Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959.

Bild:
<< vorherige Seite

pse_673.001
Menschenbedarf von Adelskreisen und Fürstenhöfen seit pse_673.002
ältesten Zeiten. Sie verschönten, veredelten das Leben, hoben pse_673.003
es auf eine höhere Stufe. Goethes Ballade vom "Sänger" gestaltet pse_673.004
das. Damit stoßen wir auf eine der bedeutendsten Gelegenheiten, pse_673.005
wo Dichtung im öffentlichen Leben wirksam pse_673.006
wird: die Feiern. Feiern spielen im Leben jeder auch noch so pse_673.007
kleinen Gemeinschaft eine bedeutsame Rolle. Ihr Sinn ist pse_673.008
Besinnung und Anregung in der Erhebung. Daraus ergibt pse_673.009
sich auch die Möglichkeit der Wiederholung. Wir wollen pse_673.010
hier davon absehen, daß das Erleben von Kunstwerken vielen pse_673.011
Menschen auch eine Feier ist und gerade die Wiederholung pse_673.012
solchen Erlebens immer wieder den Eindruck der Feier gibt. pse_673.013
Tatsächlich sind wir hier nahe an ursprünglichen Funktionen pse_673.014
der Kunst. Denn sie spielt in der verschiedensten Weise in pse_673.015
die Feiergestaltung herein, neben den bildenden Künsten pse_673.016
vor allem auch die Musik und die Dichtung. Dieser Einsatz pse_673.017
der Kunst kann von zwei Seiten betrachtet werden. Die eine pse_673.018
ergibt sich aus der Tatsache, daß vielen Menschen, wie gerade pse_673.019
gesagt, Kunsterleben eine Feier ist. So kommt es zu der Form pse_673.020
der Festspiele, die an sich eben die Menschen durch die Kunst pse_673.021
aus dem Alltag emporheben wollen; daß auch sie zu wirtschaftlichen pse_673.022
Einrichtungen werden können und die Kunst pse_673.023
damit wieder zu einem Gebrauchsgut wird, ist bekannt und pse_673.024
läßt sich wohl kaum ändern. Die andere Seite ergibt sich aus pse_673.025
der Tatsache, daß der Feiergestalter sich dessen bewußt ist, pse_673.026
daß Kunst die Feiern verschönen kann. Diese Seite ist für pse_673.027
uns hier wichtig, denn da hat die Kunst einen deutlichen pse_673.028
Dienstwert. Gerade das Eigentliche der Kunst, auch der pse_673.029
Dichtung, besteht ja im Verwesentlichen, in der Emporführung pse_673.030
über den Alltag. Die Dichtung wird hier also in einer pse_673.031
ihrer Sichten und Eigenschaften eingesetzt, und man kann pse_673.032
nicht einmal sagen, daß sie in ihrem Wesen dabei verkannt pse_673.033
wird. Man kann bestehende Dichtungen dafür einsetzen, pse_673.034
aber auch eigene Werke für solche Feiern schaffen, am bekanntesten pse_673.035
etwa die Pindarischen Hymnen, wobei sich zeigt, pse_673.036
welche dichterische Höhe in solcher Feiergestaltung erreicht pse_673.037
werden kann. Die Dichtung beginnt schon in der Familienfeier, pse_673.038
allerdings hier meist in bescheidener Form. Auch

pse_673.001
Menschenbedarf von Adelskreisen und Fürstenhöfen seit pse_673.002
ältesten Zeiten. Sie verschönten, veredelten das Leben, hoben pse_673.003
es auf eine höhere Stufe. Goethes Ballade vom »Sänger« gestaltet pse_673.004
das. Damit stoßen wir auf eine der bedeutendsten Gelegenheiten, pse_673.005
wo Dichtung im öffentlichen Leben wirksam pse_673.006
wird: die Feiern. Feiern spielen im Leben jeder auch noch so pse_673.007
kleinen Gemeinschaft eine bedeutsame Rolle. Ihr Sinn ist pse_673.008
Besinnung und Anregung in der Erhebung. Daraus ergibt pse_673.009
sich auch die Möglichkeit der Wiederholung. Wir wollen pse_673.010
hier davon absehen, daß das Erleben von Kunstwerken vielen pse_673.011
Menschen auch eine Feier ist und gerade die Wiederholung pse_673.012
solchen Erlebens immer wieder den Eindruck der Feier gibt. pse_673.013
Tatsächlich sind wir hier nahe an ursprünglichen Funktionen pse_673.014
der Kunst. Denn sie spielt in der verschiedensten Weise in pse_673.015
die Feiergestaltung herein, neben den bildenden Künsten pse_673.016
vor allem auch die Musik und die Dichtung. Dieser Einsatz pse_673.017
der Kunst kann von zwei Seiten betrachtet werden. Die eine pse_673.018
ergibt sich aus der Tatsache, daß vielen Menschen, wie gerade pse_673.019
gesagt, Kunsterleben eine Feier ist. So kommt es zu der Form pse_673.020
der Festspiele, die an sich eben die Menschen durch die Kunst pse_673.021
aus dem Alltag emporheben wollen; daß auch sie zu wirtschaftlichen pse_673.022
Einrichtungen werden können und die Kunst pse_673.023
damit wieder zu einem Gebrauchsgut wird, ist bekannt und pse_673.024
läßt sich wohl kaum ändern. Die andere Seite ergibt sich aus pse_673.025
der Tatsache, daß der Feiergestalter sich dessen bewußt ist, pse_673.026
daß Kunst die Feiern verschönen kann. Diese Seite ist für pse_673.027
uns hier wichtig, denn da hat die Kunst einen deutlichen pse_673.028
Dienstwert. Gerade das Eigentliche der Kunst, auch der pse_673.029
Dichtung, besteht ja im Verwesentlichen, in der Emporführung pse_673.030
über den Alltag. Die Dichtung wird hier also in einer pse_673.031
ihrer Sichten und Eigenschaften eingesetzt, und man kann pse_673.032
nicht einmal sagen, daß sie in ihrem Wesen dabei verkannt pse_673.033
wird. Man kann bestehende Dichtungen dafür einsetzen, pse_673.034
aber auch eigene Werke für solche Feiern schaffen, am bekanntesten pse_673.035
etwa die Pindarischen Hymnen, wobei sich zeigt, pse_673.036
welche dichterische Höhe in solcher Feiergestaltung erreicht pse_673.037
werden kann. Die Dichtung beginnt schon in der Familienfeier, pse_673.038
allerdings hier meist in bescheidener Form. Auch

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0689" n="673"/><lb n="pse_673.001"/>
Menschenbedarf von Adelskreisen und Fürstenhöfen seit <lb n="pse_673.002"/>
ältesten Zeiten. Sie verschönten, veredelten das Leben, hoben <lb n="pse_673.003"/>
es auf eine höhere Stufe. Goethes Ballade vom »Sänger« gestaltet <lb n="pse_673.004"/>
das. Damit stoßen wir auf eine der bedeutendsten Gelegenheiten, <lb n="pse_673.005"/>
wo Dichtung im öffentlichen Leben wirksam <lb n="pse_673.006"/>
wird: die Feiern. Feiern spielen im Leben jeder auch noch so <lb n="pse_673.007"/>
kleinen Gemeinschaft eine bedeutsame Rolle. Ihr Sinn ist <lb n="pse_673.008"/>
Besinnung und Anregung in der Erhebung. Daraus ergibt <lb n="pse_673.009"/>
sich auch die Möglichkeit der Wiederholung. Wir wollen <lb n="pse_673.010"/>
hier davon absehen, daß das Erleben von Kunstwerken vielen <lb n="pse_673.011"/>
Menschen auch eine Feier ist und gerade die Wiederholung <lb n="pse_673.012"/>
solchen Erlebens immer wieder den Eindruck der Feier gibt. <lb n="pse_673.013"/>
Tatsächlich sind wir hier nahe an ursprünglichen Funktionen <lb n="pse_673.014"/>
der Kunst. Denn sie spielt in der verschiedensten Weise in <lb n="pse_673.015"/>
die Feiergestaltung herein, neben den bildenden Künsten <lb n="pse_673.016"/>
vor allem auch die Musik und die Dichtung. Dieser Einsatz <lb n="pse_673.017"/>
der Kunst kann von zwei Seiten betrachtet werden. Die eine <lb n="pse_673.018"/>
ergibt sich aus der Tatsache, daß vielen Menschen, wie gerade <lb n="pse_673.019"/>
gesagt, Kunsterleben eine Feier ist. So kommt es zu der Form <lb n="pse_673.020"/>
der Festspiele, die an sich eben die Menschen durch die Kunst <lb n="pse_673.021"/>
aus dem Alltag emporheben wollen; daß auch sie zu wirtschaftlichen <lb n="pse_673.022"/>
Einrichtungen werden können und die Kunst <lb n="pse_673.023"/>
damit wieder zu einem Gebrauchsgut wird, ist bekannt und <lb n="pse_673.024"/>
läßt sich wohl kaum ändern. Die andere Seite ergibt sich aus <lb n="pse_673.025"/>
der Tatsache, daß der Feiergestalter sich dessen bewußt ist, <lb n="pse_673.026"/>
daß Kunst die Feiern verschönen kann. Diese Seite ist für <lb n="pse_673.027"/>
uns hier wichtig, denn da hat die Kunst einen deutlichen <lb n="pse_673.028"/>
Dienstwert. Gerade das Eigentliche der Kunst, auch der <lb n="pse_673.029"/>
Dichtung, besteht ja im Verwesentlichen, in der Emporführung <lb n="pse_673.030"/>
über den Alltag. Die Dichtung wird hier also in einer <lb n="pse_673.031"/>
ihrer Sichten und Eigenschaften eingesetzt, und man kann <lb n="pse_673.032"/>
nicht einmal sagen, daß sie in ihrem Wesen dabei verkannt <lb n="pse_673.033"/>
wird. Man kann bestehende Dichtungen dafür einsetzen, <lb n="pse_673.034"/>
aber auch eigene Werke für solche Feiern schaffen, am bekanntesten <lb n="pse_673.035"/>
etwa die Pindarischen Hymnen, wobei sich zeigt, <lb n="pse_673.036"/>
welche dichterische Höhe in solcher Feiergestaltung erreicht <lb n="pse_673.037"/>
werden kann. Die Dichtung beginnt schon in der Familienfeier, <lb n="pse_673.038"/>
allerdings hier meist in bescheidener Form. Auch
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[673/0689] pse_673.001 Menschenbedarf von Adelskreisen und Fürstenhöfen seit pse_673.002 ältesten Zeiten. Sie verschönten, veredelten das Leben, hoben pse_673.003 es auf eine höhere Stufe. Goethes Ballade vom »Sänger« gestaltet pse_673.004 das. Damit stoßen wir auf eine der bedeutendsten Gelegenheiten, pse_673.005 wo Dichtung im öffentlichen Leben wirksam pse_673.006 wird: die Feiern. Feiern spielen im Leben jeder auch noch so pse_673.007 kleinen Gemeinschaft eine bedeutsame Rolle. Ihr Sinn ist pse_673.008 Besinnung und Anregung in der Erhebung. Daraus ergibt pse_673.009 sich auch die Möglichkeit der Wiederholung. Wir wollen pse_673.010 hier davon absehen, daß das Erleben von Kunstwerken vielen pse_673.011 Menschen auch eine Feier ist und gerade die Wiederholung pse_673.012 solchen Erlebens immer wieder den Eindruck der Feier gibt. pse_673.013 Tatsächlich sind wir hier nahe an ursprünglichen Funktionen pse_673.014 der Kunst. Denn sie spielt in der verschiedensten Weise in pse_673.015 die Feiergestaltung herein, neben den bildenden Künsten pse_673.016 vor allem auch die Musik und die Dichtung. Dieser Einsatz pse_673.017 der Kunst kann von zwei Seiten betrachtet werden. Die eine pse_673.018 ergibt sich aus der Tatsache, daß vielen Menschen, wie gerade pse_673.019 gesagt, Kunsterleben eine Feier ist. So kommt es zu der Form pse_673.020 der Festspiele, die an sich eben die Menschen durch die Kunst pse_673.021 aus dem Alltag emporheben wollen; daß auch sie zu wirtschaftlichen pse_673.022 Einrichtungen werden können und die Kunst pse_673.023 damit wieder zu einem Gebrauchsgut wird, ist bekannt und pse_673.024 läßt sich wohl kaum ändern. Die andere Seite ergibt sich aus pse_673.025 der Tatsache, daß der Feiergestalter sich dessen bewußt ist, pse_673.026 daß Kunst die Feiern verschönen kann. Diese Seite ist für pse_673.027 uns hier wichtig, denn da hat die Kunst einen deutlichen pse_673.028 Dienstwert. Gerade das Eigentliche der Kunst, auch der pse_673.029 Dichtung, besteht ja im Verwesentlichen, in der Emporführung pse_673.030 über den Alltag. Die Dichtung wird hier also in einer pse_673.031 ihrer Sichten und Eigenschaften eingesetzt, und man kann pse_673.032 nicht einmal sagen, daß sie in ihrem Wesen dabei verkannt pse_673.033 wird. Man kann bestehende Dichtungen dafür einsetzen, pse_673.034 aber auch eigene Werke für solche Feiern schaffen, am bekanntesten pse_673.035 etwa die Pindarischen Hymnen, wobei sich zeigt, pse_673.036 welche dichterische Höhe in solcher Feiergestaltung erreicht pse_673.037 werden kann. Die Dichtung beginnt schon in der Familienfeier, pse_673.038 allerdings hier meist in bescheidener Form. Auch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/689
Zitationshilfe: Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 673. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/689>, abgerufen am 24.11.2024.