pse_571.001 Struktur einfügen, es darf sie nicht sprengen. Wir könnten pse_571.002 also etwa folgende Wesensbestimmung des Dramas geben: pse_571.003 es ist die Art darstellender, also erst im Spiel voll sich auswirkender pse_571.004 Dichtung, die die Urgespaltenheit der Welt zur pse_571.005 Grundlage hat und aus der Haltung der Gespanntheit wächst.
pse_571.006 Von hier aus kann ein Vergleich mit Lyrik und Epik noch pse_571.007 klären. Gemeinsam ist dem Drama mit der Lyrik, daß die pse_571.008 dramatischen Personen oft unmittelbar ihr Erleben aussprechen, pse_571.009 also lyrisch sprechen können. Die Unterschiede liegen pse_571.010 ganz äußerlich schon in der Gestaltung eines ablaufenden pse_571.011 Vorgangs. Mit der Epik sind die Ähnlichkeiten schon deutlicher. pse_571.012 Beides sind dichterische Formungen eines Vorgangs pse_571.013 mit den Kräften der Sprachkunst. Die Unterschiede aber beginnen pse_571.014 schon in der Art der dichterischen Begabung. Der pse_571.015 dramatische Dichter wird von der Urgespaltenheit, in der die pse_571.016 Welt sich ihm darstellt, unmittelbar ergriffen, durch dieses pse_571.017 Hineingerissenwerden kommt es zur inneren Angespanntheit pse_571.018 auch in ihm, und so erwächst ihm am unmittelbarsten die pse_571.019 darstellende Form für seine dichterische Gestaltung. Selten pse_571.020 finden wir daher die Verbindung von echt epischer und echt pse_571.021 dramatischer Begabung in einem Dichter: der geborene Dramatiker pse_571.022 ist niemals großer Epiker und meist auch umgekehrt. pse_571.023 Man denke an die drei griechischen Tragiker, an Shakespeare, pse_571.024 Calderon und Schiller. Kleist ist Dramatiker, daher greift er pse_571.025 als Erzähler nur zur Novellenform. Goethe ist doch vor allem pse_571.026 Epiker trotz aller Höhe seiner Dramatik. Auch in der Wirkungsgestaltung pse_571.027 bestehen zwischen Epik und Dramatik wesentliche pse_571.028 Unterschiede. Der Erzähler hat Zuhörer, der Spieler pse_571.029 Zuschauer. Die Epik lebt von der Zweipoligkeit des Erzählers pse_571.030 und Zuhörers. Das dramatische Spiel läuft eigentlich mehr für pse_571.031 sich ab, Durchbrechungen der völligen Trennung von Spieler pse_571.032 und Zuschauer sind besondere künstlerische Fragen. Vor allem pse_571.033 besteht im Drama ein ganz besonderes Wirklichkeitsverhältnis. pse_571.034 In der Epik, Lyrik und in der gelesenen Dramatik baut pse_571.035 sich eine dichterische Wirklichkeit rein aus den Sprachbeständen pse_571.036 auf; wir sind, abgesehen vom reinen Verstehen der Worte pse_571.037 und Sätze, auf eine außersprachliche Wirklichkeit nicht mehr pse_571.038 angewiesen. Im aufgeführten Drama aber entfaltet sich vor
pse_571.001 Struktur einfügen, es darf sie nicht sprengen. Wir könnten pse_571.002 also etwa folgende Wesensbestimmung des Dramas geben: pse_571.003 es ist die Art darstellender, also erst im Spiel voll sich auswirkender pse_571.004 Dichtung, die die Urgespaltenheit der Welt zur pse_571.005 Grundlage hat und aus der Haltung der Gespanntheit wächst.
pse_571.006 Von hier aus kann ein Vergleich mit Lyrik und Epik noch pse_571.007 klären. Gemeinsam ist dem Drama mit der Lyrik, daß die pse_571.008 dramatischen Personen oft unmittelbar ihr Erleben aussprechen, pse_571.009 also lyrisch sprechen können. Die Unterschiede liegen pse_571.010 ganz äußerlich schon in der Gestaltung eines ablaufenden pse_571.011 Vorgangs. Mit der Epik sind die Ähnlichkeiten schon deutlicher. pse_571.012 Beides sind dichterische Formungen eines Vorgangs pse_571.013 mit den Kräften der Sprachkunst. Die Unterschiede aber beginnen pse_571.014 schon in der Art der dichterischen Begabung. Der pse_571.015 dramatische Dichter wird von der Urgespaltenheit, in der die pse_571.016 Welt sich ihm darstellt, unmittelbar ergriffen, durch dieses pse_571.017 Hineingerissenwerden kommt es zur inneren Angespanntheit pse_571.018 auch in ihm, und so erwächst ihm am unmittelbarsten die pse_571.019 darstellende Form für seine dichterische Gestaltung. Selten pse_571.020 finden wir daher die Verbindung von echt epischer und echt pse_571.021 dramatischer Begabung in einem Dichter: der geborene Dramatiker pse_571.022 ist niemals großer Epiker und meist auch umgekehrt. pse_571.023 Man denke an die drei griechischen Tragiker, an Shakespeare, pse_571.024 Calderon und Schiller. Kleist ist Dramatiker, daher greift er pse_571.025 als Erzähler nur zur Novellenform. Goethe ist doch vor allem pse_571.026 Epiker trotz aller Höhe seiner Dramatik. Auch in der Wirkungsgestaltung pse_571.027 bestehen zwischen Epik und Dramatik wesentliche pse_571.028 Unterschiede. Der Erzähler hat Zuhörer, der Spieler pse_571.029 Zuschauer. Die Epik lebt von der Zweipoligkeit des Erzählers pse_571.030 und Zuhörers. Das dramatische Spiel läuft eigentlich mehr für pse_571.031 sich ab, Durchbrechungen der völligen Trennung von Spieler pse_571.032 und Zuschauer sind besondere künstlerische Fragen. Vor allem pse_571.033 besteht im Drama ein ganz besonderes Wirklichkeitsverhältnis. pse_571.034 In der Epik, Lyrik und in der gelesenen Dramatik baut pse_571.035 sich eine dichterische Wirklichkeit rein aus den Sprachbeständen pse_571.036 auf; wir sind, abgesehen vom reinen Verstehen der Worte pse_571.037 und Sätze, auf eine außersprachliche Wirklichkeit nicht mehr pse_571.038 angewiesen. Im aufgeführten Drama aber entfaltet sich vor
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Struktur einfügen, es darf sie nicht sprengen. Wir könnten pse_571.002
also etwa folgende Wesensbestimmung des Dramas geben: pse_571.003
es ist die Art darstellender, also erst im Spiel voll sich auswirkender pse_571.004
Dichtung, die die Urgespaltenheit der Welt zur pse_571.005
Grundlage hat und aus der Haltung der Gespanntheit wächst.
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Von hier aus kann ein Vergleich mit Lyrik und Epik noch pse_571.007
klären. Gemeinsam ist dem Drama mit der Lyrik, daß die pse_571.008
dramatischen Personen oft unmittelbar ihr Erleben aussprechen, pse_571.009
also lyrisch sprechen können. Die Unterschiede liegen pse_571.010
ganz äußerlich schon in der Gestaltung eines ablaufenden pse_571.011
Vorgangs. Mit der Epik sind die Ähnlichkeiten schon deutlicher. pse_571.012
Beides sind dichterische Formungen eines Vorgangs pse_571.013
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schon in der Art der dichterischen Begabung. Der pse_571.015
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darstellende Form für seine dichterische Gestaltung. Selten pse_571.020
finden wir daher die Verbindung von echt epischer und echt pse_571.021
dramatischer Begabung in einem Dichter: der geborene Dramatiker pse_571.022
ist niemals großer Epiker und meist auch umgekehrt. pse_571.023
Man denke an die drei griechischen Tragiker, an Shakespeare, pse_571.024
Calderon und Schiller. Kleist ist Dramatiker, daher greift er pse_571.025
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Epiker trotz aller Höhe seiner Dramatik. Auch in der Wirkungsgestaltung pse_571.027
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und Zuhörers. Das dramatische Spiel läuft eigentlich mehr für pse_571.031
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und Zuschauer sind besondere künstlerische Fragen. Vor allem pse_571.033
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In der Epik, Lyrik und in der gelesenen Dramatik baut pse_571.035
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 571. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/587>, abgerufen am 22.11.2024.
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