das historische Dasein in seiner Breite und seinen Entwicklungen schaffen, als die spezifisch individuellen Thaten der Führer; und wo eine Prominenz und qualitative Unvergleichlichkeit Einzelner dennoch vorliegt, da wird sie als eine besonders glückliche Vererbung gedeutet, d. h. als eine solche, die ein möglichst grosses Quantum angehäufter Energien und Errungenschaften der Gattung einschliesst und ausdrückt. Ja selbst innerhalb einer ganz individualistischen Ethik wird diese ebenso zur Weltanschauung gesteigerte wie in die Innerlichkeit des Gemütes hinabsteigende demokratische Tendenz mächtig; denn es begegnet die Behauptung, dass die höchsten Werte in dem alltäglichen Dasein und jedem seiner Momente, aber nicht in dem Heroischen, Katastrophenhaften, den hinausragenden Thaten und Erlebnissen liegen, als welche immer etwas Zufälliges und Äusserliches hätten; mögen wir alle grossen Leidenschaften und unerhörten Aufschwünge durchkosten -- ihr Ertrag sei doch nur, was sie für die stillen, namenlosen, gleich- mässigen Stunden zurücklassen, in denen allein das wirkliche und ganze Ich lebt. Endlich, die empiristische Neigung, die, trotz aller entgegen- gesetzten Erscheinungen und aller berechtigten Kritik, dennoch das Ganze der modernen Zeit am durchgehendsten charakterisiert und hier ihre innerste Form- und Gesinnungsverbindung mit der modernen Demo- kratie offenbart, setzt die möglichst hohe Zahl von Beobachtungen an die Stelle der einzelnen, divinatorischen oder rationalen Idee, sie er- setzt das qualitative Wesen dieser durch die Quantität der zusammen- gebrachten Einzelfälle; und dieser methodischen Absicht entspricht ganz der psychologische Sensualismus, der die sublimsten und abstraktesten Gebilde und Fähigkeiten unserer Vernunft für eine blosse Häufung und Steigerung der alltäglichsten sinnlichen Elemente erklärt. Die Beispiele liessen sich leicht vermehren, die das wachsende Übergewicht der Kategorie der Quantität über die der Qualität zeigen, oder genauer: die Tendenz, diese in jene aufzulösen, die Elemente immer mehr ins Eigenschaftslose zu rücken, ihnen selbst etwa nur noch bestimmte Be- wegungsformen zu lassen und alles Spezifische, Individuelle, qualitativ Bestimmte als das Mehr oder Weniger, das Grösser oder Kleiner, das Weiter oder Enger, das Häufiger oder Seltener jener an sich farblosen, eigentlich nur noch der numerischen Bestimmtheit zugängigen Ele- mente und Bewusstheiten zu erklären -- mag diese Tendenz auch mit irdischen Mitteln ihr Ziel nie absolut erreichen können. Das Interesse an dem Wieviel, so sehr es einen angebbaren realen Sinn nur in der Verbindung mit dem Was und Wie besitzt und für sich allein nur eine Abstraktion darstellt, gehört zu den Grundlagen unseres geistigen Wesens, es ist der Einschlag in den Zettel der Qualitätsinteressen;
das historische Dasein in seiner Breite und seinen Entwicklungen schaffen, als die spezifisch individuellen Thaten der Führer; und wo eine Prominenz und qualitative Unvergleichlichkeit Einzelner dennoch vorliegt, da wird sie als eine besonders glückliche Vererbung gedeutet, d. h. als eine solche, die ein möglichst groſses Quantum angehäufter Energien und Errungenschaften der Gattung einschlieſst und ausdrückt. Ja selbst innerhalb einer ganz individualistischen Ethik wird diese ebenso zur Weltanschauung gesteigerte wie in die Innerlichkeit des Gemütes hinabsteigende demokratische Tendenz mächtig; denn es begegnet die Behauptung, daſs die höchsten Werte in dem alltäglichen Dasein und jedem seiner Momente, aber nicht in dem Heroischen, Katastrophenhaften, den hinausragenden Thaten und Erlebnissen liegen, als welche immer etwas Zufälliges und Äuſserliches hätten; mögen wir alle groſsen Leidenschaften und unerhörten Aufschwünge durchkosten — ihr Ertrag sei doch nur, was sie für die stillen, namenlosen, gleich- mäſsigen Stunden zurücklassen, in denen allein das wirkliche und ganze Ich lebt. Endlich, die empiristische Neigung, die, trotz aller entgegen- gesetzten Erscheinungen und aller berechtigten Kritik, dennoch das Ganze der modernen Zeit am durchgehendsten charakterisiert und hier ihre innerste Form- und Gesinnungsverbindung mit der modernen Demo- kratie offenbart, setzt die möglichst hohe Zahl von Beobachtungen an die Stelle der einzelnen, divinatorischen oder rationalen Idee, sie er- setzt das qualitative Wesen dieser durch die Quantität der zusammen- gebrachten Einzelfälle; und dieser methodischen Absicht entspricht ganz der psychologische Sensualismus, der die sublimsten und abstraktesten Gebilde und Fähigkeiten unserer Vernunft für eine bloſse Häufung und Steigerung der alltäglichsten sinnlichen Elemente erklärt. Die Beispiele lieſsen sich leicht vermehren, die das wachsende Übergewicht der Kategorie der Quantität über die der Qualität zeigen, oder genauer: die Tendenz, diese in jene aufzulösen, die Elemente immer mehr ins Eigenschaftslose zu rücken, ihnen selbst etwa nur noch bestimmte Be- wegungsformen zu lassen und alles Spezifische, Individuelle, qualitativ Bestimmte als das Mehr oder Weniger, das Gröſser oder Kleiner, das Weiter oder Enger, das Häufiger oder Seltener jener an sich farblosen, eigentlich nur noch der numerischen Bestimmtheit zugängigen Ele- mente und Bewuſstheiten zu erklären — mag diese Tendenz auch mit irdischen Mitteln ihr Ziel nie absolut erreichen können. Das Interesse an dem Wieviel, so sehr es einen angebbaren realen Sinn nur in der Verbindung mit dem Was und Wie besitzt und für sich allein nur eine Abstraktion darstellt, gehört zu den Grundlagen unseres geistigen Wesens, es ist der Einschlag in den Zettel der Qualitätsinteressen;
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das historische Dasein in seiner Breite und seinen Entwicklungen
schaffen, als die spezifisch individuellen Thaten der Führer; und
wo eine Prominenz und qualitative Unvergleichlichkeit Einzelner
dennoch vorliegt, da wird sie als eine besonders glückliche Vererbung
gedeutet, d. h. als eine solche, die ein möglichst groſses Quantum
angehäufter Energien und Errungenschaften der Gattung einschlieſst und
ausdrückt. Ja selbst innerhalb einer ganz individualistischen Ethik wird
diese ebenso zur Weltanschauung gesteigerte wie in die Innerlichkeit
des Gemütes hinabsteigende demokratische Tendenz mächtig; denn es
begegnet die Behauptung, daſs die höchsten Werte in dem alltäglichen
Dasein und jedem seiner Momente, aber nicht in dem Heroischen,
Katastrophenhaften, den hinausragenden Thaten und Erlebnissen liegen,
als welche immer etwas Zufälliges und Äuſserliches hätten; mögen wir
alle groſsen Leidenschaften und unerhörten Aufschwünge durchkosten —
ihr Ertrag sei doch nur, was sie für die stillen, namenlosen, gleich-
mäſsigen Stunden zurücklassen, in denen allein das wirkliche und ganze
Ich lebt. Endlich, die empiristische Neigung, die, trotz aller entgegen-
gesetzten Erscheinungen und aller berechtigten Kritik, dennoch das
Ganze der modernen Zeit am durchgehendsten charakterisiert und hier
ihre innerste Form- und Gesinnungsverbindung mit der modernen Demo-
kratie offenbart, setzt die möglichst hohe Zahl von Beobachtungen an
die Stelle der einzelnen, divinatorischen oder rationalen Idee, sie er-
setzt das qualitative Wesen dieser durch die Quantität der zusammen-
gebrachten Einzelfälle; und dieser methodischen Absicht entspricht ganz
der psychologische Sensualismus, der die sublimsten und abstraktesten
Gebilde und Fähigkeiten unserer Vernunft für eine bloſse Häufung
und Steigerung der alltäglichsten sinnlichen Elemente erklärt. Die
Beispiele lieſsen sich leicht vermehren, die das wachsende Übergewicht
der Kategorie der Quantität über die der Qualität zeigen, oder genauer:
die Tendenz, diese in jene aufzulösen, die Elemente immer mehr ins
Eigenschaftslose zu rücken, ihnen selbst etwa nur noch bestimmte Be-
wegungsformen zu lassen und alles Spezifische, Individuelle, qualitativ
Bestimmte als das Mehr oder Weniger, das Gröſser oder Kleiner, das
Weiter oder Enger, das Häufiger oder Seltener jener an sich farblosen,
eigentlich nur noch der numerischen Bestimmtheit zugängigen Ele-
mente und Bewuſstheiten zu erklären — mag diese Tendenz auch mit
irdischen Mitteln ihr Ziel nie absolut erreichen können. Das Interesse
an dem Wieviel, so sehr es einen angebbaren realen Sinn nur in der
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/298>, abgerufen am 22.11.2024.
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