Sicherheit unsrer Gefühle nicht zu einer Wertrangierung der Dinge, insbesondere nicht zu einer beständigen oder allgemein gültigen. Der Welt der blossen Begriffe, der sachlichen Qualitäten und Bestimmungen, stehen die grossen Kategorien des Seins und des Wertes gegenüber, allumfassende Formen, die ihr Material aus jener Welt der reinen In- halte entnehmen. Beiden ist der Charakter der Fundamentalität ge- meinsam, d. h. die Unmöglichkeit, aufeinander oder auf einfachere Begriffe zurückgeführt zu werden. Deshalb ist unmittelbar das Sein irgend welchen Dinges nie logisch erweisbar; vielmehr, das Sein ist eine ursprüngliche Form unseres Vorstellens, die empfunden, erlebt, geglaubt, aber nicht dem, der sie noch nicht kennte, deduziert werden kann. Hat sie erst einmal einen einzelnen Inhalt ergriffen, durch eine jenseits des Logischen liegende That, so nehmen die logischen Zusammenhänge sie auf und tragen sie, soweit sie selbst reichen. So können wir freilich in der Regel sagen, weshalb wir eine bestimmte Wirklichkeit annehmen: weil wir nämlich eine andere bereits an- genommen haben, deren Bestimmtheiten mit jener inhaltlich verbunden sind. Die Wirklichkeit der ersten jedoch ist nur durch eine gleiche Zurückschiebung auf eine noch fundamentalere zu erweisen. Dieser Regress aber muss ein letztes Glied haben, dessen Sein nur durch das unmittelbare Gefühl einer Überzeugung, Bejahung, Anerkennung, oder richtiger: als ein solches Gefühl gegeben ist. Genau so verhält sich der Wert den Objekten gegenüber. Alle Beweise für den Wert eines solchen bedeuten nur die Nötigung, den für irgend ein Objekt bereits vorausgesetzten und jetzt augenblicklich fraglosen Wert auch einem anderen, jetzt fraglichen Objekt zuzuerkennen. Auf welche Motive hin wir dies thun, ist später festzustellen; hier nur, dass, was wir durch Wert beweise einsehen, immer nur die Überleitung eines bestehenden Wertes auf neue Objekte ist, dagegen weder das Wesen des Wertes selbst noch der Grund, weshalb er ursprünglich an denjenigen Gegen- stand geheftet wurde, der ihn nachher auf andere ausstrahlt.
Giebt es erst einmal einen Wert, so sind die Wege seiner Ver- wirklichung, ist seine Weiterentwicklung verstandesmässig zu begreifen, denn nun folgt sie der Struktur der Wirklichkeitsinhalte. Dass es ihn aber giebt, ist ein Urphänomen. Alle Definitionen und Deduktionen des Wertes machen nur die Bedingungen kenntlich, auf die hin er sich, schliesslich ganz unvermittelt, einstellt, ohne doch aus ihnen hergestellt zu werden -- wie alle theoretischen Beweise nur die Bedingungen be- reiten können, auf die hin jenes Gefühl der Bejahung oder des Daseins eintritt. So wenig man zu sagen wüsste, was denn das Sein eigentlich sei, so wenig kann man diese Frage dem Wert gegenüber beantworten.
Sicherheit unsrer Gefühle nicht zu einer Wertrangierung der Dinge, insbesondere nicht zu einer beständigen oder allgemein gültigen. Der Welt der bloſsen Begriffe, der sachlichen Qualitäten und Bestimmungen, stehen die groſsen Kategorien des Seins und des Wertes gegenüber, allumfassende Formen, die ihr Material aus jener Welt der reinen In- halte entnehmen. Beiden ist der Charakter der Fundamentalität ge- meinsam, d. h. die Unmöglichkeit, aufeinander oder auf einfachere Begriffe zurückgeführt zu werden. Deshalb ist unmittelbar das Sein irgend welchen Dinges nie logisch erweisbar; vielmehr, das Sein ist eine ursprüngliche Form unseres Vorstellens, die empfunden, erlebt, geglaubt, aber nicht dem, der sie noch nicht kennte, deduziert werden kann. Hat sie erst einmal einen einzelnen Inhalt ergriffen, durch eine jenseits des Logischen liegende That, so nehmen die logischen Zusammenhänge sie auf und tragen sie, soweit sie selbst reichen. So können wir freilich in der Regel sagen, weshalb wir eine bestimmte Wirklichkeit annehmen: weil wir nämlich eine andere bereits an- genommen haben, deren Bestimmtheiten mit jener inhaltlich verbunden sind. Die Wirklichkeit der ersten jedoch ist nur durch eine gleiche Zurückschiebung auf eine noch fundamentalere zu erweisen. Dieser Regreſs aber muſs ein letztes Glied haben, dessen Sein nur durch das unmittelbare Gefühl einer Überzeugung, Bejahung, Anerkennung, oder richtiger: als ein solches Gefühl gegeben ist. Genau so verhält sich der Wert den Objekten gegenüber. Alle Beweise für den Wert eines solchen bedeuten nur die Nötigung, den für irgend ein Objekt bereits vorausgesetzten und jetzt augenblicklich fraglosen Wert auch einem anderen, jetzt fraglichen Objekt zuzuerkennen. Auf welche Motive hin wir dies thun, ist später festzustellen; hier nur, daſs, was wir durch Wert beweise einsehen, immer nur die Überleitung eines bestehenden Wertes auf neue Objekte ist, dagegen weder das Wesen des Wertes selbst noch der Grund, weshalb er ursprünglich an denjenigen Gegen- stand geheftet wurde, der ihn nachher auf andere ausstrahlt.
Giebt es erst einmal einen Wert, so sind die Wege seiner Ver- wirklichung, ist seine Weiterentwicklung verstandesmäſsig zu begreifen, denn nun folgt sie der Struktur der Wirklichkeitsinhalte. Daſs es ihn aber giebt, ist ein Urphänomen. Alle Definitionen und Deduktionen des Wertes machen nur die Bedingungen kenntlich, auf die hin er sich, schlieſslich ganz unvermittelt, einstellt, ohne doch aus ihnen hergestellt zu werden — wie alle theoretischen Beweise nur die Bedingungen be- reiten können, auf die hin jenes Gefühl der Bejahung oder des Daseins eintritt. So wenig man zu sagen wüſste, was denn das Sein eigentlich sei, so wenig kann man diese Frage dem Wert gegenüber beantworten.
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[6/0030]
Sicherheit unsrer Gefühle nicht zu einer Wertrangierung der Dinge,
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stehen die groſsen Kategorien des Seins und des Wertes gegenüber,
allumfassende Formen, die ihr Material aus jener Welt der reinen In-
halte entnehmen. Beiden ist der Charakter der Fundamentalität ge-
meinsam, d. h. die Unmöglichkeit, aufeinander oder auf einfachere
Begriffe zurückgeführt zu werden. Deshalb ist unmittelbar das
Sein irgend welchen Dinges nie logisch erweisbar; vielmehr, das Sein
ist eine ursprüngliche Form unseres Vorstellens, die empfunden, erlebt,
geglaubt, aber nicht dem, der sie noch nicht kennte, deduziert werden
kann. Hat sie erst einmal einen einzelnen Inhalt ergriffen, durch
eine jenseits des Logischen liegende That, so nehmen die logischen
Zusammenhänge sie auf und tragen sie, soweit sie selbst reichen. So
können wir freilich in der Regel sagen, weshalb wir eine bestimmte
Wirklichkeit annehmen: weil wir nämlich eine andere bereits an-
genommen haben, deren Bestimmtheiten mit jener inhaltlich verbunden
sind. Die Wirklichkeit der ersten jedoch ist nur durch eine gleiche
Zurückschiebung auf eine noch fundamentalere zu erweisen. Dieser
Regreſs aber muſs ein letztes Glied haben, dessen Sein nur durch das
unmittelbare Gefühl einer Überzeugung, Bejahung, Anerkennung, oder
richtiger: als ein solches Gefühl gegeben ist. Genau so verhält sich
der Wert den Objekten gegenüber. Alle Beweise für den Wert eines
solchen bedeuten nur die Nötigung, den für irgend ein Objekt bereits
vorausgesetzten und jetzt augenblicklich fraglosen Wert auch einem
anderen, jetzt fraglichen Objekt zuzuerkennen. Auf welche Motive hin
wir dies thun, ist später festzustellen; hier nur, daſs, was wir durch
Wert beweise einsehen, immer nur die Überleitung eines bestehenden
Wertes auf neue Objekte ist, dagegen weder das Wesen des Wertes
selbst noch der Grund, weshalb er ursprünglich an denjenigen Gegen-
stand geheftet wurde, der ihn nachher auf andere ausstrahlt.
Giebt es erst einmal einen Wert, so sind die Wege seiner Ver-
wirklichung, ist seine Weiterentwicklung verstandesmäſsig zu begreifen,
denn nun folgt sie der Struktur der Wirklichkeitsinhalte. Daſs es
ihn aber giebt, ist ein Urphänomen. Alle Definitionen und Deduktionen
des Wertes machen nur die Bedingungen kenntlich, auf die hin er sich,
schlieſslich ganz unvermittelt, einstellt, ohne doch aus ihnen hergestellt
zu werden — wie alle theoretischen Beweise nur die Bedingungen be-
reiten können, auf die hin jenes Gefühl der Bejahung oder des Daseins
eintritt. So wenig man zu sagen wüſste, was denn das Sein eigentlich
sei, so wenig kann man diese Frage dem Wert gegenüber beantworten.
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/30>, abgerufen am 21.11.2024.
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