 der Verständigung, sondern schafft durch ihre pse_322.009 Werte eine eigene Welt. Das gelingt durch die Vertiefung pse_322.010 der sprachlichen Struktur in den Stilkräften, die das Sprachgebilde pse_322.011 aus einem Sprachwerk zu einem Sprachkunstwerk pse_322.012 machen. Von dieser Grundlage aus bauen sich die größeren pse_322.013 Zusammenhänge auf: der Aufbau der Dichtung, der selber pse_322.014 wieder in die Tiefe schauen läßt. Stifters »Nachsommer« ist pse_322.015 in mehrfacher Hinsicht von der Mitte her angelegt: Das pse_322.016 mittlere Kapitel bringt die höchste Sinngebung und führt pse_322.017 vom Sinngehalt des ersten in den des zweiten Teils. Dieser pse_322.018 Augenblick ist auch die zeitliche Mitte des ganzen Ablaufs. pse_322.019 Zugleich bildet das Rosenhaus die zuerst gesuchte, dann erlebte pse_322.020 Mitte des Bildungsweges Heinrichs: von hier aus greift pse_322.021 er in die Welt in immer weiteren Griffen, hierher kehrt er pse_322.022 immer wieder zurück. Man könnte dartun, daß mit diesem pse_322.023 Bau schon zugleich ein Menschenbild gestaltet wird, der pse_322.024 Mensch der Innerlichkeit, der aus dem tiefsten Inneren bestimmt pse_322.025 ist. In diesem Bau also wird ein Tieferes unmittelbar pse_322.026 erlebbar. Ferner die Personen, die ein Dichter in einer epischen pse_322.027 und dramatischen Dichtung schafft. Jede dieser Personen, pse_322.028 vor allem aber die Hauptgestalten, sind nicht nur pse_322.029 Figuren für sich, sondern führen in die Tiefe. Adrian Leverkühn pse_322.030 ist nicht bloß die Zentralgestalt von Th. Manns Roman, pse_322.031 sondern langsam erfassen wir, daß er zu einem Symbol wird, pse_322.032 daß in ihm Wesen und Schicksal des deutschen Volkes greifbar pse_322.033 wird, wie es der Dichter sieht. In der Gestalt Kaiser pse_322.034 Rudolfs II. in Grillparzers »Bruderzwist in Habsburg« wird pse_322.035 nicht nur Grillparzers Wesen selber lebendig, ist nicht nur die pse_322.036 Zentralgestalt des Dramas da, sondern wir erleben an seinem pse_322.037 Verhältnis zu seiner vielfach aufgesplitterten Mitwelt etwas pse_322.038 von der Struktur und Tragik des Geschichtlichen und ihn selbst
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Zugleich bildet das Rosenhaus die zuerst gesuchte, dann erlebte pse_322.020
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und dramatischen Dichtung schafft. Jede dieser Personen, pse_322.028
vor allem aber die Hauptgestalten, sind nicht nur pse_322.029
Figuren für sich, sondern führen in die Tiefe. Adrian Leverkühn pse_322.030
ist nicht bloß die Zentralgestalt von Th. Manns Roman, pse_322.031
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/338>, abgerufen am 21.11.2024.
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