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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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Bedeutung bekommt, dass die mechanisch abrollenden Elemente der
Wirklichkeit über ihren Sachgehalt hinaus unendlich mannigfaltige
Masse und Arten von Wert für uns besitzen. In jedem Augenblick,
in dem unsere Seele kein blosser interesseloser Spiegel der Wirklich-
keit ist -- was sie vielleicht niemals ist, da selbst das objektive Er-
kennen nur aus einer Wertung seiner hervorgehen kann -- lebt sie
in der Welt der Werte, die die Inhalte der Wirklichkeit in eine völlig
autonome Ordnung fasst.

Damit bildet der Wert gewissermassen das Gegenstück zu dem
Sein und ist nun grade als umfassende Form und Kategorie des Welt-
bildes mit ihm vielfach vergleichbar. Kant hat hervorgehoben, das
Sein sei keine Eigenschaft der Dinge; denn wenn ich von einem Ob-
jekte, das bisher nur in meinen Gedanken bestand, sage: es existiere,
so gewinnt es dadurch keine neue Eigenschaft; denn sonst würde ja
nicht eben dasselbe Ding, das ich vorhin dachte, sondern ein anderes
existieren. So wächst einem Dinge auch dadurch, dass ich es wertvoll
nenne, durchaus keine neue Eigenschaft zu, denn wegen der Eigen-
schaften, die es besitzt, wird es ja grade erst gewertet: genau
sein schon allseitig bestimmtes Sein wird in die Sphäre des Wertes
erhoben. Dies wird von einer der tiefstgehenden Zerlegungen unseres
Denkens getragen. Wir sind fähig, die Inhalte des Weltbildes zu
denken, unter völligem Absehen von ihrer realen Existenz oder Nicht-
existenz. Die Komplexe von Eigenschaften, die wir Dinge nennen,
samt allen Gesetzen ihres Zusammenhanges und ihrer Entwicklung,
können wir in ihrer rein sachlichen, logischen Bedeutung vorstellen,
und, ganz unabhängig davon, fragen: ob, wo, wie oft alle diese Be-
griffe oder inneren Anschauungen verwirklicht sind. Wie dieser inhalt-
liche Sinn und Bestimmtheit der Objekte an sich nicht von der Frage
berührt wird, ob sie sich im Sein wiederfinden, ebensowenig von der
anderen, ob und welche Stelle sie in der Skala der Werte einnehmen.
Wenn es aber einerseits zu einer Theorie, andrerseits zu einer Praxis
für uns kommen soll, so müssen wir die Denkinhalte nach diesem
beiden fragen, und in beiderlei Hinsicht kann sich keiner einer Ant-
wort entziehen. Von jedem vielmehr muss ein unzweideutiges Sein
oder Nichtsein aussagbar sein und jeder muss für uns auf der Stufen-
leiter der Werte -- von dem höchsten durch die Gleichgültigkeit hin-
durch zu den negativen Werten -- eine ganz bestimmte Stelle haben.
Die prinzipielle Bedeutung dieser Forderung, die die gesamte Konstitution
unseres Weltbildes bedingt, wird natürlich gar nicht dadurch alteriert,
dass unsere Erkenntnismittel sehr oft zu der Entscheidung über die
Realität der Begriffe nicht ausreichen und ebenso oft Umfang und

Bedeutung bekommt, daſs die mechanisch abrollenden Elemente der
Wirklichkeit über ihren Sachgehalt hinaus unendlich mannigfaltige
Maſse und Arten von Wert für uns besitzen. In jedem Augenblick,
in dem unsere Seele kein bloſser interesseloser Spiegel der Wirklich-
keit ist — was sie vielleicht niemals ist, da selbst das objektive Er-
kennen nur aus einer Wertung seiner hervorgehen kann — lebt sie
in der Welt der Werte, die die Inhalte der Wirklichkeit in eine völlig
autonome Ordnung faſst.

Damit bildet der Wert gewissermaſsen das Gegenstück zu dem
Sein und ist nun grade als umfassende Form und Kategorie des Welt-
bildes mit ihm vielfach vergleichbar. Kant hat hervorgehoben, das
Sein sei keine Eigenschaft der Dinge; denn wenn ich von einem Ob-
jekte, das bisher nur in meinen Gedanken bestand, sage: es existiere,
so gewinnt es dadurch keine neue Eigenschaft; denn sonst würde ja
nicht eben dasselbe Ding, das ich vorhin dachte, sondern ein anderes
existieren. So wächst einem Dinge auch dadurch, daſs ich es wertvoll
nenne, durchaus keine neue Eigenschaft zu, denn wegen der Eigen-
schaften, die es besitzt, wird es ja grade erst gewertet: genau
sein schon allseitig bestimmtes Sein wird in die Sphäre des Wertes
erhoben. Dies wird von einer der tiefstgehenden Zerlegungen unseres
Denkens getragen. Wir sind fähig, die Inhalte des Weltbildes zu
denken, unter völligem Absehen von ihrer realen Existenz oder Nicht-
existenz. Die Komplexe von Eigenschaften, die wir Dinge nennen,
samt allen Gesetzen ihres Zusammenhanges und ihrer Entwicklung,
können wir in ihrer rein sachlichen, logischen Bedeutung vorstellen,
und, ganz unabhängig davon, fragen: ob, wo, wie oft alle diese Be-
griffe oder inneren Anschauungen verwirklicht sind. Wie dieser inhalt-
liche Sinn und Bestimmtheit der Objekte an sich nicht von der Frage
berührt wird, ob sie sich im Sein wiederfinden, ebensowenig von der
anderen, ob und welche Stelle sie in der Skala der Werte einnehmen.
Wenn es aber einerseits zu einer Theorie, andrerseits zu einer Praxis
für uns kommen soll, so müssen wir die Denkinhalte nach diesem
beiden fragen, und in beiderlei Hinsicht kann sich keiner einer Ant-
wort entziehen. Von jedem vielmehr muſs ein unzweideutiges Sein
oder Nichtsein aussagbar sein und jeder muſs für uns auf der Stufen-
leiter der Werte — von dem höchsten durch die Gleichgültigkeit hin-
durch zu den negativen Werten — eine ganz bestimmte Stelle haben.
Die prinzipielle Bedeutung dieser Forderung, die die gesamte Konstitution
unseres Weltbildes bedingt, wird natürlich gar nicht dadurch alteriert,
daſs unsere Erkenntnismittel sehr oft zu der Entscheidung über die
Realität der Begriffe nicht ausreichen und ebenso oft Umfang und

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[5/0029] Bedeutung bekommt, daſs die mechanisch abrollenden Elemente der Wirklichkeit über ihren Sachgehalt hinaus unendlich mannigfaltige Maſse und Arten von Wert für uns besitzen. In jedem Augenblick, in dem unsere Seele kein bloſser interesseloser Spiegel der Wirklich- keit ist — was sie vielleicht niemals ist, da selbst das objektive Er- kennen nur aus einer Wertung seiner hervorgehen kann — lebt sie in der Welt der Werte, die die Inhalte der Wirklichkeit in eine völlig autonome Ordnung faſst. Damit bildet der Wert gewissermaſsen das Gegenstück zu dem Sein und ist nun grade als umfassende Form und Kategorie des Welt- bildes mit ihm vielfach vergleichbar. Kant hat hervorgehoben, das Sein sei keine Eigenschaft der Dinge; denn wenn ich von einem Ob- jekte, das bisher nur in meinen Gedanken bestand, sage: es existiere, so gewinnt es dadurch keine neue Eigenschaft; denn sonst würde ja nicht eben dasselbe Ding, das ich vorhin dachte, sondern ein anderes existieren. So wächst einem Dinge auch dadurch, daſs ich es wertvoll nenne, durchaus keine neue Eigenschaft zu, denn wegen der Eigen- schaften, die es besitzt, wird es ja grade erst gewertet: genau sein schon allseitig bestimmtes Sein wird in die Sphäre des Wertes erhoben. Dies wird von einer der tiefstgehenden Zerlegungen unseres Denkens getragen. Wir sind fähig, die Inhalte des Weltbildes zu denken, unter völligem Absehen von ihrer realen Existenz oder Nicht- existenz. Die Komplexe von Eigenschaften, die wir Dinge nennen, samt allen Gesetzen ihres Zusammenhanges und ihrer Entwicklung, können wir in ihrer rein sachlichen, logischen Bedeutung vorstellen, und, ganz unabhängig davon, fragen: ob, wo, wie oft alle diese Be- griffe oder inneren Anschauungen verwirklicht sind. Wie dieser inhalt- liche Sinn und Bestimmtheit der Objekte an sich nicht von der Frage berührt wird, ob sie sich im Sein wiederfinden, ebensowenig von der anderen, ob und welche Stelle sie in der Skala der Werte einnehmen. Wenn es aber einerseits zu einer Theorie, andrerseits zu einer Praxis für uns kommen soll, so müssen wir die Denkinhalte nach diesem beiden fragen, und in beiderlei Hinsicht kann sich keiner einer Ant- wort entziehen. Von jedem vielmehr muſs ein unzweideutiges Sein oder Nichtsein aussagbar sein und jeder muſs für uns auf der Stufen- leiter der Werte — von dem höchsten durch die Gleichgültigkeit hin- durch zu den negativen Werten — eine ganz bestimmte Stelle haben. Die prinzipielle Bedeutung dieser Forderung, die die gesamte Konstitution unseres Weltbildes bedingt, wird natürlich gar nicht dadurch alteriert, daſs unsere Erkenntnismittel sehr oft zu der Entscheidung über die Realität der Begriffe nicht ausreichen und ebenso oft Umfang und

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/29>, abgerufen am 21.11.2024.