pse_580.001 so viele Aufbauformen. Es ist auch möglich, noch mehr pse_580.002 Dramen zu einer umfassenderen Einheit zu binden; man kann pse_580.003 dann an die zyklische Anlage moderner Romane denken. pse_580.004 So kann man in den Königsdramen Shakespeares eine große pse_580.005 innere Einheit sehen. Goethe und Schiller haben diese Einheit pse_580.006 schon erkannt und Dingelstedt sie in den Aufführungen 1864 pse_580.007 hervorgehoben. Die Reihung der inneren Einheit stimmt pse_580.008 nicht mit der Entstehungszeit überein. "Richard II." bringt als pse_580.009 erste Höhe ein Ahnen des Ganzen. Die beiden Teile "Heinrichs pse_580.010 IV." und "Heinrich V." bilden mehr eine epische Füllung, pse_580.011 die drei Teile "Heinrichs VI." die nächste Höhe, pse_580.012 "Richard III." als dritte Höhe Absturz und Ausblick. Die pse_580.013 Gliederung mehrteiliger Dramen erfolgt nicht nach einem pse_580.014 Schema, sondern nach der Rhythmik der Umschläge. Auch pse_580.015 Überraschungen und scheinbare Abwege lassen sich aus dem pse_580.016 Wesen des Dramatischen und aus dem Grundsatz der Gespanntheit pse_580.017 erklären.
pse_580.018 Wie für die epische Vorgangsgestaltung sind auch für die pse_580.019 dramatische Zeit und Raum wichtig. Schon aus der sprachlichen pse_580.020 Struktur ergibt sich das: alle Sprachgestaltung läuft zeitlich pse_580.021 ab, und Dialoge sind raumbedingt, oft aber auch durch die pse_580.022 Kunst des Dichters geradezu raumschaffend. Der Zeitablauf pse_580.023 verschafft dem Vorgang die Tendenz auf das Kommende und pse_580.024 macht Spannungen und Gegensätze fühlbar. Der Raum bietet pse_580.025 besondere Möglichkeiten, die Urgespaltenheit eindrucksvoll pse_580.026 zu betonen. Vor allem aber sind gerade diese beiden Kategorien pse_580.027 imstande, die scharfe und meist abstrahierende Durchführung pse_580.028 eines Vorgangs in eine Atmosphäre, eine erlebbare pse_580.029 Umwelt, eine besondere Gestimmtheit zu tauchen. Die Gefahr, pse_580.030 nur bruchstückhafte Handlungsteile zu geben, wird dadurch pse_580.031 stark vermindert.
pse_580.032 Verwesentlichung und Verdichtung verlangen Einschränkung pse_580.033 des Zeitraums. Durch solche Raffung kann auch das pse_580.034 Zeitliche symbolisch werden. Zur Beleuchtung der künstlerischen pse_580.035 Möglichkeiten unterscheidet man am besten Zeiterstreckung pse_580.036 Zeitdauer und Zeitbewältigung. 1. Die Zeiterstreckung pse_580.037 meint die Meßbarkeit des Handlungsablaufs. Hier pse_580.038 wird gefragt: wann beginnt die Handlung, wie lange dauert
pse_580.001 so viele Aufbauformen. Es ist auch möglich, noch mehr pse_580.002 Dramen zu einer umfassenderen Einheit zu binden; man kann pse_580.003 dann an die zyklische Anlage moderner Romane denken. pse_580.004 So kann man in den Königsdramen Shakespeares eine große pse_580.005 innere Einheit sehen. Goethe und Schiller haben diese Einheit pse_580.006 schon erkannt und Dingelstedt sie in den Aufführungen 1864 pse_580.007 hervorgehoben. Die Reihung der inneren Einheit stimmt pse_580.008 nicht mit der Entstehungszeit überein. »Richard II.« bringt als pse_580.009 erste Höhe ein Ahnen des Ganzen. Die beiden Teile »Heinrichs pse_580.010 IV.« und »Heinrich V.« bilden mehr eine epische Füllung, pse_580.011 die drei Teile »Heinrichs VI.« die nächste Höhe, pse_580.012 »Richard III.« als dritte Höhe Absturz und Ausblick. Die pse_580.013 Gliederung mehrteiliger Dramen erfolgt nicht nach einem pse_580.014 Schema, sondern nach der Rhythmik der Umschläge. Auch pse_580.015 Überraschungen und scheinbare Abwege lassen sich aus dem pse_580.016 Wesen des Dramatischen und aus dem Grundsatz der Gespanntheit pse_580.017 erklären.
pse_580.018 Wie für die epische Vorgangsgestaltung sind auch für die pse_580.019 dramatische Zeit und Raum wichtig. Schon aus der sprachlichen pse_580.020 Struktur ergibt sich das: alle Sprachgestaltung läuft zeitlich pse_580.021 ab, und Dialoge sind raumbedingt, oft aber auch durch die pse_580.022 Kunst des Dichters geradezu raumschaffend. Der Zeitablauf pse_580.023 verschafft dem Vorgang die Tendenz auf das Kommende und pse_580.024 macht Spannungen und Gegensätze fühlbar. Der Raum bietet pse_580.025 besondere Möglichkeiten, die Urgespaltenheit eindrucksvoll pse_580.026 zu betonen. Vor allem aber sind gerade diese beiden Kategorien pse_580.027 imstande, die scharfe und meist abstrahierende Durchführung pse_580.028 eines Vorgangs in eine Atmosphäre, eine erlebbare pse_580.029 Umwelt, eine besondere Gestimmtheit zu tauchen. Die Gefahr, pse_580.030 nur bruchstückhafte Handlungsteile zu geben, wird dadurch pse_580.031 stark vermindert.
pse_580.032 Verwesentlichung und Verdichtung verlangen Einschränkung pse_580.033 des Zeitraums. Durch solche Raffung kann auch das pse_580.034 Zeitliche symbolisch werden. Zur Beleuchtung der künstlerischen pse_580.035 Möglichkeiten unterscheidet man am besten Zeiterstreckung pse_580.036 Zeitdauer und Zeitbewältigung. 1. Die Zeiterstreckung pse_580.037 meint die Meßbarkeit des Handlungsablaufs. Hier pse_580.038 wird gefragt: wann beginnt die Handlung, wie lange dauert
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0596"n="580"/><lbn="pse_580.001"/>
so viele Aufbauformen. Es ist auch möglich, noch mehr <lbn="pse_580.002"/>
Dramen zu einer umfassenderen Einheit zu binden; man kann <lbn="pse_580.003"/>
dann an die zyklische Anlage moderner Romane denken. <lbn="pse_580.004"/>
So kann man in den Königsdramen Shakespeares eine große <lbn="pse_580.005"/>
innere Einheit sehen. Goethe und Schiller haben diese Einheit <lbn="pse_580.006"/>
schon erkannt und Dingelstedt sie in den Aufführungen 1864 <lbn="pse_580.007"/>
hervorgehoben. Die Reihung der inneren Einheit stimmt <lbn="pse_580.008"/>
nicht mit der Entstehungszeit überein. »Richard II.« bringt als <lbn="pse_580.009"/>
erste Höhe ein Ahnen des Ganzen. Die beiden Teile »Heinrichs <lbn="pse_580.010"/>
IV.« und »Heinrich V.« bilden mehr eine epische Füllung, <lbn="pse_580.011"/>
die drei Teile »Heinrichs VI.« die nächste Höhe, <lbn="pse_580.012"/>
»Richard III.« als dritte Höhe Absturz und Ausblick. Die <lbn="pse_580.013"/>
Gliederung mehrteiliger Dramen erfolgt nicht nach einem <lbn="pse_580.014"/>
Schema, sondern nach der Rhythmik der Umschläge. Auch <lbn="pse_580.015"/>
Überraschungen und scheinbare Abwege lassen sich aus dem <lbn="pse_580.016"/>
Wesen des Dramatischen und aus dem Grundsatz der Gespanntheit <lbn="pse_580.017"/>
erklären.</p><p><lbn="pse_580.018"/>
Wie für die epische Vorgangsgestaltung sind auch für die <lbn="pse_580.019"/>
dramatische <hirendition="#i">Zeit und Raum</hi> wichtig. Schon aus der sprachlichen <lbn="pse_580.020"/>
Struktur ergibt sich das: alle Sprachgestaltung läuft zeitlich <lbn="pse_580.021"/>
ab, und Dialoge sind raumbedingt, oft aber auch durch die <lbn="pse_580.022"/>
Kunst des Dichters geradezu raumschaffend. Der Zeitablauf <lbn="pse_580.023"/>
verschafft dem Vorgang die Tendenz auf das Kommende und <lbn="pse_580.024"/>
macht Spannungen und Gegensätze fühlbar. Der Raum bietet <lbn="pse_580.025"/>
besondere Möglichkeiten, die Urgespaltenheit eindrucksvoll <lbn="pse_580.026"/>
zu betonen. Vor allem aber sind gerade diese beiden Kategorien <lbn="pse_580.027"/>
imstande, die scharfe und meist abstrahierende Durchführung <lbn="pse_580.028"/>
eines Vorgangs in eine Atmosphäre, eine erlebbare <lbn="pse_580.029"/>
Umwelt, eine besondere Gestimmtheit zu tauchen. Die Gefahr, <lbn="pse_580.030"/>
nur bruchstückhafte Handlungsteile zu geben, wird dadurch <lbn="pse_580.031"/>
stark vermindert.</p><p><lbn="pse_580.032"/>
Verwesentlichung und Verdichtung verlangen Einschränkung <lbn="pse_580.033"/>
des Zeitraums. Durch solche Raffung kann auch das <lbn="pse_580.034"/>
Zeitliche symbolisch werden. Zur Beleuchtung der künstlerischen <lbn="pse_580.035"/>
Möglichkeiten unterscheidet man am besten Zeiterstreckung <lbn="pse_580.036"/>
Zeitdauer und Zeitbewältigung. 1. Die Zeiterstreckung <lbn="pse_580.037"/>
meint die Meßbarkeit des Handlungsablaufs. Hier <lbn="pse_580.038"/>
wird gefragt: wann beginnt die Handlung, wie lange dauert
</p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[580/0596]
pse_580.001
so viele Aufbauformen. Es ist auch möglich, noch mehr pse_580.002
Dramen zu einer umfassenderen Einheit zu binden; man kann pse_580.003
dann an die zyklische Anlage moderner Romane denken. pse_580.004
So kann man in den Königsdramen Shakespeares eine große pse_580.005
innere Einheit sehen. Goethe und Schiller haben diese Einheit pse_580.006
schon erkannt und Dingelstedt sie in den Aufführungen 1864 pse_580.007
hervorgehoben. Die Reihung der inneren Einheit stimmt pse_580.008
nicht mit der Entstehungszeit überein. »Richard II.« bringt als pse_580.009
erste Höhe ein Ahnen des Ganzen. Die beiden Teile »Heinrichs pse_580.010
IV.« und »Heinrich V.« bilden mehr eine epische Füllung, pse_580.011
die drei Teile »Heinrichs VI.« die nächste Höhe, pse_580.012
»Richard III.« als dritte Höhe Absturz und Ausblick. Die pse_580.013
Gliederung mehrteiliger Dramen erfolgt nicht nach einem pse_580.014
Schema, sondern nach der Rhythmik der Umschläge. Auch pse_580.015
Überraschungen und scheinbare Abwege lassen sich aus dem pse_580.016
Wesen des Dramatischen und aus dem Grundsatz der Gespanntheit pse_580.017
erklären.
pse_580.018
Wie für die epische Vorgangsgestaltung sind auch für die pse_580.019
dramatische Zeit und Raum wichtig. Schon aus der sprachlichen pse_580.020
Struktur ergibt sich das: alle Sprachgestaltung läuft zeitlich pse_580.021
ab, und Dialoge sind raumbedingt, oft aber auch durch die pse_580.022
Kunst des Dichters geradezu raumschaffend. Der Zeitablauf pse_580.023
verschafft dem Vorgang die Tendenz auf das Kommende und pse_580.024
macht Spannungen und Gegensätze fühlbar. Der Raum bietet pse_580.025
besondere Möglichkeiten, die Urgespaltenheit eindrucksvoll pse_580.026
zu betonen. Vor allem aber sind gerade diese beiden Kategorien pse_580.027
imstande, die scharfe und meist abstrahierende Durchführung pse_580.028
eines Vorgangs in eine Atmosphäre, eine erlebbare pse_580.029
Umwelt, eine besondere Gestimmtheit zu tauchen. Die Gefahr, pse_580.030
nur bruchstückhafte Handlungsteile zu geben, wird dadurch pse_580.031
stark vermindert.
pse_580.032
Verwesentlichung und Verdichtung verlangen Einschränkung pse_580.033
des Zeitraums. Durch solche Raffung kann auch das pse_580.034
Zeitliche symbolisch werden. Zur Beleuchtung der künstlerischen pse_580.035
Möglichkeiten unterscheidet man am besten Zeiterstreckung pse_580.036
Zeitdauer und Zeitbewältigung. 1. Die Zeiterstreckung pse_580.037
meint die Meßbarkeit des Handlungsablaufs. Hier pse_580.038
wird gefragt: wann beginnt die Handlung, wie lange dauert
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:
Bogensignaturen: keine Angabe;
Druckfehler: keine Angabe;
fremdsprachliches Material: gekennzeichnet;
Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;
Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage;
i/j in Fraktur: wie Vorlage;
I/J in Fraktur: wie Vorlage;
Kolumnentitel: nicht übernommen;
Kustoden: nicht übernommen;
langes s (ſ): wie Vorlage;
Normalisierungen: keine;
rundes r (ꝛ): wie Vorlage;
Seitenumbrüche markiert: ja;
Silbentrennung: nicht übernommen;
u/v bzw. U/V: wie Vorlage;
Vokale mit übergest. e: wie Vorlage;
Vollständigkeit: vollständig erfasst;
Zeichensetzung: wie Vorlage;
Zeilenumbrüche markiert: ja;
Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 580. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/596>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.