pse_362.001 bilden sich auf diese Weise bestimmte Gattungen aus, pse_362.002 die mit der Zeit üblich werden. Sie ergeben sich auch aus dem pse_362.003 menschlichen Ordnungssinn, der danach verlangt, auch innerhalb pse_362.004 des Bereichs der Dichtung bestimmte Gruppen und Formen pse_362.005 festzulegen. Dazu kommt, daß sich aus geschichtlichen pse_362.006 Entwicklungen heraus immer neue Kombinationen der bisher pse_362.007 betrachteten Möglichkeiten ergeben, so daß die üblich gewordenen pse_362.008 Gattungsordnungen entweder aufgesprengt oder beseitig pse_362.009 werden. Die Ballade tritt heute etwas zurück, der Roman pse_362.010 hat Formen entwickelt, von denen man sich im 19. Jahrhundert pse_362.011 noch kaum träumen ließ. Von der Didaktik schweigt pse_362.012 die moderne Poetik lieber, während diese Gattung noch bis pse_362.013 zu Goethe und Schiller angesehen und wichtig war.
pse_362.014 Denn die Ausbildung üblicher Gattungen und Arten hängt pse_362.015 von den verschiedensten Bedingungen ab. Zunächst schon pse_362.016 ergeben sich ganz allgemeine Einsichten. Gattungen und pse_362.017 Arten, wie sie tatsächlich bestehen, sind Kunstgebilde, deren pse_362.018 Ursprung dunkel ist. Sie sind eine besonders günstige Lösung pse_362.019 einer Verbindung bestimmter Gehalte und Formelemente. pse_362.020 Durch solche günstige Lösungen bilden sich feste Traditionen. pse_362.021 Sie findet der dichterische Gestaltungsdrang vor. Er kann sie pse_362.022 nun, wenn sie ihn fördern, übernehmen, er kann sie auch umformen pse_362.023 oder zerbrechen.
pse_362.024 Wir berühren da die Macht der Begriffe und der Traditionpse_362.025 in der Poetik. Besonders im 17. und 18. Jahrhundert war die pse_362.026 Vorherrschaft der Gattungsbegriffe sehr stark. Eine Tragödie pse_362.027 hatte sich genau nach den in der Theorie aufgestellten Normen pse_362.028 zu richten. Sie hatte also nur bedeutende Personen als pse_362.029 Figuren, der Bürger durfte nur in Komödien auftreten. Die pse_362.030 Vermischung der dramatischen Arten, wie sie damals in pse_362.031 England üblich wurden ("Merchant of London") und von pse_362.032 dort aufs Festland kamen, führte zu endlosen theoretischen pse_362.033 Debatten. Man kann daran deutlich erkennen, wie dichterisches pse_362.034 Schaffen von der Theorie und der Tradition abhängig ist. pse_362.035 Dabei wirken sie nicht immer gleich. Im 17. und 18. Jahrhundert pse_362.036 vor allem spielte die Tradition eine große Rolle. Es pse_362.037 war selbstverständlich, daß sich jeder Dichter an die überlieferten pse_362.038 Formen hielt. Aus ihnen hatte er das Beste herauszuholen.
pse_362.001 bilden sich auf diese Weise bestimmte Gattungen aus, pse_362.002 die mit der Zeit üblich werden. Sie ergeben sich auch aus dem pse_362.003 menschlichen Ordnungssinn, der danach verlangt, auch innerhalb pse_362.004 des Bereichs der Dichtung bestimmte Gruppen und Formen pse_362.005 festzulegen. Dazu kommt, daß sich aus geschichtlichen pse_362.006 Entwicklungen heraus immer neue Kombinationen der bisher pse_362.007 betrachteten Möglichkeiten ergeben, so daß die üblich gewordenen pse_362.008 Gattungsordnungen entweder aufgesprengt oder beseitig pse_362.009 werden. Die Ballade tritt heute etwas zurück, der Roman pse_362.010 hat Formen entwickelt, von denen man sich im 19. Jahrhundert pse_362.011 noch kaum träumen ließ. Von der Didaktik schweigt pse_362.012 die moderne Poetik lieber, während diese Gattung noch bis pse_362.013 zu Goethe und Schiller angesehen und wichtig war.
pse_362.014 Denn die Ausbildung üblicher Gattungen und Arten hängt pse_362.015 von den verschiedensten Bedingungen ab. Zunächst schon pse_362.016 ergeben sich ganz allgemeine Einsichten. Gattungen und pse_362.017 Arten, wie sie tatsächlich bestehen, sind Kunstgebilde, deren pse_362.018 Ursprung dunkel ist. Sie sind eine besonders günstige Lösung pse_362.019 einer Verbindung bestimmter Gehalte und Formelemente. pse_362.020 Durch solche günstige Lösungen bilden sich feste Traditionen. pse_362.021 Sie findet der dichterische Gestaltungsdrang vor. Er kann sie pse_362.022 nun, wenn sie ihn fördern, übernehmen, er kann sie auch umformen pse_362.023 oder zerbrechen.
pse_362.024 Wir berühren da die Macht der Begriffe und der Traditionpse_362.025 in der Poetik. Besonders im 17. und 18. Jahrhundert war die pse_362.026 Vorherrschaft der Gattungsbegriffe sehr stark. Eine Tragödie pse_362.027 hatte sich genau nach den in der Theorie aufgestellten Normen pse_362.028 zu richten. Sie hatte also nur bedeutende Personen als pse_362.029 Figuren, der Bürger durfte nur in Komödien auftreten. Die pse_362.030 Vermischung der dramatischen Arten, wie sie damals in pse_362.031 England üblich wurden (»Merchant of London«) und von pse_362.032 dort aufs Festland kamen, führte zu endlosen theoretischen pse_362.033 Debatten. Man kann daran deutlich erkennen, wie dichterisches pse_362.034 Schaffen von der Theorie und der Tradition abhängig ist. pse_362.035 Dabei wirken sie nicht immer gleich. Im 17. und 18. Jahrhundert pse_362.036 vor allem spielte die Tradition eine große Rolle. Es pse_362.037 war selbstverständlich, daß sich jeder Dichter an die überlieferten pse_362.038 Formen hielt. Aus ihnen hatte er das Beste herauszuholen.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0378"n="362"/><lbn="pse_362.001"/>
bilden sich auf diese Weise bestimmte Gattungen aus, <lbn="pse_362.002"/>
die mit der Zeit üblich werden. Sie ergeben sich auch aus dem <lbn="pse_362.003"/>
menschlichen Ordnungssinn, der danach verlangt, auch innerhalb <lbn="pse_362.004"/>
des Bereichs der Dichtung bestimmte Gruppen und Formen <lbn="pse_362.005"/>
festzulegen. Dazu kommt, daß sich aus geschichtlichen <lbn="pse_362.006"/>
Entwicklungen heraus immer neue Kombinationen der bisher <lbn="pse_362.007"/>
betrachteten Möglichkeiten ergeben, so daß die üblich gewordenen <lbn="pse_362.008"/>
Gattungsordnungen entweder aufgesprengt oder beseitig <lbn="pse_362.009"/>
werden. Die Ballade tritt heute etwas zurück, der Roman <lbn="pse_362.010"/>
hat Formen entwickelt, von denen man sich im 19. Jahrhundert <lbn="pse_362.011"/>
noch kaum träumen ließ. Von der Didaktik schweigt <lbn="pse_362.012"/>
die moderne Poetik lieber, während diese Gattung noch bis <lbn="pse_362.013"/>
zu Goethe und Schiller angesehen und wichtig war.</p><p><lbn="pse_362.014"/>
Denn die Ausbildung üblicher Gattungen und Arten hängt <lbn="pse_362.015"/>
von den verschiedensten Bedingungen ab. Zunächst schon <lbn="pse_362.016"/>
ergeben sich ganz allgemeine Einsichten. Gattungen und <lbn="pse_362.017"/>
Arten, wie sie tatsächlich bestehen, sind Kunstgebilde, deren <lbn="pse_362.018"/>
Ursprung dunkel ist. Sie sind eine besonders günstige Lösung <lbn="pse_362.019"/>
einer Verbindung bestimmter Gehalte und Formelemente. <lbn="pse_362.020"/>
Durch solche günstige Lösungen bilden sich feste Traditionen. <lbn="pse_362.021"/>
Sie findet der dichterische Gestaltungsdrang vor. Er kann sie <lbn="pse_362.022"/>
nun, wenn sie ihn fördern, übernehmen, er kann sie auch umformen <lbn="pse_362.023"/>
oder zerbrechen.</p><p><lbn="pse_362.024"/>
Wir berühren da die <hirendition="#i">Macht der Begriffe und der Tradition</hi><lbn="pse_362.025"/>
in der Poetik. Besonders im 17. und 18. Jahrhundert war die <lbn="pse_362.026"/>
Vorherrschaft der Gattungsbegriffe sehr stark. Eine Tragödie <lbn="pse_362.027"/>
hatte sich genau nach den in der Theorie aufgestellten Normen <lbn="pse_362.028"/>
zu richten. Sie hatte also nur bedeutende Personen als <lbn="pse_362.029"/>
Figuren, der Bürger durfte nur in Komödien auftreten. Die <lbn="pse_362.030"/>
Vermischung der dramatischen Arten, wie sie damals in <lbn="pse_362.031"/>
England üblich wurden (»Merchant of London«) und von <lbn="pse_362.032"/>
dort aufs Festland kamen, führte zu endlosen theoretischen <lbn="pse_362.033"/>
Debatten. Man kann daran deutlich erkennen, wie dichterisches <lbn="pse_362.034"/>
Schaffen von der Theorie und der Tradition abhängig ist. <lbn="pse_362.035"/>
Dabei wirken sie nicht immer gleich. Im 17. und 18. Jahrhundert <lbn="pse_362.036"/>
vor allem spielte die Tradition eine große Rolle. Es <lbn="pse_362.037"/>
war selbstverständlich, daß sich jeder Dichter an die überlieferten <lbn="pse_362.038"/>
Formen hielt. Aus ihnen hatte er das Beste herauszuholen.
</p></div></div></div></body></text></TEI>
[362/0378]
pse_362.001
bilden sich auf diese Weise bestimmte Gattungen aus, pse_362.002
die mit der Zeit üblich werden. Sie ergeben sich auch aus dem pse_362.003
menschlichen Ordnungssinn, der danach verlangt, auch innerhalb pse_362.004
des Bereichs der Dichtung bestimmte Gruppen und Formen pse_362.005
festzulegen. Dazu kommt, daß sich aus geschichtlichen pse_362.006
Entwicklungen heraus immer neue Kombinationen der bisher pse_362.007
betrachteten Möglichkeiten ergeben, so daß die üblich gewordenen pse_362.008
Gattungsordnungen entweder aufgesprengt oder beseitig pse_362.009
werden. Die Ballade tritt heute etwas zurück, der Roman pse_362.010
hat Formen entwickelt, von denen man sich im 19. Jahrhundert pse_362.011
noch kaum träumen ließ. Von der Didaktik schweigt pse_362.012
die moderne Poetik lieber, während diese Gattung noch bis pse_362.013
zu Goethe und Schiller angesehen und wichtig war.
pse_362.014
Denn die Ausbildung üblicher Gattungen und Arten hängt pse_362.015
von den verschiedensten Bedingungen ab. Zunächst schon pse_362.016
ergeben sich ganz allgemeine Einsichten. Gattungen und pse_362.017
Arten, wie sie tatsächlich bestehen, sind Kunstgebilde, deren pse_362.018
Ursprung dunkel ist. Sie sind eine besonders günstige Lösung pse_362.019
einer Verbindung bestimmter Gehalte und Formelemente. pse_362.020
Durch solche günstige Lösungen bilden sich feste Traditionen. pse_362.021
Sie findet der dichterische Gestaltungsdrang vor. Er kann sie pse_362.022
nun, wenn sie ihn fördern, übernehmen, er kann sie auch umformen pse_362.023
oder zerbrechen.
pse_362.024
Wir berühren da die Macht der Begriffe und der Tradition pse_362.025
in der Poetik. Besonders im 17. und 18. Jahrhundert war die pse_362.026
Vorherrschaft der Gattungsbegriffe sehr stark. Eine Tragödie pse_362.027
hatte sich genau nach den in der Theorie aufgestellten Normen pse_362.028
zu richten. Sie hatte also nur bedeutende Personen als pse_362.029
Figuren, der Bürger durfte nur in Komödien auftreten. Die pse_362.030
Vermischung der dramatischen Arten, wie sie damals in pse_362.031
England üblich wurden (»Merchant of London«) und von pse_362.032
dort aufs Festland kamen, führte zu endlosen theoretischen pse_362.033
Debatten. Man kann daran deutlich erkennen, wie dichterisches pse_362.034
Schaffen von der Theorie und der Tradition abhängig ist. pse_362.035
Dabei wirken sie nicht immer gleich. Im 17. und 18. Jahrhundert pse_362.036
vor allem spielte die Tradition eine große Rolle. Es pse_362.037
war selbstverständlich, daß sich jeder Dichter an die überlieferten pse_362.038
Formen hielt. Aus ihnen hatte er das Beste herauszuholen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:
Bogensignaturen: keine Angabe;
Druckfehler: keine Angabe;
fremdsprachliches Material: gekennzeichnet;
Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;
Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage;
i/j in Fraktur: wie Vorlage;
I/J in Fraktur: wie Vorlage;
Kolumnentitel: nicht übernommen;
Kustoden: nicht übernommen;
langes s (ſ): wie Vorlage;
Normalisierungen: keine;
rundes r (ꝛ): wie Vorlage;
Seitenumbrüche markiert: ja;
Silbentrennung: nicht übernommen;
u/v bzw. U/V: wie Vorlage;
Vokale mit übergest. e: wie Vorlage;
Vollständigkeit: vollständig erfasst;
Zeichensetzung: wie Vorlage;
Zeilenumbrüche markiert: ja;
Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 362. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/378>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.