kungen tritt auch an komplizierten Erscheinungen sehr deutlich hervor. Eine Veranlassung zu Freude z. B., in das Leben eines im ganzen un- glücklichen Individuums eintretend, wird von demselben mit einer leidenschaftlichen Reaktion, unverbrauchten eudämonistischen Energien, stärkstem Sich-Abheben gegen den dunkeln Hintergrund seiner sonstigen Existenz empfunden werden; andrerseits aber bemerken wir, dass auch zur Freude eine gewisse Gewöhnung gehört, dass der Glücksreiz gar nicht recht aufgenommen wird, wenn die Seele sich schon an fort- während entgegengesetzte Erfahrungen angepasst hat. Insbesondere feinere Lebensreize prallen zunächst wirkungslos von einem inneren, durch Not und Leid bestimmten Lebensrhythmus ab und die Stärke ihres Empfundenwerdens, die grade der Gegensatz zu diesem voraus- setzen liess, stellt sich erst nach längerer Summierung der eudämo- nistischen Momente ein. Wenn diese nun andauert und die gesamte Verfassung der Seele schliesslich in die ihr entsprechende Rhythmik oder Struktur übergeführt hat, so wird das Reizquantum, zu dessen voller Perzeption es damals nicht kam, derselben auch jetzt, und zwar aus der grade entgegengesetzten Konstellation heraus, entbehren: weil jetzt eine derartige eudämonistische Gewöhnung eingetreten ist, dass der zur Merklichkeit erforderte Unterschied mangelt. Diese Antinomie äussert ihre grosse teleologische Bedeutung auch im wirtschaftlichen Leben; die Unterschiedsempfindlichkeit treibt uns aus jedem gegebenen Zustand zum Erwerb neuer Güter, zur Produktion neuer Geniessbar keiten; die Begrenzung der Unterschiedsempfindlichkeit durch den zu überwindenden passiven oder aktiven Widerstand der bestehenden organischen Verfassung zwingt uns, diese neue Richtung auch mit an- dauernderer Energie zu verfolgen und den Gewinn der Güter bis zu erheblicherer Quantität fortzusetzen. Dieser Steigerung aber setzt die Unterschiedsempfindlichkeit wieder ihre obere Grenze, indem die Ge- wöhnung an diesen bestimmten Reiz ihn abschwächt und schliesslich den Zuwachs nicht mehr empfinden lässt, sondern zu qualitativ neuen forttreibt. In derselben Weise wie hier die Steigerung der Objekt- Quanten, gleichmässig fortschreitend, eine Alternierung innerer Folgen bewirkt, können die Geldwerte der Dinge durch ihre einfache Er- höhung zu einem Umschlagen der Begehrungen ihnen gegenüber führen. Zunächst wird ein Gegenstand, der gar nichts oder nur ein Minimum kostet, sehr oft eben deshalb überhaupt nicht gewertet und begehrt; sobald sein Preis steigt, entsteht dann auch seine Begehrenswürdigkeit und hebt sich eine Weile mit jenem bis zu einem äussersten Reiz- punkte. Wird dann der Preis noch immer weiter gesteigert, so dass die Erwerbung für den Betreffenden ausser Frage tritt, so wird das
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kungen tritt auch an komplizierten Erscheinungen sehr deutlich hervor. Eine Veranlassung zu Freude z. B., in das Leben eines im ganzen un- glücklichen Individuums eintretend, wird von demselben mit einer leidenschaftlichen Reaktion, unverbrauchten eudämonistischen Energien, stärkstem Sich-Abheben gegen den dunkeln Hintergrund seiner sonstigen Existenz empfunden werden; andrerseits aber bemerken wir, daſs auch zur Freude eine gewisse Gewöhnung gehört, daſs der Glücksreiz gar nicht recht aufgenommen wird, wenn die Seele sich schon an fort- während entgegengesetzte Erfahrungen angepaſst hat. Insbesondere feinere Lebensreize prallen zunächst wirkungslos von einem inneren, durch Not und Leid bestimmten Lebensrhythmus ab und die Stärke ihres Empfundenwerdens, die grade der Gegensatz zu diesem voraus- setzen lieſs, stellt sich erst nach längerer Summierung der eudämo- nistischen Momente ein. Wenn diese nun andauert und die gesamte Verfassung der Seele schlieſslich in die ihr entsprechende Rhythmik oder Struktur übergeführt hat, so wird das Reizquantum, zu dessen voller Perzeption es damals nicht kam, derselben auch jetzt, und zwar aus der grade entgegengesetzten Konstellation heraus, entbehren: weil jetzt eine derartige eudämonistische Gewöhnung eingetreten ist, daſs der zur Merklichkeit erforderte Unterschied mangelt. Diese Antinomie äuſsert ihre groſse teleologische Bedeutung auch im wirtschaftlichen Leben; die Unterschiedsempfindlichkeit treibt uns aus jedem gegebenen Zustand zum Erwerb neuer Güter, zur Produktion neuer Genieſsbar keiten; die Begrenzung der Unterschiedsempfindlichkeit durch den zu überwindenden passiven oder aktiven Widerstand der bestehenden organischen Verfassung zwingt uns, diese neue Richtung auch mit an- dauernderer Energie zu verfolgen und den Gewinn der Güter bis zu erheblicherer Quantität fortzusetzen. Dieser Steigerung aber setzt die Unterschiedsempfindlichkeit wieder ihre obere Grenze, indem die Ge- wöhnung an diesen bestimmten Reiz ihn abschwächt und schlieſslich den Zuwachs nicht mehr empfinden läſst, sondern zu qualitativ neuen forttreibt. In derselben Weise wie hier die Steigerung der Objekt- Quanten, gleichmäſsig fortschreitend, eine Alternierung innerer Folgen bewirkt, können die Geldwerte der Dinge durch ihre einfache Er- höhung zu einem Umschlagen der Begehrungen ihnen gegenüber führen. Zunächst wird ein Gegenstand, der gar nichts oder nur ein Minimum kostet, sehr oft eben deshalb überhaupt nicht gewertet und begehrt; sobald sein Preis steigt, entsteht dann auch seine Begehrenswürdigkeit und hebt sich eine Weile mit jenem bis zu einem äuſsersten Reiz- punkte. Wird dann der Preis noch immer weiter gesteigert, so daſs die Erwerbung für den Betreffenden auſser Frage tritt, so wird das
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kungen tritt auch an komplizierten Erscheinungen sehr deutlich hervor.
Eine Veranlassung zu Freude z. B., in das Leben eines im ganzen un-
glücklichen Individuums eintretend, wird von demselben mit einer
leidenschaftlichen Reaktion, unverbrauchten eudämonistischen Energien,
stärkstem Sich-Abheben gegen den dunkeln Hintergrund seiner sonstigen
Existenz empfunden werden; andrerseits aber bemerken wir, daſs auch
zur Freude eine gewisse Gewöhnung gehört, daſs der Glücksreiz gar
nicht recht aufgenommen wird, wenn die Seele sich schon an fort-
während entgegengesetzte Erfahrungen angepaſst hat. Insbesondere
feinere Lebensreize prallen zunächst wirkungslos von einem inneren,
durch Not und Leid bestimmten Lebensrhythmus ab und die Stärke
ihres Empfundenwerdens, die grade der Gegensatz zu diesem voraus-
setzen lieſs, stellt sich erst nach längerer Summierung der eudämo-
nistischen Momente ein. Wenn diese nun andauert und die gesamte
Verfassung der Seele schlieſslich in die ihr entsprechende Rhythmik
oder Struktur übergeführt hat, so wird das Reizquantum, zu dessen
voller Perzeption es damals nicht kam, derselben auch jetzt, und zwar
aus der grade entgegengesetzten Konstellation heraus, entbehren: weil
jetzt eine derartige eudämonistische Gewöhnung eingetreten ist, daſs
der zur Merklichkeit erforderte Unterschied mangelt. Diese Antinomie
äuſsert ihre groſse teleologische Bedeutung auch im wirtschaftlichen
Leben; die Unterschiedsempfindlichkeit treibt uns aus jedem gegebenen
Zustand zum Erwerb neuer Güter, zur Produktion neuer Genieſsbar
keiten; die Begrenzung der Unterschiedsempfindlichkeit durch den zu
überwindenden passiven oder aktiven Widerstand der bestehenden
organischen Verfassung zwingt uns, diese neue Richtung auch mit an-
dauernderer Energie zu verfolgen und den Gewinn der Güter bis zu
erheblicherer Quantität fortzusetzen. Dieser Steigerung aber setzt die
Unterschiedsempfindlichkeit wieder ihre obere Grenze, indem die Ge-
wöhnung an diesen bestimmten Reiz ihn abschwächt und schlieſslich
den Zuwachs nicht mehr empfinden läſst, sondern zu qualitativ neuen
forttreibt. In derselben Weise wie hier die Steigerung der Objekt-
Quanten, gleichmäſsig fortschreitend, eine Alternierung innerer Folgen
bewirkt, können die Geldwerte der Dinge durch ihre einfache Er-
höhung zu einem Umschlagen der Begehrungen ihnen gegenüber führen.
Zunächst wird ein Gegenstand, der gar nichts oder nur ein Minimum
kostet, sehr oft eben deshalb überhaupt nicht gewertet und begehrt;
sobald sein Preis steigt, entsteht dann auch seine Begehrenswürdigkeit
und hebt sich eine Weile mit jenem bis zu einem äuſsersten Reiz-
punkte. Wird dann der Preis noch immer weiter gesteigert, so daſs
die Erwerbung für den Betreffenden auſser Frage tritt, so wird das
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/283>, abgerufen am 24.11.2024.
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