regende Thätigkeit eines seiner Schüler sind wir in der trau- rigen Lage constatiren zu können. Gustav Braun, Carl Braun's Schüler, Bruder und Nachfolger in der Assistenz, hat während seiner vierjährigen Assistenz von 16,197 Wöchnerinnen 878 an Puerperalfieber, und zwar 161 in Folge von Selbstinfection und 717 in Folge verhütbarer Infection von aussen verloren, und wie gross mag die Zahl der Kinder sein, welche von diesen 717 Müttern inficirt, gleichfalls an Puerperalfieber gestor- ben sind.
Doch hören wir, was Carl Braun, und zwar in der Klinik der Geburtshilfe und Gynaekologie sagt. Nach Carl Braun gibt es 30 Ursachen des Kindbettfiebers; die achtundzwanzigste ist die cadaveröse Infection. Von derselben sagt er Fol- gendes: "Als die vorzüglichste, ja fast als die einzige Ur- sache der Puerperalfieber-Epidemien suchte Semmelweis im Jahre 1847 die Theorie der cadaverösen Infection aufzu- stellen, nach welcher die an den Händen nach Unter- suchungen oder Uebungen am Cadaver klebenden Leichen- theile oder der nach Waschungen mit Seifenwasser an demselben haften bleibende Geruch, als petride Luft, die Ei- genschaft haben sollen durch die innere Exploration der Gebären- den Puerperalprocesse einimpfen zu können. Semmelweis fand hierin in Professor Skoda einen Vertheidiger!!" Der Leser sieht, wie schlecht Carl Braun die Gelegenheit benützt hat, die ihm geboten war, etwas zu lernen, da er nur eine Quelle des zer- setzten Stoffes, nämlich die Leiche, da er nur einen Träger des zersetzten Stoffes, nämlich den untersuchenden Finger, kennt, und wie heilig ihm die Wahrheit ist, geht daraus hervor, dass er in der Literatur nebst der Academie der Medicin in in Paris noch zehn Gegner angetroffen, aber nur einen einzi- gen Vertheidiger.
Die einzige Ursache aller Puerperalfieberfälle ist ein ge- setzter Stoff, aber nicht der gesetzte Stoff allein, welcher vom Cadaver kommt, der Leser weiss, das es drei Quellen des zer- setzten Stoffes gibt, und hier wird mehr aus dieser, dort mehr
regende Thätigkeit eines seiner Schüler sind wir in der trau- rigen Lage constatiren zu können. Gustav Braun, Carl Braun’s Schüler, Bruder und Nachfolger in der Assistenz, hat während seiner vierjährigen Assistenz von 16,197 Wöchnerinnen 878 an Puerperalfieber, und zwar 161 in Folge von Selbstinfection und 717 in Folge verhütbarer Infection von aussen verloren, und wie gross mag die Zahl der Kinder sein, welche von diesen 717 Müttern inficirt, gleichfalls an Puerperalfieber gestor- ben sind.
Doch hören wir, was Carl Braun, und zwar in der Klinik der Geburtshilfe und Gynaekologie sagt. Nach Carl Braun gibt es 30 Ursachen des Kindbettfiebers; die achtundzwanzigste ist die cadaveröse Infection. Von derselben sagt er Fol- gendes: »Als die vorzüglichste, ja fast als die einzige Ur- sache der Puerperalfieber-Epidemien suchte Semmelweis im Jahre 1847 die Theorie der cadaverösen Infection aufzu- stellen, nach welcher die an den Händen nach Unter- suchungen oder Uebungen am Cadaver klebenden Leichen- theile oder der nach Waschungen mit Seifenwasser an demselben haften bleibende Geruch, als petride Luft, die Ei- genschaft haben sollen durch die innere Exploration der Gebären- den Puerperalprocesse einimpfen zu können. Semmelweis fand hierin in Professor Skoda einen Vertheidiger!!« Der Leser sieht, wie schlecht Carl Braun die Gelegenheit benützt hat, die ihm geboten war, etwas zu lernen, da er nur eine Quelle des zer- setzten Stoffes, nämlich die Leiche, da er nur einen Träger des zersetzten Stoffes, nämlich den untersuchenden Finger, kennt, und wie heilig ihm die Wahrheit ist, geht daraus hervor, dass er in der Literatur nebst der Academie der Medicin in in Paris noch zehn Gegner angetroffen, aber nur einen einzi- gen Vertheidiger.
Die einzige Ursache aller Puerperalfieberfälle ist ein ge- setzter Stoff, aber nicht der gesetzte Stoff allein, welcher vom Cadaver kommt, der Leser weiss, das es drei Quellen des zer- setzten Stoffes gibt, und hier wird mehr aus dieser, dort mehr
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regende Thätigkeit eines seiner Schüler sind wir in der trau-
rigen Lage constatiren zu können. Gustav Braun, Carl Braun’s
Schüler, Bruder und Nachfolger in der Assistenz, hat während
seiner vierjährigen Assistenz von 16,197 Wöchnerinnen 878
an Puerperalfieber, und zwar 161 in Folge von Selbstinfection
und 717 in Folge verhütbarer Infection von aussen verloren,
und wie gross mag die Zahl der Kinder sein, welche von diesen
717 Müttern inficirt, gleichfalls an Puerperalfieber gestor-
ben sind.
Doch hören wir, was Carl Braun, und zwar in der Klinik
der Geburtshilfe und Gynaekologie sagt. Nach Carl Braun gibt
es 30 Ursachen des Kindbettfiebers; die achtundzwanzigste
ist die cadaveröse Infection. Von derselben sagt er Fol-
gendes: »Als die vorzüglichste, ja fast als die einzige Ur-
sache der Puerperalfieber-Epidemien suchte Semmelweis im
Jahre 1847 die Theorie der cadaverösen Infection aufzu-
stellen, nach welcher die an den Händen nach Unter-
suchungen oder Uebungen am Cadaver klebenden Leichen-
theile oder der nach Waschungen mit Seifenwasser an
demselben haften bleibende Geruch, als petride Luft, die Ei-
genschaft haben sollen durch die innere Exploration der Gebären-
den Puerperalprocesse einimpfen zu können. Semmelweis fand
hierin in Professor Skoda einen Vertheidiger!!« Der Leser sieht,
wie schlecht Carl Braun die Gelegenheit benützt hat, die ihm
geboten war, etwas zu lernen, da er nur eine Quelle des zer-
setzten Stoffes, nämlich die Leiche, da er nur einen Träger
des zersetzten Stoffes, nämlich den untersuchenden Finger,
kennt, und wie heilig ihm die Wahrheit ist, geht daraus hervor,
dass er in der Literatur nebst der Academie der Medicin in
in Paris noch zehn Gegner angetroffen, aber nur einen einzi-
gen Vertheidiger.
Die einzige Ursache aller Puerperalfieberfälle ist ein ge-
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Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861, S. 488. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/500>, abgerufen am 22.11.2024.
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