Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

Bild:
<< vorherige Seite
Das erste Capitel.

Weil die frage unterschiedlich verstanden werden kan/ und unterschiedli-
ches insgesamt in sich fasset/ so kan nicht wol schlechter dings mit ja oder
nein geantwortet werden/ sondern ichfasse alles in gewisse sätze.

1. GOttes wort hat was es ist und seine krafft in sich/ und von GOtt/ der es
geoffenbahret hat/ und dardurch den menschen seine wahrheit so kund
gibet/ als in die hertzen truckt. Daher bedarff es nicht erst die krafft zu er-
langen von der gottseligkeit dessen der es vorträget/ noch kan ein gottloser
prediger demselben solche an sich selbst nehmen.
2. Wenn deswegen auch ein gottloser das jenige/ was wahrhafftig
GOttes wort ist/ predigt/ da er entweder bey den worten der schrifft allein
bleibet/ oder da er andre wort gebrauchet/ dannoch im geringsten nichts von
dem sinn der schrifft abgehet/ so hat solches wort allerdings die krafft in die
hertzen der zuhörer zu würcken/ die ihm innerlich ist/ als fern sie nicht auff an-
dre weise von ihm gehindert werde.
3. Weil man aber in den predigten nicht bey den blossen worten der
schrifft bleibet/ sondern sich auch anderer gebraucht/ und dann ein grosses
liget an der application des worts auff eine gemeinde/ item auf diese und
jene fragen/ anligen/ fälle/ da wirds unmüglich/ weil ein gottloser pre-
diger nicht von dem heiligen Geist regieret wird/ sondern aus seiner vernunfft/
so viel er buchstäbliche erkäntnüß seiner Theologie aus der schrifft gefasst
hat/ mit GOttes wort umgehet/ es erklähret und anwendet/ daß er
nicht da und dort in der erklährung und application des worts von
dessen sinn und absicht abgehe/ und unter dem nahmen GOttes worts das
jenige vortrage was in der wahrheit nicht GOttes wort ist/ sondern darvon
abweichet: sonderlich was die materie des dritten articuls anlangt/ welche
ohne eigne erfahrung nicht gründlich erkant werden können. Davon lauten
die wort Lutheri stattlich T. 1. Alt. f. 820. b. GOttes gesetz mag niemand
recht verstehen/ es sey ihm dann im hertzen/ daß ers lieb habe/ und lebe dar-
nach/ welches thut der glaube an GOtt. Darum ob die gottlose wol viel
wort machen von GOtt und seinem gesetz/ rühmen sich der schrifft lehrer und
erfahrne/ so reden sie doch nimmer recht noch weißlich/ dann sie habens nicht
im hertzen/ darumverstehen sie sein nicht.
4. Weil es demnach dem gottlosen prediger an dem wahren gründli-
chen verstand der dinge die des Geistes GOttes sind/ und an der nöthigen
göttlichen weißheit mangelt/ so kan er auch GOttes wort nicht also der ge-
meine vortragen/ wie er solle/ mit der reinigkeit und vollkommenheit/ als
der gemeinde nothdurfft erfordert. Daher was er von GOttes wort noch
lehret/ behält auch seine krafft/ die aber durch die üble erklährung und anwen-
dung/ auslassung manches nöthigen und beysetzung vieles unnützen sehr
gehin-
Das erſte Capitel.

Weil die frage unterſchiedlich verſtanden werden kan/ und unterſchiedli-
ches insgeſamt in ſich faſſet/ ſo kan nicht wol ſchlechter dings mit ja oder
nein geantwortet werden/ ſondern ichfaſſe alles in gewiſſe ſaͤtze.

1. GOttes wort hat was es iſt und ſeine krafft in ſich/ und von GOtt/ der es
geoffenbahret hat/ und dardurch den menſchen ſeine wahrheit ſo kund
gibet/ als in die hertzen truckt. Daher bedarff es nicht erſt die krafft zu er-
langen von der gottſeligkeit deſſen der es vortraͤget/ noch kan ein gottloſer
prediger demſelben ſolche an ſich ſelbſt nehmen.
2. Wenn deswegen auch ein gottloſer das jenige/ was wahrhafftig
GOttes wort iſt/ predigt/ da er entweder bey den worten der ſchrifft allein
bleibet/ oder da er andre wort gebrauchet/ dannoch im geringſten nichts von
dem ſinn der ſchrifft abgehet/ ſo hat ſolches wort allerdings die krafft in die
hertzen der zuhoͤrer zu wuͤrcken/ die ihm innerlich iſt/ als fern ſie nicht auff an-
dre weiſe von ihm gehindert werde.
3. Weil man aber in den predigten nicht bey den bloſſen worten der
ſchrifft bleibet/ ſondern ſich auch anderer gebraucht/ und dann ein groſſes
liget an der application des worts auff eine gemeinde/ item auf dieſe und
jene fragen/ anligen/ faͤlle/ da wirds unmuͤglich/ weil ein gottloſer pre-
diger nicht von dem heiligen Geiſt regieret wird/ ſondern aus ſeiner vernunfft/
ſo viel er buchſtaͤbliche erkaͤntnuͤß ſeiner Theologie aus der ſchrifft gefaſſt
hat/ mit GOttes wort umgehet/ es erklaͤhret und anwendet/ daß er
nicht da und dort in der erklaͤhrung und application des worts von
deſſen ſinn und abſicht abgehe/ und unter dem nahmen GOttes worts das
jenige vortrage was in der wahrheit nicht GOttes wort iſt/ ſondern darvon
abweichet: ſonderlich was die materie des dritten articuls anlangt/ welche
ohne eigne erfahrung nicht gruͤndlich erkant werden koͤnnen. Davon lauten
die wort Lutheri ſtattlich T. 1. Alt. f. 820. b. GOttes geſetz mag niemand
recht verſtehen/ es ſey ihm dann im hertzen/ daß ers lieb habe/ und lebe dar-
nach/ welches thut der glaube an GOtt. Darum ob die gottloſe wol viel
wort machen von GOtt und ſeinem geſetz/ ruͤhmen ſich der ſchrifft lehrer und
erfahrne/ ſo reden ſie doch nimmer recht noch weißlich/ dann ſie habens nicht
im hertzen/ darumverſtehen ſie ſein nicht.
4. Weil es demnach dem gottloſen prediger an dem wahren gruͤndli-
chen verſtand der dinge die des Geiſtes GOttes ſind/ und an der noͤthigen
goͤttlichen weißheit mangelt/ ſo kan er auch GOttes wort nicht alſo der ge-
meine vortragen/ wie er ſolle/ mit der reinigkeit und vollkommenheit/ als
der gemeinde nothdurfft erfordert. Daher was er von GOttes wort noch
lehret/ behaͤlt auch ſeine krafft/ die aber durch die uͤble erklaͤhrung und anwen-
dung/ auslaſſung manches noͤthigen und beyſetzung vieles unnuͤtzen ſehr
gehin-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0190" n="174"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Das er&#x017F;te Capitel.</hi> </fw><lb/>
          <p>Weil die frage unter&#x017F;chiedlich ver&#x017F;tanden werden kan/ und unter&#x017F;chiedli-<lb/><hi rendition="#et">ches insge&#x017F;amt in &#x017F;ich fa&#x017F;&#x017F;et/ &#x017F;o kan nicht wol &#x017F;chlechter dings mit ja oder<lb/>
nein geantwortet werden/ &#x017F;ondern ichfa&#x017F;&#x017F;e alles in gewi&#x017F;&#x017F;e &#x017F;a&#x0364;tze.</hi></p><lb/>
          <list>
            <item>1. <hi rendition="#in">G</hi>Ottes wort hat was es i&#x017F;t und &#x017F;eine krafft in &#x017F;ich/ und von GOtt/ der es<lb/>
geoffenbahret hat/ und dardurch den men&#x017F;chen &#x017F;eine wahrheit &#x017F;o kund<lb/>
gibet/ als in die hertzen truckt. Daher bedarff es nicht er&#x017F;t die krafft zu er-<lb/>
langen von der gott&#x017F;eligkeit de&#x017F;&#x017F;en der es vortra&#x0364;get/ noch kan ein gottlo&#x017F;er<lb/>
prediger dem&#x017F;elben &#x017F;olche an &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t nehmen.</item><lb/>
            <item>2. Wenn deswegen auch ein gottlo&#x017F;er das jenige/ was wahrhafftig<lb/>
GOttes wort i&#x017F;t/ predigt/ da er entweder bey den worten der &#x017F;chrifft allein<lb/>
bleibet/ oder da er andre wort gebrauchet/ dannoch im gering&#x017F;ten nichts von<lb/>
dem &#x017F;inn der &#x017F;chrifft abgehet/ &#x017F;o hat &#x017F;olches wort allerdings die krafft in die<lb/>
hertzen der zuho&#x0364;rer zu wu&#x0364;rcken/ die ihm innerlich i&#x017F;t/ als fern &#x017F;ie nicht auff an-<lb/>
dre wei&#x017F;e von ihm gehindert werde.</item><lb/>
            <item>3. Weil man aber in den predigten nicht bey den blo&#x017F;&#x017F;en worten der<lb/>
&#x017F;chrifft bleibet/ &#x017F;ondern &#x017F;ich auch anderer gebraucht/ und dann ein gro&#x017F;&#x017F;es<lb/>
liget an der <hi rendition="#aq">applicati</hi>on des worts auff eine gemeinde/ <hi rendition="#aq">item</hi> auf die&#x017F;e und<lb/>
jene fragen/ anligen/ fa&#x0364;lle/ da wirds unmu&#x0364;glich/ weil ein gottlo&#x017F;er pre-<lb/>
diger nicht von dem heiligen Gei&#x017F;t regieret wird/ &#x017F;ondern aus &#x017F;einer vernunfft/<lb/>
&#x017F;o viel er buch&#x017F;ta&#x0364;bliche erka&#x0364;ntnu&#x0364;ß &#x017F;einer <hi rendition="#aq">Theologie</hi> aus der &#x017F;chrifft gefa&#x017F;&#x017F;t<lb/>
hat/ mit GOttes wort umgehet/ es erkla&#x0364;hret und anwendet/ daß er<lb/>
nicht da und dort in der erkla&#x0364;hrung und <hi rendition="#aq">applicati</hi>on des worts von<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en &#x017F;inn und ab&#x017F;icht abgehe/ und unter dem nahmen GOttes worts das<lb/>
jenige vortrage was in der wahrheit nicht GOttes wort i&#x017F;t/ &#x017F;ondern darvon<lb/>
abweichet: &#x017F;onderlich was die <hi rendition="#aq">materie</hi> des dritten articuls anlangt/ welche<lb/>
ohne eigne erfahrung nicht gru&#x0364;ndlich erkant werden ko&#x0364;nnen. Davon lauten<lb/>
die wort <hi rendition="#aq">Lutheri</hi> &#x017F;tattlich <hi rendition="#aq">T. 1. Alt. f. 820. b.</hi> GOttes ge&#x017F;etz mag niemand<lb/>
recht ver&#x017F;tehen/ es &#x017F;ey ihm dann im hertzen/ daß ers lieb habe/ und lebe dar-<lb/>
nach/ welches thut der glaube an GOtt. Darum ob die gottlo&#x017F;e wol viel<lb/>
wort machen von GOtt und &#x017F;einem ge&#x017F;etz/ ru&#x0364;hmen &#x017F;ich der &#x017F;chrifft lehrer und<lb/>
erfahrne/ &#x017F;o reden &#x017F;ie doch nimmer recht noch weißlich/ dann &#x017F;ie habens nicht<lb/>
im hertzen/ darumver&#x017F;tehen &#x017F;ie &#x017F;ein nicht.</item><lb/>
            <item>4. Weil es demnach dem gottlo&#x017F;en prediger an dem wahren gru&#x0364;ndli-<lb/>
chen ver&#x017F;tand der dinge die des Gei&#x017F;tes GOttes &#x017F;ind/ und an der no&#x0364;thigen<lb/>
go&#x0364;ttlichen weißheit mangelt/ &#x017F;o kan er auch GOttes wort nicht al&#x017F;o der ge-<lb/>
meine vortragen/ wie er &#x017F;olle/ mit der reinigkeit und vollkommenheit/ als<lb/>
der gemeinde nothdurfft erfordert. Daher was er von GOttes wort noch<lb/>
lehret/ beha&#x0364;lt auch &#x017F;eine krafft/ die aber durch die u&#x0364;ble erkla&#x0364;hrung und anwen-<lb/>
dung/ ausla&#x017F;&#x017F;ung manches no&#x0364;thigen und bey&#x017F;etzung vieles unnu&#x0364;tzen &#x017F;ehr<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">gehin-</fw><lb/></item>
          </list>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[174/0190] Das erſte Capitel. Weil die frage unterſchiedlich verſtanden werden kan/ und unterſchiedli- ches insgeſamt in ſich faſſet/ ſo kan nicht wol ſchlechter dings mit ja oder nein geantwortet werden/ ſondern ichfaſſe alles in gewiſſe ſaͤtze. 1. GOttes wort hat was es iſt und ſeine krafft in ſich/ und von GOtt/ der es geoffenbahret hat/ und dardurch den menſchen ſeine wahrheit ſo kund gibet/ als in die hertzen truckt. Daher bedarff es nicht erſt die krafft zu er- langen von der gottſeligkeit deſſen der es vortraͤget/ noch kan ein gottloſer prediger demſelben ſolche an ſich ſelbſt nehmen. 2. Wenn deswegen auch ein gottloſer das jenige/ was wahrhafftig GOttes wort iſt/ predigt/ da er entweder bey den worten der ſchrifft allein bleibet/ oder da er andre wort gebrauchet/ dannoch im geringſten nichts von dem ſinn der ſchrifft abgehet/ ſo hat ſolches wort allerdings die krafft in die hertzen der zuhoͤrer zu wuͤrcken/ die ihm innerlich iſt/ als fern ſie nicht auff an- dre weiſe von ihm gehindert werde. 3. Weil man aber in den predigten nicht bey den bloſſen worten der ſchrifft bleibet/ ſondern ſich auch anderer gebraucht/ und dann ein groſſes liget an der application des worts auff eine gemeinde/ item auf dieſe und jene fragen/ anligen/ faͤlle/ da wirds unmuͤglich/ weil ein gottloſer pre- diger nicht von dem heiligen Geiſt regieret wird/ ſondern aus ſeiner vernunfft/ ſo viel er buchſtaͤbliche erkaͤntnuͤß ſeiner Theologie aus der ſchrifft gefaſſt hat/ mit GOttes wort umgehet/ es erklaͤhret und anwendet/ daß er nicht da und dort in der erklaͤhrung und application des worts von deſſen ſinn und abſicht abgehe/ und unter dem nahmen GOttes worts das jenige vortrage was in der wahrheit nicht GOttes wort iſt/ ſondern darvon abweichet: ſonderlich was die materie des dritten articuls anlangt/ welche ohne eigne erfahrung nicht gruͤndlich erkant werden koͤnnen. Davon lauten die wort Lutheri ſtattlich T. 1. Alt. f. 820. b. GOttes geſetz mag niemand recht verſtehen/ es ſey ihm dann im hertzen/ daß ers lieb habe/ und lebe dar- nach/ welches thut der glaube an GOtt. Darum ob die gottloſe wol viel wort machen von GOtt und ſeinem geſetz/ ruͤhmen ſich der ſchrifft lehrer und erfahrne/ ſo reden ſie doch nimmer recht noch weißlich/ dann ſie habens nicht im hertzen/ darumverſtehen ſie ſein nicht. 4. Weil es demnach dem gottloſen prediger an dem wahren gruͤndli- chen verſtand der dinge die des Geiſtes GOttes ſind/ und an der noͤthigen goͤttlichen weißheit mangelt/ ſo kan er auch GOttes wort nicht alſo der ge- meine vortragen/ wie er ſolle/ mit der reinigkeit und vollkommenheit/ als der gemeinde nothdurfft erfordert. Daher was er von GOttes wort noch lehret/ behaͤlt auch ſeine krafft/ die aber durch die uͤble erklaͤhrung und anwen- dung/ auslaſſung manches noͤthigen und beyſetzung vieles unnuͤtzen ſehr gehin-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/190
Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/190>, abgerufen am 24.11.2024.