pse_366.001 soziale Familien- und Bürgerroman im England des 18. Jahrhunderts pse_366.002 und dann vor allem der deutsche Bildungsroman des pse_366.003 19. Jahrhunderts. Und scheint nicht das sogenannte "epische pse_366.004 Theater" eine besondere Schöpfung unserer Zeit zu werden? pse_366.005 Dasselbe gilt sogar für Vers- und Strophenformen: Dantes pse_366.006 Terza Rima, der Alexandriner der Barockzeit, der Blankvers. pse_366.007 Hier spüren wir deutlich geschichtliche und gesellschaftliche pse_366.008 Einflüsse auf die literarische Gruppenbildung. Wenn nun die pse_366.009 Bindungen an die Ursprungssituation solcher Gruppenbildungen pse_366.010 sich lösen, dann sterben sie langsam ab. Das erkennt pse_366.011 man heute besonders deutlich am Bildungsroman, der aus pse_366.012 einer menschlichen Situation und einem Menschenbild gewachsen pse_366.013 ist, die heute weitgehend geändert sind. Die spätere pse_366.014 Wertschätzung solcher Arten als Dichtungsmöglichkeiten überhaupt pse_366.015 geschieht dann bereits unter veränderten Umständen. pse_366.016 Wir werten heute die Homerischen Epen, das Drama Shakespeares, pse_366.017 den "Wilhelm Meister", die Sonette des Gryphius zwar pse_366.018 immer noch oder auch erneut als hohe dichterische Kunstwerke pse_366.019 und mit ihnen zugleich die Arten, für die sie kennzeichnend pse_366.020 sind. Aber diese Wertung dürfte völlig verschieden sein von pse_366.021 der, die ihnen die Zeitgenossen zuteil werden ließen.
pse_366.022 Es kommt also mit der Zeit zur Ausbildung fester Formen.pse_366.023 Sie könnte in zweifacher Richtung verfolgt werden. Das pse_366.024 eine Mal sehen wir, wie eine bestimmte Art, die sich in gewissen pse_366.025 Epochen zur höchsten Vollendung entfaltet hat, immer pse_366.026 weiter wirkt, wenn auch unter verschiedenen Namen. So pse_366.027 etwa die griechische Odendichtung. Umgekehrt gibt es aber pse_366.028 auch ein Weiterwirken des Gattungsnamens. Es ist verschieden, pse_366.029 was in bestimmten Zeiten alles unter dem Namen "Ode" pse_366.030 verstanden wurde. Man hat versucht, dieses Sich-Ausformen pse_366.031 dieses Sich-Entfalten von Arten mit dem organischen Wachstum pse_366.032 zu vergleichen. Das kann lehrreich sein, verleitet aber, pse_366.033 die vielen rationalen und gelenkten Antriebe zu verkennen, pse_366.034 die im Geistesleben, also auch in der Kunst, wirken. Sicher pse_366.035 aber kann man beim Werden dichterischer Arten zwei Kräfte pse_366.036 unterscheiden: solche, die vorantreiben und weiterleiten, die pse_366.037 also z. B. zu der immer breiter werdenden Pflege des Sonetts pse_366.038 geführt haben; man mag sie mit G. Müller Führkräfte nennen.
pse_366.001 soziale Familien- und Bürgerroman im England des 18. Jahrhunderts pse_366.002 und dann vor allem der deutsche Bildungsroman des pse_366.003 19. Jahrhunderts. Und scheint nicht das sogenannte »epische pse_366.004 Theater« eine besondere Schöpfung unserer Zeit zu werden? pse_366.005 Dasselbe gilt sogar für Vers- und Strophenformen: Dantes pse_366.006 Terza Rima, der Alexandriner der Barockzeit, der Blankvers. pse_366.007 Hier spüren wir deutlich geschichtliche und gesellschaftliche pse_366.008 Einflüsse auf die literarische Gruppenbildung. Wenn nun die pse_366.009 Bindungen an die Ursprungssituation solcher Gruppenbildungen pse_366.010 sich lösen, dann sterben sie langsam ab. Das erkennt pse_366.011 man heute besonders deutlich am Bildungsroman, der aus pse_366.012 einer menschlichen Situation und einem Menschenbild gewachsen pse_366.013 ist, die heute weitgehend geändert sind. Die spätere pse_366.014 Wertschätzung solcher Arten als Dichtungsmöglichkeiten überhaupt pse_366.015 geschieht dann bereits unter veränderten Umständen. pse_366.016 Wir werten heute die Homerischen Epen, das Drama Shakespeares, pse_366.017 den »Wilhelm Meister«, die Sonette des Gryphius zwar pse_366.018 immer noch oder auch erneut als hohe dichterische Kunstwerke pse_366.019 und mit ihnen zugleich die Arten, für die sie kennzeichnend pse_366.020 sind. Aber diese Wertung dürfte völlig verschieden sein von pse_366.021 der, die ihnen die Zeitgenossen zuteil werden ließen.
pse_366.022 Es kommt also mit der Zeit zur Ausbildung fester Formen.pse_366.023 Sie könnte in zweifacher Richtung verfolgt werden. Das pse_366.024 eine Mal sehen wir, wie eine bestimmte Art, die sich in gewissen pse_366.025 Epochen zur höchsten Vollendung entfaltet hat, immer pse_366.026 weiter wirkt, wenn auch unter verschiedenen Namen. So pse_366.027 etwa die griechische Odendichtung. Umgekehrt gibt es aber pse_366.028 auch ein Weiterwirken des Gattungsnamens. Es ist verschieden, pse_366.029 was in bestimmten Zeiten alles unter dem Namen »Ode« pse_366.030 verstanden wurde. Man hat versucht, dieses Sich-Ausformen pse_366.031 dieses Sich-Entfalten von Arten mit dem organischen Wachstum pse_366.032 zu vergleichen. Das kann lehrreich sein, verleitet aber, pse_366.033 die vielen rationalen und gelenkten Antriebe zu verkennen, pse_366.034 die im Geistesleben, also auch in der Kunst, wirken. Sicher pse_366.035 aber kann man beim Werden dichterischer Arten zwei Kräfte pse_366.036 unterscheiden: solche, die vorantreiben und weiterleiten, die pse_366.037 also z. B. zu der immer breiter werdenden Pflege des Sonetts pse_366.038 geführt haben; man mag sie mit G. Müller Führkräfte nennen.
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19. Jahrhunderts. Und scheint nicht das sogenannte »epische pse_366.004
Theater« eine besondere Schöpfung unserer Zeit zu werden? pse_366.005
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Terza Rima, der Alexandriner der Barockzeit, der Blankvers. pse_366.007
Hier spüren wir deutlich geschichtliche und gesellschaftliche pse_366.008
Einflüsse auf die literarische Gruppenbildung. Wenn nun die pse_366.009
Bindungen an die Ursprungssituation solcher Gruppenbildungen pse_366.010
sich lösen, dann sterben sie langsam ab. Das erkennt pse_366.011
man heute besonders deutlich am Bildungsroman, der aus pse_366.012
einer menschlichen Situation und einem Menschenbild gewachsen pse_366.013
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Wertschätzung solcher Arten als Dichtungsmöglichkeiten überhaupt pse_366.015
geschieht dann bereits unter veränderten Umständen. pse_366.016
Wir werten heute die Homerischen Epen, das Drama Shakespeares, pse_366.017
den »Wilhelm Meister«, die Sonette des Gryphius zwar pse_366.018
immer noch oder auch erneut als hohe dichterische Kunstwerke pse_366.019
und mit ihnen zugleich die Arten, für die sie kennzeichnend pse_366.020
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Es kommt also mit der Zeit zur Ausbildung fester Formen. pse_366.023
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Epochen zur höchsten Vollendung entfaltet hat, immer pse_366.026
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etwa die griechische Odendichtung. Umgekehrt gibt es aber pse_366.028
auch ein Weiterwirken des Gattungsnamens. Es ist verschieden, pse_366.029
was in bestimmten Zeiten alles unter dem Namen »Ode« pse_366.030
verstanden wurde. Man hat versucht, dieses Sich-Ausformen pse_366.031
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/382>, abgerufen am 21.11.2024.
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