Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

dem Bayerischen Erbfolgekriege zur Feuerung hier
alle Weinpfähle verbrannten. Sie durften nur einige
hundert Schritte höher steigen, so hatten sie ganze
Wälder. Das schmerzt mich in die Seele anderer.
Wenn die Oestreicher es eben so schlimm machen,
so werden wir dadurch nicht besser. Wenn wird un¬
sere Humanität wenigstens diese Schandflecken wegwi¬
schen? Bey Lowositz endigen allmählich die Berge,
und von da bis Eger hinauf und Leutmeritz hinab ist
schönes, herrliches, fruchtbares Land, das zwey Stun¬
den hinter Budin nun ganz Ebene wird. In Budin,
einem Orte wo allgemeine Verlassenheit zu seyn
scheint, traf ich bey dem Juden Lasar Tausig eine
kleine Sammlung guter Bücher an, und liess mir von
ihm, da er Lessings Nathan einem Freunde geliehen
hatte, auf den Abend Kants Beweisgrund zur einzig
möglichen Demonstration über das Daseyn Gottes
geben.



Von Budin bis hierher stehen im Kalender sieben
Meilen, und diese tornisterten wir von halb acht Uhr
früh bis halb sechs Uhr Abends sehr bequem ab, und
sassen doch noch über eine Stunde zu Mittage in ei¬
nem Wirthshause, wo wir bey einem Eyerkuchen
durchaus mit fasten und dafür funzig Kreuzer bezah¬
len mussten; welches ich für einen Eyerkuchen in
Böhmen eine stattliche Handvoll Geld finde. Da war

dem Bayerischen Erbfolgekriege zur Feuerung hier
alle Weinpfähle verbrannten. Sie durften nur einige
hundert Schritte höher steigen, so hatten sie ganze
Wälder. Das schmerzt mich in die Seele anderer.
Wenn die Oestreicher es eben so schlimm machen,
so werden wir dadurch nicht besser. Wenn wird un¬
sere Humanität wenigstens diese Schandflecken wegwi¬
schen? Bey Lowositz endigen allmählich die Berge,
und von da bis Eger hinauf und Leutmeritz hinab ist
schönes, herrliches, fruchtbares Land, das zwey Stun¬
den hinter Budin nun ganz Ebene wird. In Budin,
einem Orte wo allgemeine Verlassenheit zu seyn
scheint, traf ich bey dem Juden Lasar Tausig eine
kleine Sammlung guter Bücher an, und lieſs mir von
ihm, da er Lessings Nathan einem Freunde geliehen
hatte, auf den Abend Kants Beweisgrund zur einzig
möglichen Demonstration über das Daseyn Gottes
geben.



Von Budin bis hierher stehen im Kalender sieben
Meilen, und diese tornisterten wir von halb acht Uhr
früh bis halb sechs Uhr Abends sehr bequem ab, und
saſsen doch noch über eine Stunde zu Mittage in ei¬
nem Wirthshause, wo wir bey einem Eyerkuchen
durchaus mit fasten und dafür funzig Kreuzer bezah¬
len muſsten; welches ich für einen Eyerkuchen in
Böhmen eine stattliche Handvoll Geld finde. Da war

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <p><pb facs="#f0038" n="12"/>
dem Bayerischen Erbfolgekriege zur Feuerung hier<lb/>
alle Weinpfähle verbrannten. Sie durften nur einige<lb/>
hundert Schritte höher steigen, so hatten sie ganze<lb/>
Wälder. Das schmerzt mich in die Seele anderer.<lb/>
Wenn die Oestreicher es eben so schlimm machen,<lb/>
so werden wir dadurch nicht besser. Wenn wird un¬<lb/>
sere Humanität wenigstens diese Schandflecken wegwi¬<lb/>
schen? Bey Lowositz endigen allmählich die Berge,<lb/>
und von da bis Eger hinauf und Leutmeritz hinab ist<lb/>
schönes, herrliches, fruchtbares Land, das zwey Stun¬<lb/>
den hinter Budin nun ganz Ebene wird. In Budin,<lb/>
einem Orte wo allgemeine Verlassenheit zu seyn<lb/>
scheint, traf ich bey dem Juden Lasar Tausig eine<lb/>
kleine Sammlung guter Bücher an, und lie&#x017F;s mir von<lb/>
ihm, da er Lessings Nathan einem Freunde geliehen<lb/>
hatte, auf den Abend Kants Beweisgrund zur einzig<lb/>
möglichen Demonstration über das Daseyn Gottes<lb/>
geben.</p><lb/>
      </div>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      <div>
        <dateline> <hi rendition="#right"><hi rendition="#g">Prag</hi>.</hi> </dateline><lb/>
        <p><hi rendition="#in">V</hi>on Budin bis hierher stehen im Kalender sieben<lb/>
Meilen, und diese tornisterten wir von halb acht Uhr<lb/>
früh bis halb sechs Uhr Abends sehr bequem ab, und<lb/>
sa&#x017F;sen doch noch über eine Stunde zu Mittage in ei¬<lb/>
nem Wirthshause, wo wir bey einem Eyerkuchen<lb/>
durchaus mit fasten und dafür funzig Kreuzer bezah¬<lb/>
len mu&#x017F;sten; welches ich für einen Eyerkuchen in<lb/>
Böhmen eine stattliche Handvoll Geld finde. Da war<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[12/0038] dem Bayerischen Erbfolgekriege zur Feuerung hier alle Weinpfähle verbrannten. Sie durften nur einige hundert Schritte höher steigen, so hatten sie ganze Wälder. Das schmerzt mich in die Seele anderer. Wenn die Oestreicher es eben so schlimm machen, so werden wir dadurch nicht besser. Wenn wird un¬ sere Humanität wenigstens diese Schandflecken wegwi¬ schen? Bey Lowositz endigen allmählich die Berge, und von da bis Eger hinauf und Leutmeritz hinab ist schönes, herrliches, fruchtbares Land, das zwey Stun¬ den hinter Budin nun ganz Ebene wird. In Budin, einem Orte wo allgemeine Verlassenheit zu seyn scheint, traf ich bey dem Juden Lasar Tausig eine kleine Sammlung guter Bücher an, und lieſs mir von ihm, da er Lessings Nathan einem Freunde geliehen hatte, auf den Abend Kants Beweisgrund zur einzig möglichen Demonstration über das Daseyn Gottes geben. Prag. Von Budin bis hierher stehen im Kalender sieben Meilen, und diese tornisterten wir von halb acht Uhr früh bis halb sechs Uhr Abends sehr bequem ab, und saſsen doch noch über eine Stunde zu Mittage in ei¬ nem Wirthshause, wo wir bey einem Eyerkuchen durchaus mit fasten und dafür funzig Kreuzer bezah¬ len muſsten; welches ich für einen Eyerkuchen in Böhmen eine stattliche Handvoll Geld finde. Da war

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/38
Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/38>, abgerufen am 21.11.2024.