Substanz des Lebens und Strebens, die dessen positive Seite bildet, zunächst sehr unbestimmt und vieldeutig; so dass der Student, weil die blosse Freiheit etwas ganz leeres und eigentlich unerträgliches ist, sich im Komment freiwillig einen Zwang stärkster Art erzeugt. Ganz anders liegt das Verhältnis bei einem Kaufmann, der von einer lästigen Handels- beschränkung befreit wird; hier ist das neue Thun, um dessentwillen jene Befreiung wertvoll ist, seinem Inhalt und seiner Direktive nach sehr bestimmt, er bleibt gar nicht bei der blossen Freiheit stehen, sondern weiss sofort, wozu er sie unvermeidlich zu benutzen hat. Bei einem Mädchen, die aus der einengenden Ordnung des Elternhauses heraustritt, um sich eine ökonomische Selbständigkeit zu gründen, hat die Freiheit einen ganz andern positiven Sinn nach Quantität und Qualität, als wenn sie "gefreit" wird und die Führung eines eigenen Hauses sich an jene Befreiung als ihr Wesen und Zweck anschliesst. Kurz jeder Befreiungsakt zeigt eine besondere Proportion zwischen der Betonung und Ausdehnung des damit überwundenen Zustandes und der des damit gewonnenen. Würde man eine solche Reihe je nach dem allmählich steigenden Übergewicht des einen Momentes über das andere wirklich konstruieren können, so würde die durch den Geldverkauf eines Objekts gewonnene Freiheit an einem Endpunkt derselben stehen -- wenigstens dann, wenn das Objekt bisher den Lebensinhalt nach sich bestimmt hat. Wer sein Landgut gegen ein Haus in der Stadt vertauscht, der ist damit allerdings von den Mühseligkeiten und Sorgen der Landwirtschaft befreit; aber diese Freiheit bedeutet, dass er sich sogleich den Aufgaben und Chancen des städtischen Grund- besitzes zu widmen hat. Verkauft er aber sein Gut gegen Geld, so ist er nun wirklich frei, das negative Moment der Befreiung von den bisherigen Lasten ist das überwiegende, seine neu geschaffene Situation als Geldbesitzer enthält nur ein Minimum bestimmter Direktiven für die Zukunft. In der Befreiung vom Zwange des Objekts durch den Geldverkauf ist das positive Moment derselben auf seinen Grenzwert hinabgesunken; das Geld hat die Aufgabe gelöst, die Freiheit des Menschen nahezu in ihrem rein negativen Sinne zu verwirklichen.
So ordnet sich die ungeheure Gefahr, die die Zugeldesetzung für den Bauern bedeutete, einem allgemeinen System der menschlichen Freiheit ein. Allerdings war es Freiheit, was er gewann; aber nur Freiheit von etwas, nicht Freiheit zu etwas; allerdings scheinbar Frei- heit zu allem -- weil sie eben bloss negativ war --, thatsächlich aber eben deshalb ohne jede Direktive, ohne jeden bestimmten und be- stimmenden Inhalt und deshalb zu jener Leerheit und Haltlosigkeit disponierend, die jedem zufälligen, launenhaften, verführerischen Impuls
Substanz des Lebens und Strebens, die dessen positive Seite bildet, zunächst sehr unbestimmt und vieldeutig; so daſs der Student, weil die bloſse Freiheit etwas ganz leeres und eigentlich unerträgliches ist, sich im Komment freiwillig einen Zwang stärkster Art erzeugt. Ganz anders liegt das Verhältnis bei einem Kaufmann, der von einer lästigen Handels- beschränkung befreit wird; hier ist das neue Thun, um dessentwillen jene Befreiung wertvoll ist, seinem Inhalt und seiner Direktive nach sehr bestimmt, er bleibt gar nicht bei der bloſsen Freiheit stehen, sondern weiſs sofort, wozu er sie unvermeidlich zu benutzen hat. Bei einem Mädchen, die aus der einengenden Ordnung des Elternhauses heraustritt, um sich eine ökonomische Selbständigkeit zu gründen, hat die Freiheit einen ganz andern positiven Sinn nach Quantität und Qualität, als wenn sie „gefreit“ wird und die Führung eines eigenen Hauses sich an jene Befreiung als ihr Wesen und Zweck anschlieſst. Kurz jeder Befreiungsakt zeigt eine besondere Proportion zwischen der Betonung und Ausdehnung des damit überwundenen Zustandes und der des damit gewonnenen. Würde man eine solche Reihe je nach dem allmählich steigenden Übergewicht des einen Momentes über das andere wirklich konstruieren können, so würde die durch den Geldverkauf eines Objekts gewonnene Freiheit an einem Endpunkt derselben stehen — wenigstens dann, wenn das Objekt bisher den Lebensinhalt nach sich bestimmt hat. Wer sein Landgut gegen ein Haus in der Stadt vertauscht, der ist damit allerdings von den Mühseligkeiten und Sorgen der Landwirtschaft befreit; aber diese Freiheit bedeutet, daſs er sich sogleich den Aufgaben und Chancen des städtischen Grund- besitzes zu widmen hat. Verkauft er aber sein Gut gegen Geld, so ist er nun wirklich frei, das negative Moment der Befreiung von den bisherigen Lasten ist das überwiegende, seine neu geschaffene Situation als Geldbesitzer enthält nur ein Minimum bestimmter Direktiven für die Zukunft. In der Befreiung vom Zwange des Objekts durch den Geldverkauf ist das positive Moment derselben auf seinen Grenzwert hinabgesunken; das Geld hat die Aufgabe gelöst, die Freiheit des Menschen nahezu in ihrem rein negativen Sinne zu verwirklichen.
So ordnet sich die ungeheure Gefahr, die die Zugeldesetzung für den Bauern bedeutete, einem allgemeinen System der menschlichen Freiheit ein. Allerdings war es Freiheit, was er gewann; aber nur Freiheit von etwas, nicht Freiheit zu etwas; allerdings scheinbar Frei- heit zu allem — weil sie eben bloſs negativ war —, thatsächlich aber eben deshalb ohne jede Direktive, ohne jeden bestimmten und be- stimmenden Inhalt und deshalb zu jener Leerheit und Haltlosigkeit disponierend, die jedem zufälligen, launenhaften, verführerischen Impuls
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Substanz des Lebens und Strebens, die dessen positive Seite bildet,
zunächst sehr unbestimmt und vieldeutig; so daſs der Student, weil die
bloſse Freiheit etwas ganz leeres und eigentlich unerträgliches ist, sich
im Komment freiwillig einen Zwang stärkster Art erzeugt. Ganz anders
liegt das Verhältnis bei einem Kaufmann, der von einer lästigen Handels-
beschränkung befreit wird; hier ist das neue Thun, um dessentwillen
jene Befreiung wertvoll ist, seinem Inhalt und seiner Direktive nach
sehr bestimmt, er bleibt gar nicht bei der bloſsen Freiheit stehen,
sondern weiſs sofort, wozu er sie unvermeidlich zu benutzen hat. Bei
einem Mädchen, die aus der einengenden Ordnung des Elternhauses
heraustritt, um sich eine ökonomische Selbständigkeit zu gründen, hat
die Freiheit einen ganz andern positiven Sinn nach Quantität und
Qualität, als wenn sie „gefreit“ wird und die Führung eines eigenen
Hauses sich an jene Befreiung als ihr Wesen und Zweck anschlieſst.
Kurz jeder Befreiungsakt zeigt eine besondere Proportion zwischen der
Betonung und Ausdehnung des damit überwundenen Zustandes und der
des damit gewonnenen. Würde man eine solche Reihe je nach dem
allmählich steigenden Übergewicht des einen Momentes über das andere
wirklich konstruieren können, so würde die durch den Geldverkauf
eines Objekts gewonnene Freiheit an einem Endpunkt derselben
stehen — wenigstens dann, wenn das Objekt bisher den Lebensinhalt
nach sich bestimmt hat. Wer sein Landgut gegen ein Haus in der
Stadt vertauscht, der ist damit allerdings von den Mühseligkeiten und
Sorgen der Landwirtschaft befreit; aber diese Freiheit bedeutet, daſs
er sich sogleich den Aufgaben und Chancen des städtischen Grund-
besitzes zu widmen hat. Verkauft er aber sein Gut gegen Geld, so
ist er nun wirklich frei, das negative Moment der Befreiung von den
bisherigen Lasten ist das überwiegende, seine neu geschaffene Situation
als Geldbesitzer enthält nur ein Minimum bestimmter Direktiven für
die Zukunft. In der Befreiung vom Zwange des Objekts durch den
Geldverkauf ist das positive Moment derselben auf seinen Grenzwert
hinabgesunken; das Geld hat die Aufgabe gelöst, die Freiheit des
Menschen nahezu in ihrem rein negativen Sinne zu verwirklichen.
So ordnet sich die ungeheure Gefahr, die die Zugeldesetzung für
den Bauern bedeutete, einem allgemeinen System der menschlichen
Freiheit ein. Allerdings war es Freiheit, was er gewann; aber nur
Freiheit von etwas, nicht Freiheit zu etwas; allerdings scheinbar Frei-
heit zu allem — weil sie eben bloſs negativ war —, thatsächlich aber
eben deshalb ohne jede Direktive, ohne jeden bestimmten und be-
stimmenden Inhalt und deshalb zu jener Leerheit und Haltlosigkeit
disponierend, die jedem zufälligen, launenhaften, verführerischen Impuls
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 422. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/446>, abgerufen am 22.11.2024.
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