pse_671.001 solchen Einsatzes der Dichtung in der Bildungsarbeit. Eine pse_671.002 der größten Gefahren ist eben die methodische Überfeinerung pse_671.003 oder Rationalisierung. Sie kann -- muß es nicht in der pse_671.004 Hand eines weisen und ergriffenen Lehrers -- geradezu zur pse_671.005 Entfernung der jungen Menschen von den Werten der Dichtung pse_671.006 für immer führen. Wie vielen Jugendlichen ist Schiller in pse_671.007 der Schule verekelt worden! Sicher wird man auch nie alle pse_671.008 Schüler der Dichtung innerlich öffnen können. Aber wenn es pse_671.009 auch nur einige sind, die dann später der Dichtung treu bleiben, pse_671.010 denen sie immer schönste und ergreifendste Welterhellung pse_671.011 bleibt, ist die Mühe nicht verloren und die Bemühung, pse_671.012 die Jugend der Dichtung zu erschließen, gerechtfertigt.
pse_671.013 Die Dichtung im öffentlichen Leben
pse_671.014 Wir wollen uns hier ganz kurz bewußt werden, wie stark pse_671.015 Dichtung oder was sich so nennt, ins öffentliche Leben im pse_671.016 weitesten Sinn verflochten ist. Das beginnt schon bei der pse_671.017 Vorliebe für Reimereien und Gereimtes in allen möglichen pse_671.018 Lagen: Wirtshausschilder, Wandschmucktafeln, Polsterkissen, pse_671.019 schon ein wenig höher stehend die in den Alpenländern pse_671.020 üblichen Marterln, von denen angeregt Karl Schönherr seine pse_671.021 knappe und derb-kräftige Spruchdichtung der Bergsteigermarterln pse_671.022 geschaffen hat. Auch die Reklame macht sich die pse_671.023 Vorteile des Rhythmus und des Reims zunutze. Denn diese pse_671.024 Vorliebe für Metrisches und Gereimtes hängt vor allem mit pse_671.025 der Hilfe zusammen, die solche Sprachgebilde dem Gedächtnis pse_671.026 bieten. Zugleich aber macht die feste Prägung immer einen pse_671.027 starken Eindruck, es ist auch dem gewöhnlichen Menschen pse_671.028 dann so, als ob in dieser Sprachprägung das Auszusagende in pse_671.029 eine dauerhafte Form gefaßt und auf das Wesentliche ausgerichtet pse_671.030 wäre, also Verwesentlichung schon in diesen untersten pse_671.031 Bereichen.
pse_671.032 Eine Stufe höher steht die Gelegenheitsdichtung im engeren pse_671.033 Sinn: zu allen möglichen Feiern, wie wir gleich sehen pse_671.034 werden, aber auch in die Alben und Merkbücher für Freunde pse_671.035 und Freundinnen. Große Dichter haben unter solchen Umständen
pse_671.001 solchen Einsatzes der Dichtung in der Bildungsarbeit. Eine pse_671.002 der größten Gefahren ist eben die methodische Überfeinerung pse_671.003 oder Rationalisierung. Sie kann — muß es nicht in der pse_671.004 Hand eines weisen und ergriffenen Lehrers — geradezu zur pse_671.005 Entfernung der jungen Menschen von den Werten der Dichtung pse_671.006 für immer führen. Wie vielen Jugendlichen ist Schiller in pse_671.007 der Schule verekelt worden! Sicher wird man auch nie alle pse_671.008 Schüler der Dichtung innerlich öffnen können. Aber wenn es pse_671.009 auch nur einige sind, die dann später der Dichtung treu bleiben, pse_671.010 denen sie immer schönste und ergreifendste Welterhellung pse_671.011 bleibt, ist die Mühe nicht verloren und die Bemühung, pse_671.012 die Jugend der Dichtung zu erschließen, gerechtfertigt.
pse_671.013 Die Dichtung im öffentlichen Leben
pse_671.014 Wir wollen uns hier ganz kurz bewußt werden, wie stark pse_671.015 Dichtung oder was sich so nennt, ins öffentliche Leben im pse_671.016 weitesten Sinn verflochten ist. Das beginnt schon bei der pse_671.017 Vorliebe für Reimereien und Gereimtes in allen möglichen pse_671.018 Lagen: Wirtshausschilder, Wandschmucktafeln, Polsterkissen, pse_671.019 schon ein wenig höher stehend die in den Alpenländern pse_671.020 üblichen Marterln, von denen angeregt Karl Schönherr seine pse_671.021 knappe und derb-kräftige Spruchdichtung der Bergsteigermarterln pse_671.022 geschaffen hat. Auch die Reklame macht sich die pse_671.023 Vorteile des Rhythmus und des Reims zunutze. Denn diese pse_671.024 Vorliebe für Metrisches und Gereimtes hängt vor allem mit pse_671.025 der Hilfe zusammen, die solche Sprachgebilde dem Gedächtnis pse_671.026 bieten. Zugleich aber macht die feste Prägung immer einen pse_671.027 starken Eindruck, es ist auch dem gewöhnlichen Menschen pse_671.028 dann so, als ob in dieser Sprachprägung das Auszusagende in pse_671.029 eine dauerhafte Form gefaßt und auf das Wesentliche ausgerichtet pse_671.030 wäre, also Verwesentlichung schon in diesen untersten pse_671.031 Bereichen.
pse_671.032 Eine Stufe höher steht die Gelegenheitsdichtung im engeren pse_671.033 Sinn: zu allen möglichen Feiern, wie wir gleich sehen pse_671.034 werden, aber auch in die Alben und Merkbücher für Freunde pse_671.035 und Freundinnen. Große Dichter haben unter solchen Umständen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0687"n="671"/><lbn="pse_671.001"/>
solchen Einsatzes der Dichtung in der Bildungsarbeit. Eine <lbn="pse_671.002"/>
der größten Gefahren ist eben die methodische Überfeinerung <lbn="pse_671.003"/>
oder Rationalisierung. Sie kann — muß es nicht in der <lbn="pse_671.004"/>
Hand eines weisen und ergriffenen Lehrers — geradezu zur <lbn="pse_671.005"/>
Entfernung der jungen Menschen von den Werten der Dichtung <lbn="pse_671.006"/>
für immer führen. Wie vielen Jugendlichen ist Schiller in <lbn="pse_671.007"/>
der Schule verekelt worden! Sicher wird man auch nie alle <lbn="pse_671.008"/>
Schüler der Dichtung innerlich öffnen können. Aber wenn es <lbn="pse_671.009"/>
auch nur einige sind, die dann später der Dichtung treu bleiben, <lbn="pse_671.010"/>
denen sie immer schönste und ergreifendste Welterhellung <lbn="pse_671.011"/>
bleibt, ist die Mühe nicht verloren und die Bemühung, <lbn="pse_671.012"/>
die Jugend der Dichtung zu erschließen, gerechtfertigt.</p></div><divn="3"><lbn="pse_671.013"/><head><hirendition="#c"><hirendition="#i">Die Dichtung im öffentlichen Leben</hi></hi></head><p><lbn="pse_671.014"/>
Wir wollen uns hier ganz kurz bewußt werden, wie stark <lbn="pse_671.015"/>
Dichtung oder was sich so nennt, ins öffentliche Leben im <lbn="pse_671.016"/>
weitesten Sinn verflochten ist. Das beginnt schon bei der <lbn="pse_671.017"/>
Vorliebe für Reimereien und Gereimtes in allen möglichen <lbn="pse_671.018"/>
Lagen: Wirtshausschilder, Wandschmucktafeln, Polsterkissen, <lbn="pse_671.019"/>
schon ein wenig höher stehend die in den Alpenländern <lbn="pse_671.020"/>
üblichen Marterln, von denen angeregt Karl Schönherr seine <lbn="pse_671.021"/>
knappe und derb-kräftige Spruchdichtung der Bergsteigermarterln <lbn="pse_671.022"/>
geschaffen hat. Auch die Reklame macht sich die <lbn="pse_671.023"/>
Vorteile des Rhythmus und des Reims zunutze. Denn diese <lbn="pse_671.024"/>
Vorliebe für Metrisches und Gereimtes hängt vor allem mit <lbn="pse_671.025"/>
der Hilfe zusammen, die solche Sprachgebilde dem Gedächtnis <lbn="pse_671.026"/>
bieten. Zugleich aber macht die feste Prägung immer einen <lbn="pse_671.027"/>
starken Eindruck, es ist auch dem gewöhnlichen Menschen <lbn="pse_671.028"/>
dann so, als ob in dieser Sprachprägung das Auszusagende in <lbn="pse_671.029"/>
eine dauerhafte Form gefaßt und auf das Wesentliche ausgerichtet <lbn="pse_671.030"/>
wäre, also Verwesentlichung schon in diesen untersten <lbn="pse_671.031"/>
Bereichen.</p><p><lbn="pse_671.032"/>
Eine Stufe höher steht die Gelegenheitsdichtung im engeren <lbn="pse_671.033"/>
Sinn: zu allen möglichen Feiern, wie wir gleich sehen <lbn="pse_671.034"/>
werden, aber auch in die Alben und Merkbücher für Freunde <lbn="pse_671.035"/>
und Freundinnen. Große Dichter haben unter solchen Umständen
</p></div></div></div></body></text></TEI>
[671/0687]
pse_671.001
solchen Einsatzes der Dichtung in der Bildungsarbeit. Eine pse_671.002
der größten Gefahren ist eben die methodische Überfeinerung pse_671.003
oder Rationalisierung. Sie kann — muß es nicht in der pse_671.004
Hand eines weisen und ergriffenen Lehrers — geradezu zur pse_671.005
Entfernung der jungen Menschen von den Werten der Dichtung pse_671.006
für immer führen. Wie vielen Jugendlichen ist Schiller in pse_671.007
der Schule verekelt worden! Sicher wird man auch nie alle pse_671.008
Schüler der Dichtung innerlich öffnen können. Aber wenn es pse_671.009
auch nur einige sind, die dann später der Dichtung treu bleiben, pse_671.010
denen sie immer schönste und ergreifendste Welterhellung pse_671.011
bleibt, ist die Mühe nicht verloren und die Bemühung, pse_671.012
die Jugend der Dichtung zu erschließen, gerechtfertigt.
pse_671.013
Die Dichtung im öffentlichen Leben pse_671.014
Wir wollen uns hier ganz kurz bewußt werden, wie stark pse_671.015
Dichtung oder was sich so nennt, ins öffentliche Leben im pse_671.016
weitesten Sinn verflochten ist. Das beginnt schon bei der pse_671.017
Vorliebe für Reimereien und Gereimtes in allen möglichen pse_671.018
Lagen: Wirtshausschilder, Wandschmucktafeln, Polsterkissen, pse_671.019
schon ein wenig höher stehend die in den Alpenländern pse_671.020
üblichen Marterln, von denen angeregt Karl Schönherr seine pse_671.021
knappe und derb-kräftige Spruchdichtung der Bergsteigermarterln pse_671.022
geschaffen hat. Auch die Reklame macht sich die pse_671.023
Vorteile des Rhythmus und des Reims zunutze. Denn diese pse_671.024
Vorliebe für Metrisches und Gereimtes hängt vor allem mit pse_671.025
der Hilfe zusammen, die solche Sprachgebilde dem Gedächtnis pse_671.026
bieten. Zugleich aber macht die feste Prägung immer einen pse_671.027
starken Eindruck, es ist auch dem gewöhnlichen Menschen pse_671.028
dann so, als ob in dieser Sprachprägung das Auszusagende in pse_671.029
eine dauerhafte Form gefaßt und auf das Wesentliche ausgerichtet pse_671.030
wäre, also Verwesentlichung schon in diesen untersten pse_671.031
Bereichen.
pse_671.032
Eine Stufe höher steht die Gelegenheitsdichtung im engeren pse_671.033
Sinn: zu allen möglichen Feiern, wie wir gleich sehen pse_671.034
werden, aber auch in die Alben und Merkbücher für Freunde pse_671.035
und Freundinnen. Große Dichter haben unter solchen Umständen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:
Bogensignaturen: keine Angabe;
Druckfehler: keine Angabe;
fremdsprachliches Material: gekennzeichnet;
Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;
Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage;
i/j in Fraktur: wie Vorlage;
I/J in Fraktur: wie Vorlage;
Kolumnentitel: nicht übernommen;
Kustoden: nicht übernommen;
langes s (ſ): wie Vorlage;
Normalisierungen: keine;
rundes r (ꝛ): wie Vorlage;
Seitenumbrüche markiert: ja;
Silbentrennung: nicht übernommen;
u/v bzw. U/V: wie Vorlage;
Vokale mit übergest. e: wie Vorlage;
Vollständigkeit: vollständig erfasst;
Zeichensetzung: wie Vorlage;
Zeilenumbrüche markiert: ja;
Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 671. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/687>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.