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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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Das erste Capitel.
in schwächung der verbindlichkeit (darum bleibt der mangel annoch sünde)
sondern in gütiger annehmung oder acceptation von seinen kindern des auch
mangelhafften/ vermittels der vergebung. Hiedurch zweifle nicht/ daß al-
len scrupeln begegnet werden könne. Von der frage zu reden/ ob ein gott-
loser mensch durch unbedingtes und ungestümes anhalten von Gott
das gebetene im zorn erhalten könne/
so bin gantz auch der meinung/
und ist die sache aus den angeführten und mit einander verglichenen orten
1. Sam. 8. Hos. 13/ Ap. Gesch. 13. gnug erweißlich. Ja es mag wol auch
bey sonst frommen geschehen/ wo sie sich durch ihre ungedult übernehmen las-
sen/ und mit gewalt etwas von Gott erzwingen wollen/ daher der ihnen obli-
genden demuth und kindlichen unterwerffung vergessen/ daß ihnen GOtt sol-
ches gebe/ aber zu einem schwehren leiden. Jch werde selbs einige mahl in
meinen schrifften davon meldung gethan haben; kan aber dißmahl es nicht
finden: doch sihet dahin etwas in der leichpr. 2. theil p. 148. 149. 1691.

SECTIO XXXIII.
Von der vereinigung mit GOtt.

ES hat mich erfreuet/ daß meine wertheste frau über die auff Pfingsten
angehörte predigt von der einwohnung GOttes und vereinigung mit
ihm/ sonderbares vergnügen bezeiget/ daß sie auch dero abschrifft ver-
langet/ welche zugekommen zu seyn nicht zweiffle. Es ist freylich eine solche
materie, daran ein gottseliges hertz nicht anderst als eine hertzliche freude su-
chen kan; und daher auch dero betrachtung dieselbe inniglich erquicken muß.
Denn alle wohlthaten GOTTes gehen endlich dahin/ und bestehet unsere
gantze seligkeit in nichts anders/ als endlich in der vollkommensten und ge-
nauesten vereinigung mit dem grossen GOtt/ als dem einigen wahren und
höchsten gut. Hiezu sind wir erschaffen/ und gab uns das anerschaffene
bild damahl das recht/ einer genauen vereinigung mit GOtt/ die auch einen
vertraulichen umgang würde nach sich gezogen haben. Hingegen bestund das
gröste unglück unsers falls darinn/ daß wir durch denselben und den verlust
jenes ebenbildes von GOtt getrennet worden/ und hingegen mit dem satan
wegen seiner angenommenen gleichheit mehr vereiniget zu werden angefan-
gen haben.

Daß uns also unser Heiland nachmahl erlöset/ und uns sein verdienst
schencket/ und was der H. Geist in dem werck der heiligung an uns arbeitet/
hat alles zum letzten zweck/ wiederum mit GOtt vereiniget zu werden. Denn
obwohl die vergebung der sünden und neue gerechtigkeit JEsu Christi mit
von unseren grossen hauptgütern/ und würdig sind/ mit zu unserer seligkeit

gerech-

Das erſte Capitel.
in ſchwaͤchung der verbindlichkeit (darum bleibt der mangel annoch ſuͤnde)
ſondern in guͤtiger annehmung oder acceptation von ſeinen kindern des auch
mangelhafften/ vermittels der vergebung. Hiedurch zweifle nicht/ daß al-
len ſcrupeln begegnet werden koͤnne. Von der frage zu reden/ ob ein gott-
loſer menſch durch unbedingtes und ungeſtuͤmes anhalten von Gott
das gebetene im zorn erhalten koͤnne/
ſo bin gantz auch der meinung/
und iſt die ſache aus den angefuͤhrten und mit einander verglichenen orten
1. Sam. 8. Hoſ. 13/ Ap. Geſch. 13. gnug erweißlich. Ja es mag wol auch
bey ſonſt frommen geſchehen/ wo ſie ſich durch ihre ungedult uͤbernehmen laſ-
ſen/ und mit gewalt etwas von Gott erzwingen wollen/ daher der ihnen obli-
genden demuth und kindlichen unterwerffung vergeſſen/ daß ihnen GOtt ſol-
ches gebe/ aber zu einem ſchwehren leiden. Jch werde ſelbs einige mahl in
meinen ſchrifften davon meldung gethan haben; kan aber dißmahl es nicht
finden: doch ſihet dahin etwas in der leichpr. 2. theil p. 148. 149. 1691.

SECTIO XXXIII.
Von der vereinigung mit GOtt.

ES hat mich erfreuet/ daß meine wertheſte frau uͤber die auff Pfingſten
angehoͤrte predigt von der einwohnung GOttes und vereinigung mit
ihm/ ſonderbares vergnuͤgen bezeiget/ daß ſie auch dero abſchrifft ver-
langet/ welche zugekommen zu ſeyn nicht zweiffle. Es iſt freylich eine ſolche
materie, daran ein gottſeliges hertz nicht anderſt als eine hertzliche freude ſu-
chen kan; und daher auch dero betrachtung dieſelbe inniglich erquicken muß.
Denn alle wohlthaten GOTTes gehen endlich dahin/ und beſtehet unſere
gantze ſeligkeit in nichts anders/ als endlich in der vollkommenſten und ge-
naueſten vereinigung mit dem groſſen GOtt/ als dem einigen wahren und
hoͤchſten gut. Hiezu ſind wir erſchaffen/ und gab uns das anerſchaffene
bild damahl das recht/ einer genauen vereinigung mit GOtt/ die auch einen
vertraulichen umgang wuͤrde nach ſich gezogen haben. Hingegen beſtund das
groͤſte ungluͤck unſers falls darinn/ daß wir durch denſelben und den verluſt
jenes ebenbildes von GOtt getrennet worden/ und hingegen mit dem ſatan
wegen ſeiner angenommenen gleichheit mehr vereiniget zu werden angefan-
gen haben.

Daß uns alſo unſer Heiland nachmahl erloͤſet/ und uns ſein verdienſt
ſchencket/ und was der H. Geiſt in dem werck der heiligung an uns arbeitet/
hat alles zum letzten zweck/ wiederum mit GOtt vereiniget zu werden. Denn
obwohl die vergebung der ſuͤnden und neue gerechtigkeit JEſu Chriſti mit
von unſeren groſſen hauptguͤtern/ und wuͤrdig ſind/ mit zu unſerer ſeligkeit

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[190/0206] Das erſte Capitel. in ſchwaͤchung der verbindlichkeit (darum bleibt der mangel annoch ſuͤnde) ſondern in guͤtiger annehmung oder acceptation von ſeinen kindern des auch mangelhafften/ vermittels der vergebung. Hiedurch zweifle nicht/ daß al- len ſcrupeln begegnet werden koͤnne. Von der frage zu reden/ ob ein gott- loſer menſch durch unbedingtes und ungeſtuͤmes anhalten von Gott das gebetene im zorn erhalten koͤnne/ ſo bin gantz auch der meinung/ und iſt die ſache aus den angefuͤhrten und mit einander verglichenen orten 1. Sam. 8. Hoſ. 13/ Ap. Geſch. 13. gnug erweißlich. Ja es mag wol auch bey ſonſt frommen geſchehen/ wo ſie ſich durch ihre ungedult uͤbernehmen laſ- ſen/ und mit gewalt etwas von Gott erzwingen wollen/ daher der ihnen obli- genden demuth und kindlichen unterwerffung vergeſſen/ daß ihnen GOtt ſol- ches gebe/ aber zu einem ſchwehren leiden. Jch werde ſelbs einige mahl in meinen ſchrifften davon meldung gethan haben; kan aber dißmahl es nicht finden: doch ſihet dahin etwas in der leichpr. 2. theil p. 148. 149. 1691. SECTIO XXXIII. Von der vereinigung mit GOtt. ES hat mich erfreuet/ daß meine wertheſte frau uͤber die auff Pfingſten angehoͤrte predigt von der einwohnung GOttes und vereinigung mit ihm/ ſonderbares vergnuͤgen bezeiget/ daß ſie auch dero abſchrifft ver- langet/ welche zugekommen zu ſeyn nicht zweiffle. Es iſt freylich eine ſolche materie, daran ein gottſeliges hertz nicht anderſt als eine hertzliche freude ſu- chen kan; und daher auch dero betrachtung dieſelbe inniglich erquicken muß. Denn alle wohlthaten GOTTes gehen endlich dahin/ und beſtehet unſere gantze ſeligkeit in nichts anders/ als endlich in der vollkommenſten und ge- naueſten vereinigung mit dem groſſen GOtt/ als dem einigen wahren und hoͤchſten gut. Hiezu ſind wir erſchaffen/ und gab uns das anerſchaffene bild damahl das recht/ einer genauen vereinigung mit GOtt/ die auch einen vertraulichen umgang wuͤrde nach ſich gezogen haben. Hingegen beſtund das groͤſte ungluͤck unſers falls darinn/ daß wir durch denſelben und den verluſt jenes ebenbildes von GOtt getrennet worden/ und hingegen mit dem ſatan wegen ſeiner angenommenen gleichheit mehr vereiniget zu werden angefan- gen haben. Daß uns alſo unſer Heiland nachmahl erloͤſet/ und uns ſein verdienſt ſchencket/ und was der H. Geiſt in dem werck der heiligung an uns arbeitet/ hat alles zum letzten zweck/ wiederum mit GOtt vereiniget zu werden. Denn obwohl die vergebung der ſuͤnden und neue gerechtigkeit JEſu Chriſti mit von unſeren groſſen hauptguͤtern/ und wuͤrdig ſind/ mit zu unſerer ſeligkeit gerech-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/206>, abgerufen am 23.11.2024.