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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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SECTIO XXXIV.
nen wircken. 2. Der glaube ist auch nicht eigentlich das formale, sondern
einmahl/ wie er dasjenige ist aus dem wir wiedergebohren werden/ Joh. 1/
12. so kommt das geistliche leben vielmehr etlicher massen von ihm/ als daß
es in ihm bestünde: nechst dem weil er eines der vornehmsten kräfften des
geistlichen lebens ist/ so bestehet doch das gantze leben nicht in ihm/ ob er wol
zu dem gehöret/ worinnen es bestehet: und in dem verstande ists zu nehmen/
wo man zuweilen saget/ es sey der glaube als die seele des neuen menschen/ da-
mit aber nichts anders gemeinet wird/ als daß er gedachter massen/ eine der
vornehmsten kräfften derselben seye/ und andere zimlich aus ihm herentste-
hen. 3. Die gnade GOttes ist abermal nicht das formale, sondern gehö-
ret zu der wirckenden ursache/ dann wie wir aus der gnade GOttes wieder-
gebohren werden/ also kommt auch unser leben aus derselben her. Jedoch
wird man wol solche redens-arten finden/ daß die göttliche gnade unser leben
seye/ so aber nach dem eigentlichen verstand nichts anders sagen will/ als daß
wir alles unser leben von ihr als der haupt-ursache herhaben. Daher 4. wü-
ste ich das formale in nichts anders zu setzen/ als in der neuen art des in dem
menschen gebohrnen neuen menschen/ oder neuen göttlichen natur 2. Pet. 1/
4. welche art bestehet in einem göttlichen liecht einer lebendigen erkäntnüß Got-
tes/ und in der göttlichen krafft/ aus dero der wiedergebohrne nicht allein gu-
tes zu thun vermag/ sondern einen trieb dazu hat/ und dem göttlichen willen
gleichgesinnet ist. Diese art des neuen menschen achte ich das eigentliche for-
male
(wo wir je solches wort gebrauchen wollen/ so doch auch einige schweh-
rigkeiten hat) des geistlichen lebens zu seyn/ und fasset in sich alles dasjenige/
was von dem göttlichen bilde wiederum in dem menschen erneuert ist/ also
wird auch das leben immer stärcker nach dem maaß/ als der innere mensch
wächset und zunimmet. Also schreibet Paulus Col. 3/ 3. 4. seinen Colossern
ein leben zu/ das noch jetzt mit Christo in GOtt verborgen seye/ aber
wenn Christus unser leben (in gewissem verstande/ aber auch eben so wol
von demselben unterschieden) sich offenbahren werde/ auch mit ihm of-
fenbahret werden solle/
da mans jetzt nicht sehen kan. Darauff befieh-
let er v. 5. daß sie noch ferner ihre glieder/ welche noch auff erden seyn/ tödten
sollen/
damit sie recht gestorben seyn mögen/ welches schon angefangen hat-
te: solches redet er nachmals mit andern worten aus v. 9. sie solten den al-
ten menschen ausziehen/
wenn er denn ferner v. 10. befiehlet den neuen
menschen anzuziehen/ der da verneuert werde zu der erkäntnüß/
nach dem ebenbilde dessen/ der ihn geschaffen hat/
so bestehet die stär-
ckung des lebens in der fernern anziehung des neuen menschen/ wie die aus-
ziehung des alten menschen hingegen die fortsetzung des todes der sünden ist.

Also
B b

SECTIO XXXIV.
nen wircken. 2. Der glaube iſt auch nicht eigentlich das formale, ſondern
einmahl/ wie er dasjenige iſt aus dem wir wiedergebohren werden/ Joh. 1/
12. ſo kommt das geiſtliche leben vielmehr etlicher maſſen von ihm/ als daß
es in ihm beſtuͤnde: nechſt dem weil er eines der vornehmſten kraͤfften des
geiſtlichen lebens iſt/ ſo beſtehet doch das gantze leben nicht in ihm/ ob er wol
zu dem gehoͤret/ worinnen es beſtehet: und in dem verſtande iſts zu nehmen/
wo man zuweilen ſaget/ es ſey der glaube als die ſeele des neuen menſchen/ da-
mit aber nichts anders gemeinet wird/ als daß er gedachter maſſen/ eine der
vornehmſten kraͤfften derſelben ſeye/ und andere zimlich aus ihm herentſte-
hen. 3. Die gnade GOttes iſt abermal nicht das formale, ſondern gehoͤ-
ret zu der wirckenden urſache/ dann wie wir aus der gnade GOttes wieder-
gebohren werden/ alſo kommt auch unſer leben aus derſelben her. Jedoch
wird man wol ſolche redens-arten finden/ daß die goͤttliche gnade unſer leben
ſeye/ ſo aber nach dem eigentlichen verſtand nichts anders ſagen will/ als daß
wir alles unſer leben von ihr als der haupt-urſache herhaben. Daher 4. wuͤ-
ſte ich das formale in nichts anders zu ſetzen/ als in der neuen art des in dem
menſchen gebohrnen neuen menſchen/ oder neuen goͤttlichen natur 2. Pet. 1/
4. welche aꝛt beſtehet in einem goͤttlichẽ liecht eineꝛ lebendigen erkaͤntnuͤß Got-
tes/ und in der goͤttlichen krafft/ aus dero der wiedergebohrne nicht allein gu-
tes zu thun vermag/ ſondern einen trieb dazu hat/ und dem goͤttlichen willen
gleichgeſinnet iſt. Dieſe art des neuen menſchen achte ich das eigentliche for-
male
(wo wir je ſolches wort gebrauchen wollen/ ſo doch auch einige ſchweh-
rigkeiten hat) des geiſtlichen lebens zu ſeyn/ und faſſet in ſich alles dasjenige/
was von dem goͤttlichen bilde wiederum in dem menſchen erneuert iſt/ alſo
wird auch das leben immer ſtaͤrcker nach dem maaß/ als der innere menſch
waͤchſet und zunimmet. Alſo ſchreibet Paulus Col. 3/ 3. 4. ſeinen Coloſſern
ein leben zu/ das noch jetzt mit Chriſto in GOtt verborgen ſeye/ aber
wenn Chriſtus unſer leben (in gewiſſem verſtande/ aber auch eben ſo wol
von demſelben unterſchieden) ſich offenbahren werde/ auch mit ihm of-
fenbahret werden ſolle/
da mans jetzt nicht ſehen kan. Darauff befieh-
let er v. 5. daß ſie noch ferner ihre glieder/ welche noch auff erden ſeyn/ toͤdten
ſollen/
damit ſie recht geſtorben ſeyn moͤgen/ welches ſchon angefangen hat-
te: ſolches redet er nachmals mit andern worten aus v. 9. ſie ſolten den al-
ten menſchen ausziehen/
wenn er denn ferner v. 10. befiehlet den neuen
menſchen anzuziehen/ der da verneuert werde zu der erkaͤntnuͤß/
nach dem ebenbilde deſſen/ der ihn geſchaffen hat/
ſo beſtehet die ſtaͤr-
ckung des lebens in der fernern anziehung des neuen menſchen/ wie die aus-
ziehung des alten menſchen hingegen die fortſetzung des todes der ſuͤnden iſt.

Alſo
B b
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[193/0209] SECTIO XXXIV. nen wircken. 2. Der glaube iſt auch nicht eigentlich das formale, ſondern einmahl/ wie er dasjenige iſt aus dem wir wiedergebohren werden/ Joh. 1/ 12. ſo kommt das geiſtliche leben vielmehr etlicher maſſen von ihm/ als daß es in ihm beſtuͤnde: nechſt dem weil er eines der vornehmſten kraͤfften des geiſtlichen lebens iſt/ ſo beſtehet doch das gantze leben nicht in ihm/ ob er wol zu dem gehoͤret/ worinnen es beſtehet: und in dem verſtande iſts zu nehmen/ wo man zuweilen ſaget/ es ſey der glaube als die ſeele des neuen menſchen/ da- mit aber nichts anders gemeinet wird/ als daß er gedachter maſſen/ eine der vornehmſten kraͤfften derſelben ſeye/ und andere zimlich aus ihm herentſte- hen. 3. Die gnade GOttes iſt abermal nicht das formale, ſondern gehoͤ- ret zu der wirckenden urſache/ dann wie wir aus der gnade GOttes wieder- gebohren werden/ alſo kommt auch unſer leben aus derſelben her. Jedoch wird man wol ſolche redens-arten finden/ daß die goͤttliche gnade unſer leben ſeye/ ſo aber nach dem eigentlichen verſtand nichts anders ſagen will/ als daß wir alles unſer leben von ihr als der haupt-urſache herhaben. Daher 4. wuͤ- ſte ich das formale in nichts anders zu ſetzen/ als in der neuen art des in dem menſchen gebohrnen neuen menſchen/ oder neuen goͤttlichen natur 2. Pet. 1/ 4. welche aꝛt beſtehet in einem goͤttlichẽ liecht eineꝛ lebendigen erkaͤntnuͤß Got- tes/ und in der goͤttlichen krafft/ aus dero der wiedergebohrne nicht allein gu- tes zu thun vermag/ ſondern einen trieb dazu hat/ und dem goͤttlichen willen gleichgeſinnet iſt. Dieſe art des neuen menſchen achte ich das eigentliche for- male (wo wir je ſolches wort gebrauchen wollen/ ſo doch auch einige ſchweh- rigkeiten hat) des geiſtlichen lebens zu ſeyn/ und faſſet in ſich alles dasjenige/ was von dem goͤttlichen bilde wiederum in dem menſchen erneuert iſt/ alſo wird auch das leben immer ſtaͤrcker nach dem maaß/ als der innere menſch waͤchſet und zunimmet. Alſo ſchreibet Paulus Col. 3/ 3. 4. ſeinen Coloſſern ein leben zu/ das noch jetzt mit Chriſto in GOtt verborgen ſeye/ aber wenn Chriſtus unſer leben (in gewiſſem verſtande/ aber auch eben ſo wol von demſelben unterſchieden) ſich offenbahren werde/ auch mit ihm of- fenbahret werden ſolle/ da mans jetzt nicht ſehen kan. Darauff befieh- let er v. 5. daß ſie noch ferner ihre glieder/ welche noch auff erden ſeyn/ toͤdten ſollen/ damit ſie recht geſtorben ſeyn moͤgen/ welches ſchon angefangen hat- te: ſolches redet er nachmals mit andern worten aus v. 9. ſie ſolten den al- ten menſchen ausziehen/ wenn er denn ferner v. 10. befiehlet den neuen menſchen anzuziehen/ der da verneuert werde zu der erkaͤntnuͤß/ nach dem ebenbilde deſſen/ der ihn geſchaffen hat/ ſo beſtehet die ſtaͤr- ckung des lebens in der fernern anziehung des neuen menſchen/ wie die aus- ziehung des alten menſchen hingegen die fortſetzung des todes der ſuͤnden iſt. Alſo B b

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/209>, abgerufen am 23.11.2024.