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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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indem die Macht, die in jenem Zentrum ruht, in das Geniessen
konkreter Dinge umgesetzt würde, ginge sie als Macht verloren.
Unser Wesen ist auf die Zweiheit von Herrschen und Dienen an-
gelegt und wir schaffen uns Beziehungen und Gebilde, die beiden
einander ergänzenden Trieben in mannigfaltigsten Mischungen genug-
thun. Im Gegensatz zu der Macht, die das Geld verleiht, erscheint
das Unwürdige des Geizes von einem Dichter des 15. Jahrhunderts
erschöpfend ausgedrückt: wer dem Geld dient, der sei "seines Knechtes
Knecht". Thatsächlich enthält der Geiz, indem er uns vor einem
gleichgültigen Mittel wie vor einem höchsten Zwecke knieen lässt, die
sublimierteste, man könnte sagen: karrikierte Form inneren Unter-
worfenseins, wie ihn auf der anderen Seite das sublimierteste Macht-
gefühl trägt. Das Geld zeigt auch hier sein Wesen, unseren anta-
gonistischen Strebungen ein gleichmässig entschiedenstes und reinstes
Sichdarstellen zu gewähren. In ihm hat sich der Geist das Gebilde
der grössten Spannweite geschaffen, das, gleichsam als reine Energie
wirkend, die Pole jenes um so weiter auseinander treibt, je einheit-
licher -- d. h., als blosses Geld, jede Sonderbestimmtheit ablehnend --
es selbst sich darstellt.

Es ist nun für die Herrschaft, die das Geld über die allgemeine
Denkart gewonnen hat, sehr bezeichnend, dass man eine Reihe von
Erscheinungen als Geiz -- im Sinne des Geldgeizes -- zu bezeichnen
pflegt, die in Wirklichkeit das genaue Gegenteil desselben sind. Es
handelt sich um die Menschen, die ein abgebranntes Streichholz noch-
mals benutzen, leere Briefseiten sorgfältig abreissen, kein Stückchen
Bindfaden wegwerfen und auf jede verlorene Stecknadel eine Mühe
des Suchens verwenden. Man nennt solche Personen geizig, weil man
sich gewöhnt hat, den Geldpreis der Dinge ganz unbefangen als ihren
Wert anzusehen. Thatsächlich aber denken sie nicht an den Geld-
wert jener Objekte, die Stärke ihres Gefühls gilt grade dem sach-
lichen
Wert derselben, auf den ihr Geldwert gar keine irgend pro-
portionierte Hinweisung giebt. Wenigstens in sehr vielen Fällen sind
es durchaus nicht die Bruchteile eines Pfennigs, um deren Rettung es
sich für jene Sparsamen handelt; grade sie sind von der Rücksicht
auf das Geld, durch das die Objekte ohne weiteres wieder beschaffbar
sind, oft genug unabhängig und werten eben bloss die Sache selbst.
In diese Kategorie gehören auch die sonderbaren, aber nicht allzu
seltenen Menschen, die ohne Bedenken hundert Mark, aber nur mit
wahrer Selbstüberwindung einen Bogen Papier aus ihrem Schreibvorrat
oder Ähnliches verschenken. Hier liegt also das direkte Gegenteil des
Geizes vor: dem Geizigen sind die Dinge grade gleichgültig,

indem die Macht, die in jenem Zentrum ruht, in das Genieſsen
konkreter Dinge umgesetzt würde, ginge sie als Macht verloren.
Unser Wesen ist auf die Zweiheit von Herrschen und Dienen an-
gelegt und wir schaffen uns Beziehungen und Gebilde, die beiden
einander ergänzenden Trieben in mannigfaltigsten Mischungen genug-
thun. Im Gegensatz zu der Macht, die das Geld verleiht, erscheint
das Unwürdige des Geizes von einem Dichter des 15. Jahrhunderts
erschöpfend ausgedrückt: wer dem Geld dient, der sei „seines Knechtes
Knecht“. Thatsächlich enthält der Geiz, indem er uns vor einem
gleichgültigen Mittel wie vor einem höchsten Zwecke knieen läſst, die
sublimierteste, man könnte sagen: karrikierte Form inneren Unter-
worfenseins, wie ihn auf der anderen Seite das sublimierteste Macht-
gefühl trägt. Das Geld zeigt auch hier sein Wesen, unseren anta-
gonistischen Strebungen ein gleichmäſsig entschiedenstes und reinstes
Sichdarstellen zu gewähren. In ihm hat sich der Geist das Gebilde
der gröſsten Spannweite geschaffen, das, gleichsam als reine Energie
wirkend, die Pole jenes um so weiter auseinander treibt, je einheit-
licher — d. h., als bloſses Geld, jede Sonderbestimmtheit ablehnend —
es selbst sich darstellt.

Es ist nun für die Herrschaft, die das Geld über die allgemeine
Denkart gewonnen hat, sehr bezeichnend, daſs man eine Reihe von
Erscheinungen als Geiz — im Sinne des Geldgeizes — zu bezeichnen
pflegt, die in Wirklichkeit das genaue Gegenteil desselben sind. Es
handelt sich um die Menschen, die ein abgebranntes Streichholz noch-
mals benutzen, leere Briefseiten sorgfältig abreiſsen, kein Stückchen
Bindfaden wegwerfen und auf jede verlorene Stecknadel eine Mühe
des Suchens verwenden. Man nennt solche Personen geizig, weil man
sich gewöhnt hat, den Geldpreis der Dinge ganz unbefangen als ihren
Wert anzusehen. Thatsächlich aber denken sie nicht an den Geld-
wert jener Objekte, die Stärke ihres Gefühls gilt grade dem sach-
lichen
Wert derselben, auf den ihr Geldwert gar keine irgend pro-
portionierte Hinweisung giebt. Wenigstens in sehr vielen Fällen sind
es durchaus nicht die Bruchteile eines Pfennigs, um deren Rettung es
sich für jene Sparsamen handelt; grade sie sind von der Rücksicht
auf das Geld, durch das die Objekte ohne weiteres wieder beschaffbar
sind, oft genug unabhängig und werten eben bloſs die Sache selbst.
In diese Kategorie gehören auch die sonderbaren, aber nicht allzu
seltenen Menschen, die ohne Bedenken hundert Mark, aber nur mit
wahrer Selbstüberwindung einen Bogen Papier aus ihrem Schreibvorrat
oder Ähnliches verschenken. Hier liegt also das direkte Gegenteil des
Geizes vor: dem Geizigen sind die Dinge grade gleichgültig,

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[235/0259] indem die Macht, die in jenem Zentrum ruht, in das Genieſsen konkreter Dinge umgesetzt würde, ginge sie als Macht verloren. Unser Wesen ist auf die Zweiheit von Herrschen und Dienen an- gelegt und wir schaffen uns Beziehungen und Gebilde, die beiden einander ergänzenden Trieben in mannigfaltigsten Mischungen genug- thun. Im Gegensatz zu der Macht, die das Geld verleiht, erscheint das Unwürdige des Geizes von einem Dichter des 15. Jahrhunderts erschöpfend ausgedrückt: wer dem Geld dient, der sei „seines Knechtes Knecht“. Thatsächlich enthält der Geiz, indem er uns vor einem gleichgültigen Mittel wie vor einem höchsten Zwecke knieen läſst, die sublimierteste, man könnte sagen: karrikierte Form inneren Unter- worfenseins, wie ihn auf der anderen Seite das sublimierteste Macht- gefühl trägt. Das Geld zeigt auch hier sein Wesen, unseren anta- gonistischen Strebungen ein gleichmäſsig entschiedenstes und reinstes Sichdarstellen zu gewähren. In ihm hat sich der Geist das Gebilde der gröſsten Spannweite geschaffen, das, gleichsam als reine Energie wirkend, die Pole jenes um so weiter auseinander treibt, je einheit- licher — d. h., als bloſses Geld, jede Sonderbestimmtheit ablehnend — es selbst sich darstellt. Es ist nun für die Herrschaft, die das Geld über die allgemeine Denkart gewonnen hat, sehr bezeichnend, daſs man eine Reihe von Erscheinungen als Geiz — im Sinne des Geldgeizes — zu bezeichnen pflegt, die in Wirklichkeit das genaue Gegenteil desselben sind. Es handelt sich um die Menschen, die ein abgebranntes Streichholz noch- mals benutzen, leere Briefseiten sorgfältig abreiſsen, kein Stückchen Bindfaden wegwerfen und auf jede verlorene Stecknadel eine Mühe des Suchens verwenden. Man nennt solche Personen geizig, weil man sich gewöhnt hat, den Geldpreis der Dinge ganz unbefangen als ihren Wert anzusehen. Thatsächlich aber denken sie nicht an den Geld- wert jener Objekte, die Stärke ihres Gefühls gilt grade dem sach- lichen Wert derselben, auf den ihr Geldwert gar keine irgend pro- portionierte Hinweisung giebt. Wenigstens in sehr vielen Fällen sind es durchaus nicht die Bruchteile eines Pfennigs, um deren Rettung es sich für jene Sparsamen handelt; grade sie sind von der Rücksicht auf das Geld, durch das die Objekte ohne weiteres wieder beschaffbar sind, oft genug unabhängig und werten eben bloſs die Sache selbst. In diese Kategorie gehören auch die sonderbaren, aber nicht allzu seltenen Menschen, die ohne Bedenken hundert Mark, aber nur mit wahrer Selbstüberwindung einen Bogen Papier aus ihrem Schreibvorrat oder Ähnliches verschenken. Hier liegt also das direkte Gegenteil des Geizes vor: dem Geizigen sind die Dinge grade gleichgültig,

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/259>, abgerufen am 24.11.2024.