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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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sehen, bin in der Flora und am Hafen herum gewan¬
delt und auf dem alten Erkte oder dem Monte Pelle¬
grino gewesen.

Von hier aus, sagt man mir, ist es durchaus nicht
möglich, ohne Führer und Maulesel durch die Insel zu
reisen. Selbst die Herren Bouge und Caillot, an die
ich von Wien aus wegen meiner fünf Dreyer hier ge¬
wiesen bin, sagen, es werde sich nicht thun lassen.
Ich habe nicht Lust mich jetzt hier länger aufzuhalten,
lasse jetzt eben meine Stiefeln besohlen und will mor¬
gen früh in die Insel hineinstechen. Da ich barfuss
nicht wohl ausgehen kann und doch etwas anders zu
schreiben eben nicht aufgelegt bin, habe ich mich hin¬
gesetzt und in Sicilien einen Sicilier, nehmlich den
Theokritus, gelesen. Der Cyklops kam mir eben hier
so drollig vor, dass ich die Feder ergriff und ihn un¬
vermerkt deutsch niederschrieb. Ich will Dir die Ue¬
bersetzung ohne Entschuldigung und Präambeln geben
und werde es sehr zufrieden seyn, wenn Du sie bes¬
ser machst; denn ich habe hier weder Apparat noch
Geduld und wäre mit ganzen Stiefelsohlen wohl schwer¬
lich daran gekommen. Also wie folget:

Nicias, gegen die Liebe, so däucht mich, giebt es kein an¬
dres
Pflaster und keine andere Salbe als Musengesänge.
Lindernd und mild ist das Mittel, doch nicht so leicht es
zu finden.
Dieses weisst Du, glaub' ich, sehr wohl, als Arzt und als
Liebling,

sehen, bin in der Flora und am Hafen herum gewan¬
delt und auf dem alten Erkte oder dem Monte Pelle¬
grino gewesen.

Von hier aus, sagt man mir, ist es durchaus nicht
möglich, ohne Führer und Maulesel durch die Insel zu
reisen. Selbst die Herren Bouge und Caillot, an die
ich von Wien aus wegen meiner fünf Dreyer hier ge¬
wiesen bin, sagen, es werde sich nicht thun lassen.
Ich habe nicht Lust mich jetzt hier länger aufzuhalten,
lasse jetzt eben meine Stiefeln besohlen und will mor¬
gen früh in die Insel hineinstechen. Da ich barfuſs
nicht wohl ausgehen kann und doch etwas anders zu
schreiben eben nicht aufgelegt bin, habe ich mich hin¬
gesetzt und in Sicilien einen Sicilier, nehmlich den
Theokritus, gelesen. Der Cyklops kam mir eben hier
so drollig vor, daſs ich die Feder ergriff und ihn un¬
vermerkt deutsch niederschrieb. Ich will Dir die Ue¬
bersetzung ohne Entschuldigung und Präambeln geben
und werde es sehr zufrieden seyn, wenn Du sie bes¬
ser machst; denn ich habe hier weder Apparat noch
Geduld und wäre mit ganzen Stiefelsohlen wohl schwer¬
lich daran gekommen. Also wie folget:

Nicias, gegen die Liebe, so däucht mich, giebt es kein an¬
dres
Pflaster und keine andere Salbe als Musengesänge.
Lindernd und mild ist das Mittel, doch nicht so leicht es
zu finden.
Dieses weiſst Du, glaub' ich, sehr wohl, als Arzt und als
Liebling,
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[202/0228] sehen, bin in der Flora und am Hafen herum gewan¬ delt und auf dem alten Erkte oder dem Monte Pelle¬ grino gewesen. Von hier aus, sagt man mir, ist es durchaus nicht möglich, ohne Führer und Maulesel durch die Insel zu reisen. Selbst die Herren Bouge und Caillot, an die ich von Wien aus wegen meiner fünf Dreyer hier ge¬ wiesen bin, sagen, es werde sich nicht thun lassen. Ich habe nicht Lust mich jetzt hier länger aufzuhalten, lasse jetzt eben meine Stiefeln besohlen und will mor¬ gen früh in die Insel hineinstechen. Da ich barfuſs nicht wohl ausgehen kann und doch etwas anders zu schreiben eben nicht aufgelegt bin, habe ich mich hin¬ gesetzt und in Sicilien einen Sicilier, nehmlich den Theokritus, gelesen. Der Cyklops kam mir eben hier so drollig vor, daſs ich die Feder ergriff und ihn un¬ vermerkt deutsch niederschrieb. Ich will Dir die Ue¬ bersetzung ohne Entschuldigung und Präambeln geben und werde es sehr zufrieden seyn, wenn Du sie bes¬ ser machst; denn ich habe hier weder Apparat noch Geduld und wäre mit ganzen Stiefelsohlen wohl schwer¬ lich daran gekommen. Also wie folget: Nicias, gegen die Liebe, so däucht mich, giebt es kein an¬ dres Pflaster und keine andere Salbe als Musengesänge. Lindernd und mild ist das Mittel, doch nicht so leicht es zu finden. Dieses weiſst Du, glaub' ich, sehr wohl, als Arzt und als Liebling,

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/228>, abgerufen am 25.11.2024.