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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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Das erste Capitel.
meinung jemand aufftringet/ noch sich selbs so fest darauff setzet. Daher ihm
auch deßwegen keine gefahr zugezogen werden solle: wie mir immer auch die
wort Hieronymi indem sinne ligen (Comment. in Jerem. 19.) quae licet non
sequamur, tamen condemnare non possumus, eo quod multi virorum Ec-
clesiasticorum & martyrum ita dixerint.
Dabey lasse ichs auch.
VII.
Von dem ewigen leben.
1. JCh will hiebey der guten zuversicht leben/ daß Autor in der lehr von
der rechtfertigung selbsten der wahrheit des Evangelii von hertzen zu-
gethan seye/ und glaube/ daß vor göttl. gericht allerdings keine unsre wercke
also angesehen werden/ daß uns daher die sünde vergeben/ die gerechtigkeit
und das ewige leben zugesprochen würde: daher solches wahrhafftig ein pur-
lauter gnaden-geschenck bleibet/ auch so gar daß der glaube nicht anders als
passive concurriret/ nicht daß er seiner würdigkeit wegen vor GOtt angese-
hen würde/ sondern nur daß er die gabe GOttes annimmet. Von welchem
hauptstück des Evangelii/ darüber der liebe Paulus so hertzlich eiffert/ wir
uns nimmermehr trennen zu lassen ursach haben/ und mir leid wäre/ wo ein
bruder/ dem GOtt sonsten einen hertzlichen sinn zu beförderung des guten
gegeben hätte/ hierinnen sich vergehen solte.
2. Vorausgesetzt dessen/ wie ich auch von demjenigen mann/ so zuerst
die angeführte phrasin, Bona opera esse conditionem vel causam sine qua
non salutis,
zu unsrer zeit auffgebracht/ oder doch auffs neue mehr vertheidi-
get/ eben solche gute hoffnung haben will/ so kommet es allein auff die re-
dens-art hinaus/ ob dieselbe rathsam seye zu gebrauchen.
3. Läugne ich nicht/ daß ein verstand solcher proposition gegeben wer-
den könte/ der nicht falsch wäre/ wo alles nur dahin gezogen würde/ daß da-
mit das subjectum salvandum solte beschrieben werden/ von dem wir frey-
lich nicht ausschliessen/ daß eben deswegen weil es glaubig seye/ es auch
in dem stand guter wercke erfunden werden müsse/ ohne daß deswegen die
wercke selbs dasjenige wären/ auff welches GOtt in der ertheilung des heils
sehe/ sondern vielmehr dasselbe allen aus gnaden schencke.
4. Weil aber in einer rede nicht allein zu sehen ist/ ob man derselben ei-
nen bequemen verstand geben könne/ sondern welcher verstand zuerst/ wo
man die wort höret/ in die gedancken fället/ da ich davor halte/ daß jeder un-
partheyischer bekennen werde/ wo man solche wort höret/ daß man nicht so wol
den jetzt erklährten verstand darinnen suchen/ als vielmehr sie so annehmen
werde/ daß die gute wercke einigen einfluß mit in das werck unsrer seligma-
chung haben: und wird nicht so wol diese proposition darinnen stecken/ bona
opera
Das erſte Capitel.
meinung jemand aufftringet/ noch ſich ſelbs ſo feſt darauff ſetzet. Daher ihm
auch deßwegen keine gefahr zugezogen werden ſolle: wie mir immer auch die
wort Hieronymi indem ſinne ligen (Comment. in Jerem. 19.) quæ licet non
ſequamur, tamen condemnare non poſſumus, eo quod multi virorum Ec-
cleſiaſticorum & martyrum ita dixerint.
Dabey laſſe ichs auch.
VII.
Von dem ewigen leben.
1. JCh will hiebey der guten zuverſicht leben/ daß Autor in der lehr von
der rechtfertigung ſelbſten der wahrheit des Evangelii von hertzen zu-
gethan ſeye/ und glaube/ daß vor goͤttl. gericht allerdings keine unſre wercke
alſo angeſehen werden/ daß uns daher die ſuͤnde vergeben/ die gerechtigkeit
und das ewige leben zugeſprochen wuͤrde: daher ſolches wahrhafftig ein pur-
lauter gnaden-geſchenck bleibet/ auch ſo gar daß der glaube nicht anders als
paſſive concurriret/ nicht daß er ſeiner wuͤrdigkeit wegen vor GOtt angeſe-
hen wuͤrde/ ſondern nur daß er die gabe GOttes annimmet. Von welchem
hauptſtuͤck des Evangelii/ daruͤber der liebe Paulus ſo hertzlich eiffert/ wir
uns nimmermehr trennen zu laſſen urſach haben/ und mir leid waͤre/ wo ein
bruder/ dem GOtt ſonſten einen hertzlichen ſinn zu befoͤrderung des guten
gegeben haͤtte/ hierinnen ſich vergehen ſolte.
2. Vorausgeſetzt deſſen/ wie ich auch von demjenigen mann/ ſo zuerſt
die angefuͤhrte phraſin, Bona opera eſſe conditionem vel cauſam ſine qua
non ſalutis,
zu unſrer zeit auffgebracht/ oder doch auffs neue mehr vertheidi-
get/ eben ſolche gute hoffnung haben will/ ſo kommet es allein auff die re-
dens-art hinaus/ ob dieſelbe rathſam ſeye zu gebrauchen.
3. Laͤugne ich nicht/ daß ein verſtand ſolcher propoſition gegeben wer-
den koͤnte/ der nicht falſch waͤre/ wo alles nur dahin gezogen wuͤrde/ daß da-
mit das ſubjectum ſalvandum ſolte beſchrieben werden/ von dem wir frey-
lich nicht ausſchlieſſen/ daß eben deswegen weil es glaubig ſeye/ es auch
in dem ſtand guter wercke erfunden werden muͤſſe/ ohne daß deswegen die
wercke ſelbs dasjenige waͤren/ auff welches GOtt in der ertheilung des heils
ſehe/ ſondern vielmehr daſſelbe allen aus gnaden ſchencke.
4. Weil aber in einer rede nicht allein zu ſehen iſt/ ob man derſelben ei-
nen bequemen verſtand geben koͤnne/ ſondern welcher verſtand zuerſt/ wo
man die wort hoͤret/ in die gedancken faͤllet/ da ich davor halte/ daß jeder un-
partheyiſcher bekeñen werde/ wo man ſolche wort hoͤret/ daß man nicht ſo wol
den jetzt erklaͤhrten verſtand darinnen ſuchen/ als vielmehr ſie ſo annehmen
werde/ daß die gute wercke einigen einfluß mit in das werck unſrer ſeligma-
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[88/0104] Das erſte Capitel. meinung jemand aufftringet/ noch ſich ſelbs ſo feſt darauff ſetzet. Daher ihm auch deßwegen keine gefahr zugezogen werden ſolle: wie mir immer auch die wort Hieronymi indem ſinne ligen (Comment. in Jerem. 19.) quæ licet non ſequamur, tamen condemnare non poſſumus, eo quod multi virorum Ec- cleſiaſticorum & martyrum ita dixerint. Dabey laſſe ichs auch. VII. Von dem ewigen leben. 1. JCh will hiebey der guten zuverſicht leben/ daß Autor in der lehr von der rechtfertigung ſelbſten der wahrheit des Evangelii von hertzen zu- gethan ſeye/ und glaube/ daß vor goͤttl. gericht allerdings keine unſre wercke alſo angeſehen werden/ daß uns daher die ſuͤnde vergeben/ die gerechtigkeit und das ewige leben zugeſprochen wuͤrde: daher ſolches wahrhafftig ein pur- lauter gnaden-geſchenck bleibet/ auch ſo gar daß der glaube nicht anders als paſſive concurriret/ nicht daß er ſeiner wuͤrdigkeit wegen vor GOtt angeſe- hen wuͤrde/ ſondern nur daß er die gabe GOttes annimmet. Von welchem hauptſtuͤck des Evangelii/ daruͤber der liebe Paulus ſo hertzlich eiffert/ wir uns nimmermehr trennen zu laſſen urſach haben/ und mir leid waͤre/ wo ein bruder/ dem GOtt ſonſten einen hertzlichen ſinn zu befoͤrderung des guten gegeben haͤtte/ hierinnen ſich vergehen ſolte. 2. Vorausgeſetzt deſſen/ wie ich auch von demjenigen mann/ ſo zuerſt die angefuͤhrte phraſin, Bona opera eſſe conditionem vel cauſam ſine qua non ſalutis, zu unſrer zeit auffgebracht/ oder doch auffs neue mehr vertheidi- get/ eben ſolche gute hoffnung haben will/ ſo kommet es allein auff die re- dens-art hinaus/ ob dieſelbe rathſam ſeye zu gebrauchen. 3. Laͤugne ich nicht/ daß ein verſtand ſolcher propoſition gegeben wer- den koͤnte/ der nicht falſch waͤre/ wo alles nur dahin gezogen wuͤrde/ daß da- mit das ſubjectum ſalvandum ſolte beſchrieben werden/ von dem wir frey- lich nicht ausſchlieſſen/ daß eben deswegen weil es glaubig ſeye/ es auch in dem ſtand guter wercke erfunden werden muͤſſe/ ohne daß deswegen die wercke ſelbs dasjenige waͤren/ auff welches GOtt in der ertheilung des heils ſehe/ ſondern vielmehr daſſelbe allen aus gnaden ſchencke. 4. Weil aber in einer rede nicht allein zu ſehen iſt/ ob man derſelben ei- nen bequemen verſtand geben koͤnne/ ſondern welcher verſtand zuerſt/ wo man die wort hoͤret/ in die gedancken faͤllet/ da ich davor halte/ daß jeder un- partheyiſcher bekeñen werde/ wo man ſolche wort hoͤret/ daß man nicht ſo wol den jetzt erklaͤhrten verſtand darinnen ſuchen/ als vielmehr ſie ſo annehmen werde/ daß die gute wercke einigen einfluß mit in das werck unſrer ſeligma- chung haben: und wird nicht ſo wol dieſe propoſition darinnen ſtecken/ bona opera

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/104>, abgerufen am 27.11.2024.