Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

Bild:
<< vorherige Seite

Das erste Capitel.
Also kan das geistliche leben nichts anders seyn/ als die art des neuen men-
schen oder der neuen creatur/ mit allen dero kräfften/ daraus nachmals die le-
bendige wirckungen und das eusserliche leben der gläubigen folget. Auff
diese weise halte ich davor/ daß sich die sache leicht fassen lasse. Der HErr
aber stärcke solches geistliche leben selbs in uns allen/ und lasse es an uns von
uns selbs und andern stäts zu seinem preiß und unserer versicherung erkant
werden. 1692.

SECTIO XXXV.
Von der art der reue. Mißbrauch der absolution.
Nöthige vorsichtigkeit in thuung des guten.

Orthodoxie.

DAß aus deme aus N. N. geschriebenen hertzliches vergnügen geschöpffet/
habe bereits gemeldet. Mich hat sonderlich erfreuet/ daß der HErr
HErr nicht nur in ihm die von mir geliebte auffrichtige begierde ihm
treulich zu dienen erhalten/ sondern sie auch vermehret habe/ und nun der or-
ten/ wo er hinkommet/ so bald einige frucht bey andern daraus entstehen läs-
set: darüber ich seine güte hertzlich preise/ und auff solche erstlinge bald eine
reichere erndte zu erfolgen den himmlischen Vater anruffe. Das liebe zeugnüß
von Herrn Sempronio ist mir so viel angenehmer gewesen/ als bereits seine
auffrichtigkeit und rechtschaffenheit in dem Herrn mir von guter zeit aus eig-
nen seinen briefen und andrer Christl. seelen beglaubten zeugnüß bekant wor-
den war: daher die bekräfftigung desselben mir nicht anders als erfreulich
seyn können. Wo ich nun von solchen zeugnüssen höre/ muß ich mich zwahr
allezeit vor GOtt und in meiner seele demüthigen und schämen/ wenn ich se-
he/ da GOtt mich so viel eher beruffen/ und auff seinen weg gestellet hat/ daß
dennoch so weit zurücke bleibe/ und weder solche früchte zeigen kan/ noch bey
mir selbs gleichen fortgang fühle/ sondern mit so vielen innerlichen und eus-
serlichen hindernüssen (nicht allemal mit gleichem succeß) zu kämpffen habe:
dannoch versichere/ daß gleichwol solche zeugnüssen/ ob sie mich in mir beschä-
men/ dannoch mich auch inniglicher freuen/ wo ich sehe/ daß der HErr HErr/
was mir und mehrern meines gleichen mangelt/ an andern ersetze/ und seine
ehre durch so viel mehrere frucht an denselben (weil wir es nicht würdig sind)
verherrlichet werden lasse. Dann der HErr ist würdig gepriesen zu werden
in allem/ worinnen sein wille vollbracht/ und sein reich befordert wird/ es ge-
schehe durch uns/ denen er ein ansehen in der gemeinde gegeben/ oder zu un-
srer demüthigung durch andere: denn ob uns damit abgehet/ ists gnug/ daß
es der ehre GOttes zugehet/ dero wir und alles weichen sollen. So traue

gleich-

Das erſte Capitel.
Alſo kan das geiſtliche leben nichts anders ſeyn/ als die art des neuen men-
ſchen oder der neuen creatur/ mit allen dero kraͤfften/ daraus nachmals die le-
bendige wirckungen und das euſſerliche leben der glaͤubigen folget. Auff
dieſe weiſe halte ich davor/ daß ſich die ſache leicht faſſen laſſe. Der HErr
aber ſtaͤrcke ſolches geiſtliche leben ſelbs in uns allen/ und laſſe es an uns von
uns ſelbs und andern ſtaͤts zu ſeinem preiß und unſerer verſicherung erkant
werden. 1692.

SECTIO XXXV.
Von der art der reue. Mißbrauch der abſolution.
Noͤthige vorſichtigkeit in thuung des guten.

Orthodoxie.

DAß aus deme aus N. N. geſchriebenen hertzliches vergnuͤgen geſchoͤpffet/
habe bereits gemeldet. Mich hat ſonderlich erfreuet/ daß der HErr
HErr nicht nur in ihm die von mir geliebte auffrichtige begierde ihm
treulich zu dienen erhalten/ ſondern ſie auch vermehret habe/ und nun der or-
ten/ wo er hinkommet/ ſo bald einige frucht bey andern daraus entſtehen laͤſ-
ſet: daruͤber ich ſeine guͤte hertzlich preiſe/ und auff ſolche erſtlinge bald eine
reichere erndte zu erfolgen den himmliſchen Vater anruffe. Das liebe zeugnuͤß
von Herrn Sempronio iſt mir ſo viel angenehmer geweſen/ als bereits ſeine
auffrichtigkeit und rechtſchaffenheit in dem Herrn mir von guter zeit aus eig-
nen ſeinen briefen und andrer Chriſtl. ſeelen beglaubten zeugnuͤß bekant wor-
den war: daher die bekraͤfftigung deſſelben mir nicht anders als erfreulich
ſeyn koͤnnen. Wo ich nun von ſolchen zeugnuͤſſen hoͤre/ muß ich mich zwahr
allezeit vor GOtt und in meiner ſeele demuͤthigen und ſchaͤmen/ wenn ich ſe-
he/ da GOtt mich ſo viel eher beruffen/ und auff ſeinen weg geſtellet hat/ daß
dennoch ſo weit zuruͤcke bleibe/ und weder ſolche fruͤchte zeigen kan/ noch bey
mir ſelbs gleichen fortgang fuͤhle/ ſondern mit ſo vielen innerlichen und euſ-
ſerlichen hindernuͤſſen (nicht allemal mit gleichem ſucceß) zu kaͤmpffen habe:
dannoch verſichere/ daß gleichwol ſolche zeugnuͤſſen/ ob ſie mich in mir beſchaͤ-
men/ dannoch mich auch inniglicher freuen/ wo ich ſehe/ daß der HErr HErr/
was mir und mehrern meines gleichen mangelt/ an andern erſetze/ und ſeine
ehre durch ſo viel mehrere frucht an denſelben (weil wir es nicht wuͤrdig ſind)
verherrlichet werden laſſe. Dann der HErr iſt wuͤrdig geprieſen zu werden
in allem/ worinnen ſein wille vollbracht/ und ſein reich befordert wird/ es ge-
ſchehe durch uns/ denen er ein anſehen in der gemeinde gegeben/ oder zu un-
ſrer demuͤthigung durch andere: denn ob uns damit abgehet/ iſts gnug/ daß
es der ehre GOttes zugehet/ dero wir und alles weichen ſollen. So traue

gleich-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0210" n="194"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Das er&#x017F;te Capitel.</hi></fw><lb/>
Al&#x017F;o kan das gei&#x017F;tliche leben nichts anders &#x017F;eyn/ als die art des neuen men-<lb/>
&#x017F;chen oder der neuen creatur/ mit allen dero kra&#x0364;fften/ daraus nachmals die le-<lb/>
bendige wirckungen und das eu&#x017F;&#x017F;erliche leben der gla&#x0364;ubigen folget. Auff<lb/>
die&#x017F;e wei&#x017F;e halte ich davor/ daß &#x017F;ich die &#x017F;ache leicht fa&#x017F;&#x017F;en la&#x017F;&#x017F;e. Der HErr<lb/>
aber &#x017F;ta&#x0364;rcke &#x017F;olches gei&#x017F;tliche leben &#x017F;elbs in uns allen/ und la&#x017F;&#x017F;e es an uns von<lb/>
uns &#x017F;elbs und andern &#x017F;ta&#x0364;ts zu &#x017F;einem preiß und un&#x017F;erer ver&#x017F;icherung erkant<lb/>
werden. 1692.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">SECTIO XXXV.</hi></hi><lb/>
Von der art der reue. Mißbrauch der <hi rendition="#aq">ab&#x017F;olution.</hi><lb/>
No&#x0364;thige vor&#x017F;ichtigkeit in thuung des guten.</hi><lb/> <hi rendition="#aq">Orthodoxie.</hi> </head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">D</hi>Aß aus deme aus <hi rendition="#aq">N. N.</hi> ge&#x017F;chriebenen hertzliches vergnu&#x0364;gen ge&#x017F;cho&#x0364;pffet/<lb/>
habe bereits gemeldet. Mich hat &#x017F;onderlich erfreuet/ daß der HErr<lb/>
HErr nicht nur in ihm die von mir geliebte auffrichtige begierde ihm<lb/>
treulich zu dienen erhalten/ &#x017F;ondern &#x017F;ie auch vermehret habe/ und nun der or-<lb/>
ten/ wo er hinkommet/ &#x017F;o bald einige frucht bey andern daraus ent&#x017F;tehen la&#x0364;&#x017F;-<lb/>
&#x017F;et: daru&#x0364;ber ich &#x017F;eine gu&#x0364;te hertzlich prei&#x017F;e/ und auff &#x017F;olche er&#x017F;tlinge bald eine<lb/>
reichere erndte zu erfolgen den himmli&#x017F;chen Vater anruffe. Das liebe zeugnu&#x0364;ß<lb/>
von Herrn <hi rendition="#aq">Sempronio</hi> i&#x017F;t mir &#x017F;o viel angenehmer gewe&#x017F;en/ als bereits &#x017F;eine<lb/>
auffrichtigkeit und recht&#x017F;chaffenheit in dem Herrn mir von guter zeit aus eig-<lb/>
nen &#x017F;einen briefen und andrer Chri&#x017F;tl. &#x017F;eelen beglaubten zeugnu&#x0364;ß bekant wor-<lb/>
den war: daher die bekra&#x0364;fftigung de&#x017F;&#x017F;elben mir nicht anders als erfreulich<lb/>
&#x017F;eyn ko&#x0364;nnen. Wo ich nun von &#x017F;olchen zeugnu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en ho&#x0364;re/ muß ich mich zwahr<lb/>
allezeit vor GOtt und in meiner &#x017F;eele demu&#x0364;thigen und &#x017F;cha&#x0364;men/ wenn ich &#x017F;e-<lb/>
he/ da GOtt mich &#x017F;o viel eher beruffen/ und auff &#x017F;einen weg ge&#x017F;tellet hat/ daß<lb/>
dennoch &#x017F;o weit zuru&#x0364;cke bleibe/ und weder &#x017F;olche fru&#x0364;chte zeigen kan/ noch bey<lb/>
mir &#x017F;elbs gleichen fortgang fu&#x0364;hle/ &#x017F;ondern mit &#x017F;o vielen innerlichen und eu&#x017F;-<lb/>
&#x017F;erlichen hindernu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en (nicht allemal mit gleichem <hi rendition="#aq">&#x017F;ucceß</hi>) zu ka&#x0364;mpffen habe:<lb/>
dannoch ver&#x017F;ichere/ daß gleichwol &#x017F;olche zeugnu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en/ ob &#x017F;ie mich in mir be&#x017F;cha&#x0364;-<lb/>
men/ dannoch mich auch inniglicher freuen/ wo ich &#x017F;ehe/ daß der HErr HErr/<lb/>
was mir und mehrern meines gleichen mangelt/ an andern er&#x017F;etze/ und &#x017F;eine<lb/>
ehre durch &#x017F;o viel mehrere frucht an den&#x017F;elben (weil wir es nicht wu&#x0364;rdig &#x017F;ind)<lb/>
verherrlichet werden la&#x017F;&#x017F;e. Dann der HErr i&#x017F;t wu&#x0364;rdig geprie&#x017F;en zu werden<lb/>
in allem/ worinnen &#x017F;ein wille vollbracht/ und &#x017F;ein reich befordert wird/ es ge-<lb/>
&#x017F;chehe durch uns/ denen er ein an&#x017F;ehen in der gemeinde gegeben/ oder zu un-<lb/>
&#x017F;rer demu&#x0364;thigung durch andere: denn ob uns damit abgehet/ i&#x017F;ts gnug/ daß<lb/>
es der ehre GOttes zugehet/ dero wir und alles weichen &#x017F;ollen. So traue<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">gleich-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[194/0210] Das erſte Capitel. Alſo kan das geiſtliche leben nichts anders ſeyn/ als die art des neuen men- ſchen oder der neuen creatur/ mit allen dero kraͤfften/ daraus nachmals die le- bendige wirckungen und das euſſerliche leben der glaͤubigen folget. Auff dieſe weiſe halte ich davor/ daß ſich die ſache leicht faſſen laſſe. Der HErr aber ſtaͤrcke ſolches geiſtliche leben ſelbs in uns allen/ und laſſe es an uns von uns ſelbs und andern ſtaͤts zu ſeinem preiß und unſerer verſicherung erkant werden. 1692. SECTIO XXXV. Von der art der reue. Mißbrauch der abſolution. Noͤthige vorſichtigkeit in thuung des guten. Orthodoxie. DAß aus deme aus N. N. geſchriebenen hertzliches vergnuͤgen geſchoͤpffet/ habe bereits gemeldet. Mich hat ſonderlich erfreuet/ daß der HErr HErr nicht nur in ihm die von mir geliebte auffrichtige begierde ihm treulich zu dienen erhalten/ ſondern ſie auch vermehret habe/ und nun der or- ten/ wo er hinkommet/ ſo bald einige frucht bey andern daraus entſtehen laͤſ- ſet: daruͤber ich ſeine guͤte hertzlich preiſe/ und auff ſolche erſtlinge bald eine reichere erndte zu erfolgen den himmliſchen Vater anruffe. Das liebe zeugnuͤß von Herrn Sempronio iſt mir ſo viel angenehmer geweſen/ als bereits ſeine auffrichtigkeit und rechtſchaffenheit in dem Herrn mir von guter zeit aus eig- nen ſeinen briefen und andrer Chriſtl. ſeelen beglaubten zeugnuͤß bekant wor- den war: daher die bekraͤfftigung deſſelben mir nicht anders als erfreulich ſeyn koͤnnen. Wo ich nun von ſolchen zeugnuͤſſen hoͤre/ muß ich mich zwahr allezeit vor GOtt und in meiner ſeele demuͤthigen und ſchaͤmen/ wenn ich ſe- he/ da GOtt mich ſo viel eher beruffen/ und auff ſeinen weg geſtellet hat/ daß dennoch ſo weit zuruͤcke bleibe/ und weder ſolche fruͤchte zeigen kan/ noch bey mir ſelbs gleichen fortgang fuͤhle/ ſondern mit ſo vielen innerlichen und euſ- ſerlichen hindernuͤſſen (nicht allemal mit gleichem ſucceß) zu kaͤmpffen habe: dannoch verſichere/ daß gleichwol ſolche zeugnuͤſſen/ ob ſie mich in mir beſchaͤ- men/ dannoch mich auch inniglicher freuen/ wo ich ſehe/ daß der HErr HErr/ was mir und mehrern meines gleichen mangelt/ an andern erſetze/ und ſeine ehre durch ſo viel mehrere frucht an denſelben (weil wir es nicht wuͤrdig ſind) verherrlichet werden laſſe. Dann der HErr iſt wuͤrdig geprieſen zu werden in allem/ worinnen ſein wille vollbracht/ und ſein reich befordert wird/ es ge- ſchehe durch uns/ denen er ein anſehen in der gemeinde gegeben/ oder zu un- ſrer demuͤthigung durch andere: denn ob uns damit abgehet/ iſts gnug/ daß es der ehre GOttes zugehet/ dero wir und alles weichen ſollen. So traue gleich-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/210
Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/210>, abgerufen am 23.11.2024.