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[Spalding, Johann Joachim]: Betrachtung über die Bestimmung des Menschen. 3. Aufl. Berlin, 1749.

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lich auf den größten und letzten Zweck aller Religion, näm-
lich, den Menschen besser und glücklich zu machen. Neue
Bestätigungen der angelegentlichsten Wahrheiten, neue Be-
wegungsgründe, neue Mittel, neue Ursachen des Vertrau-
ens und der Aufmunterung, welche dem Menschen bey dem
einmal herrschenden Verderben so nöthig sind, das ist es,
wodurch die Offenbarung sich von der blossen Vernunft un-
terscheidet, und wodurch sie sich mit einem so verehrens-
würdigen Vorzuge unterscheidet. Wir wollen uns inson-
derheit den Zustand eines Menschen vorstellen, der durch
seine Abweichungen von dem Wege der Wahrheit und des
Rechts in das größte Unglück gerathen, dessen eigentlich die
menschliche Natur fähig ist. (Und wer befindet sich nicht
in diesem Zustande?) Er kömmt zu sich selbst; er empfin-
det seine innerliche Häßlichkeit; er empfindet den Wider-
spruch, worinn er gegen die allgemeine Ordnung, und gegen
das unendliche Urbild aller Ordnung stehet; er empfindet
die Abscheulichkeit des Frevels, womit er die ewigen unver-
änderlichen Gesetze der Wahrheit geschändet hat. Nichts
ist ihm offenbarer, als daß er gerade wider Gott ist. Was
für ein erschröckliches Gefühl von Unmuth, von Scham,
von Reue, von Furcht, welches natürlich daraus entsprin-
gen muß! Was für Mistrauen, was für niederschlagende
Zweifel bey dem beßten Vorsatz der Umkehrung und Besse-
rung! Jch erkenne hierüber niemand zum Richter, als den-
jenigen, der überlegend und redlich genug ist, den Wehrt
der sittlichen Ordnung und des damit verknüpften göttlichen
Wohlgefallens lebendig einzusehen und recht zu schätzen,
oder noch besser, der in seiner eigenen Sele das mächtige
Gewicht dieser grossen und ungegründeten Empfindungen
gefühlet hat. Der wird es uns sagen können, mit was für
Augen man die deutlichen Versicherungen des Evangeliums
anzusehen habe, daß der allerhöchste Regierer der Welt,
der, seinem unwandelbaren Wesen zu Folge, die Ordnung
mit der genauesten Strenge handhabet, dennoch geneigt und

bereit
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lich auf den groͤßten und letzten Zweck aller Religion, naͤm-
lich, den Menſchen beſſer und gluͤcklich zu machen. Neue
Beſtaͤtigungen der angelegentlichſten Wahrheiten, neue Be-
wegungsgruͤnde, neue Mittel, neue Urſachen des Vertrau-
ens und der Aufmunterung, welche dem Menſchen bey dem
einmal herrſchenden Verderben ſo noͤthig ſind, das iſt es,
wodurch die Offenbarung ſich von der bloſſen Vernunft un-
terſcheidet, und wodurch ſie ſich mit einem ſo verehrens-
wuͤrdigen Vorzuge unterſcheidet. Wir wollen uns inſon-
derheit den Zuſtand eines Menſchen vorſtellen, der durch
ſeine Abweichungen von dem Wege der Wahrheit und des
Rechts in das groͤßte Ungluͤck gerathen, deſſen eigentlich die
menſchliche Natur faͤhig iſt. (Und wer befindet ſich nicht
in dieſem Zuſtande?) Er koͤmmt zu ſich ſelbſt; er empfin-
det ſeine innerliche Haͤßlichkeit; er empfindet den Wider-
ſpruch, worinn er gegen die allgemeine Ordnung, und gegen
das unendliche Urbild aller Ordnung ſtehet; er empfindet
die Abſcheulichkeit des Frevels, womit er die ewigen unver-
aͤnderlichen Geſetze der Wahrheit geſchaͤndet hat. Nichts
iſt ihm offenbarer, als daß er gerade wider Gott iſt. Was
fuͤr ein erſchroͤckliches Gefuͤhl von Unmuth, von Scham,
von Reue, von Furcht, welches natuͤrlich daraus entſprin-
gen muß! Was fuͤr Mistrauen, was fuͤr niederſchlagende
Zweifel bey dem beßten Vorſatz der Umkehrung und Beſſe-
rung! Jch erkenne hieruͤber niemand zum Richter, als den-
jenigen, der uͤberlegend und redlich genug iſt, den Wehrt
der ſittlichen Ordnung und des damit verknuͤpften goͤttlichen
Wohlgefallens lebendig einzuſehen und recht zu ſchaͤtzen,
oder noch beſſer, der in ſeiner eigenen Sele das maͤchtige
Gewicht dieſer groſſen und ungegruͤndeten Empfindungen
gefuͤhlet hat. Der wird es uns ſagen koͤnnen, mit was fuͤr
Augen man die deutlichen Verſicherungen des Evangeliums
anzuſehen habe, daß der allerhoͤchſte Regierer der Welt,
der, ſeinem unwandelbaren Weſen zu Folge, die Ordnung
mit der genaueſten Strenge handhabet, dennoch geneigt und

bereit
D 3
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[29/0039] lich auf den groͤßten und letzten Zweck aller Religion, naͤm- lich, den Menſchen beſſer und gluͤcklich zu machen. Neue Beſtaͤtigungen der angelegentlichſten Wahrheiten, neue Be- wegungsgruͤnde, neue Mittel, neue Urſachen des Vertrau- ens und der Aufmunterung, welche dem Menſchen bey dem einmal herrſchenden Verderben ſo noͤthig ſind, das iſt es, wodurch die Offenbarung ſich von der bloſſen Vernunft un- terſcheidet, und wodurch ſie ſich mit einem ſo verehrens- wuͤrdigen Vorzuge unterſcheidet. Wir wollen uns inſon- derheit den Zuſtand eines Menſchen vorſtellen, der durch ſeine Abweichungen von dem Wege der Wahrheit und des Rechts in das groͤßte Ungluͤck gerathen, deſſen eigentlich die menſchliche Natur faͤhig iſt. (Und wer befindet ſich nicht in dieſem Zuſtande?) Er koͤmmt zu ſich ſelbſt; er empfin- det ſeine innerliche Haͤßlichkeit; er empfindet den Wider- ſpruch, worinn er gegen die allgemeine Ordnung, und gegen das unendliche Urbild aller Ordnung ſtehet; er empfindet die Abſcheulichkeit des Frevels, womit er die ewigen unver- aͤnderlichen Geſetze der Wahrheit geſchaͤndet hat. Nichts iſt ihm offenbarer, als daß er gerade wider Gott iſt. Was fuͤr ein erſchroͤckliches Gefuͤhl von Unmuth, von Scham, von Reue, von Furcht, welches natuͤrlich daraus entſprin- gen muß! Was fuͤr Mistrauen, was fuͤr niederſchlagende Zweifel bey dem beßten Vorſatz der Umkehrung und Beſſe- rung! Jch erkenne hieruͤber niemand zum Richter, als den- jenigen, der uͤberlegend und redlich genug iſt, den Wehrt der ſittlichen Ordnung und des damit verknuͤpften goͤttlichen Wohlgefallens lebendig einzuſehen und recht zu ſchaͤtzen, oder noch beſſer, der in ſeiner eigenen Sele das maͤchtige Gewicht dieſer groſſen und ungegruͤndeten Empfindungen gefuͤhlet hat. Der wird es uns ſagen koͤnnen, mit was fuͤr Augen man die deutlichen Verſicherungen des Evangeliums anzuſehen habe, daß der allerhoͤchſte Regierer der Welt, der, ſeinem unwandelbaren Weſen zu Folge, die Ordnung mit der genaueſten Strenge handhabet, dennoch geneigt und bereit D 3

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Zitationshilfe: [Spalding, Johann Joachim]: Betrachtung über die Bestimmung des Menschen. 3. Aufl. Berlin, 1749, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spalding_bestimmung_1749/39>, abgerufen am 21.11.2024.