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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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Das erste Capitel.
schehen läßt/ dessen gegentheil wir so angegenlich gewolt/ und hingegen das-
selbe selbs/ ohne biß es der HErr gethan/ zu wollen nimmer hätten resolvi-
ren/ oder uns dazu überwinden können. Da nun solcher unser feind ohn un-
ser zuthun von dem HErrn selbs einen solchen kräfftigen streich empfangen/
so wird ihm seine krafft dermassen gebrochen/ daß ein andermal wir auch selbs
so viel eher mit ihm fertig werden/ und ihn überwinden können. Worinnen
ein grosser nutzen stecket/ als wir gedencken möchten/ daß es also auch recht
hievon heissen mag/ wo unser eusserlicher mensch/ auch durch dergleichen
leiden des gemüths und betrübnüß/ verweset/ so wird der innere von
tag zu tag erneuert.
Welches ein nicht geringer nutzen ist/ wo wir eine
jegliche sache nicht so wohl nach menschlichem gefühl als der wahrheit urthei-
len. Sonderlich wird/ welches mein hochgeehrt. Herr wohl bemercket/ durch
diese verbitterung uns die welt sehr verleidet/ und also die erkäntnüß der eitel-
keit sehr tieff in das hertz gedruckt/ der dieses hin dadurch tüchtiger gemachet/
den göttlichen trost/ der nur die leere seelen vornemlich erfüllet/ in sich zu fas-
sen/ und etwa die bewegungen zu fühlen/ dazu wir sonst nicht allemahl fähig
sind. Ein grosses thut auch zu der beruhigung und erkäntnüß der gütigkeit
des göttlichen willens/ daß wir aus der göttlichen gegen uns erkanten liebe
vergewissert seyn/ er nehme uns niemahlen etwas weg/ so er nicht alsobalden
entweder auff eine andere art durch andere uns wieder ersetze/ oder dasjenige
uns unmittelbar zu werden anfange/ was wir vorhin verlangt haben/ daß
er uns durch diejenige/ welche er uns entrissen werden lassen/ länger hätte
sein und dieselbe uns lassen mögen. Ob wir auch wohl die arten/ wie es diß
oder jenes mahl geschehen möchte/ nicht zeigen können/ so bleibet doch sein
ruhm/ daß er auch in diesen mehr vermöge/ als wir bitten und verstehen.
Eph. 3. Es lässet sich aber nicht alles dieses in der enge eines briefs zusam-
men fassen: auch bedarff mein theurer bruder nicht davon erst unterrichtet zu
werden. Genug ists/ ob durch diesen vorschlag den göttlichen willen zu er-
wegen derselbe zu eigener betrachtung einer solchen anfangs zwahr herb/ a-
ber nach besserem kosten angenehmsten materie auffgemuntert würde/ in de-
roselben durch göttliche gnaden-wirckung die krafft des trostes zu schmecken/
welchen kein mensch dem andern geben kan. Er versuche es selbs/ und nechst
hertzlichem gebet lasse er seine seele hinunter in diese tieffe des väterlichen wil-
lens/ so wird gewißlich alle gewalt der traurigkeit gebrochen/ ja dieselbe
endlich in einem vergnüglichen trost verwandelt werden. Wir wissen auch/
daß der HErr uns nicht zu jener (der traurigkeit) sondern zu diesem/ dem
trost beruffen hat/ jene aber nur eben deßwegen über uns verhänget/ damit zu
diesem platz gemachet werde. Da sonsten die traurigkeit selbs und deroselben

nach-

Das erſte Capitel.
ſchehen laͤßt/ deſſen gegentheil wir ſo angegenlich gewolt/ und hingegen daſ-
ſelbe ſelbs/ ohne biß es der HErr gethan/ zu wollen nimmer haͤtten reſolvi-
ren/ oder uns dazu uͤberwinden koͤnnen. Da nun ſolcher unſer feind ohn un-
ſer zuthun von dem HErrn ſelbs einen ſolchen kraͤfftigen ſtreich empfangen/
ſo wird ihm ſeine krafft dermaſſen gebrochen/ daß ein andermal wir auch ſelbs
ſo viel eher mit ihm fertig werden/ und ihn uͤberwinden koͤnnen. Worinnen
ein groſſer nutzen ſtecket/ als wir gedencken moͤchten/ daß es alſo auch recht
hievon heiſſen mag/ wo unſer euſſerlicher menſch/ auch durch dergleichen
leiden des gemuͤths und betruͤbnuͤß/ verweſet/ ſo wird der innere von
tag zu tag erneuert.
Welches ein nicht geringer nutzen iſt/ wo wir eine
jegliche ſache nicht ſo wohl nach menſchlichem gefuͤhl als der wahrheit urthei-
len. Sonderlich wird/ welches mein hochgeehrt. Herr wohl bemercket/ durch
dieſe verbitterung uns die welt ſehr verleidet/ uñ alſo die erkaͤntnuͤß der eitel-
keit ſehr tieff in das hertz gedruckt/ der dieſes hin dadurch tuͤchtiger gemachet/
den goͤttlichen troſt/ der nur die leere ſeelen vornemlich erfuͤllet/ in ſich zu faſ-
ſen/ und etwa die bewegungen zu fuͤhlen/ dazu wir ſonſt nicht allemahl faͤhig
ſind. Ein groſſes thut auch zu der beruhigung und erkaͤntnuͤß der guͤtigkeit
des goͤttlichen willens/ daß wir aus der goͤttlichen gegen uns erkanten liebe
vergewiſſert ſeyn/ er nehme uns niemahlen etwas weg/ ſo er nicht alſobalden
entweder auff eine andere art durch andere uns wieder erſetze/ oder dasjenige
uns unmittelbar zu werden anfange/ was wir vorhin verlangt haben/ daß
er uns durch diejenige/ welche er uns entriſſen werden laſſen/ laͤnger haͤtte
ſein und dieſelbe uns laſſen moͤgen. Ob wir auch wohl die arten/ wie es diß
oder jenes mahl geſchehen moͤchte/ nicht zeigen koͤnnen/ ſo bleibet doch ſein
ruhm/ daß er auch in dieſen mehr vermoͤge/ als wir bitten und verſtehen.
Eph. 3. Es laͤſſet ſich aber nicht alles dieſes in der enge eines briefs zuſam-
men faſſen: auch bedarff mein theurer bruder nicht davon erſt unterrichtet zu
werden. Genug iſts/ ob durch dieſen vorſchlag den goͤttlichen willen zu er-
wegen derſelbe zu eigener betrachtung einer ſolchen anfangs zwahr herb/ a-
ber nach beſſerem koſten angenehmſten materie auffgemuntert wuͤrde/ in de-
roſelben durch goͤttliche gnaden-wirckung die krafft des troſtes zu ſchmecken/
welchen kein menſch dem andern geben kan. Er verſuche es ſelbs/ und nechſt
hertzlichem gebet laſſe er ſeine ſeele hinunter in dieſe tieffe des vaͤterlichen wil-
lens/ ſo wird gewißlich alle gewalt der traurigkeit gebrochen/ ja dieſelbe
endlich in einem vergnuͤglichen troſt verwandelt werden. Wir wiſſen auch/
daß der HErr uns nicht zu jener (der traurigkeit) ſondern zu dieſem/ dem
troſt beruffen hat/ jene aber nur eben deßwegen uͤber uns verhaͤnget/ damit zu
dieſem platz gemachet werde. Da ſonſten die traurigkeit ſelbs und deroſelben

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[242/0258] Das erſte Capitel. ſchehen laͤßt/ deſſen gegentheil wir ſo angegenlich gewolt/ und hingegen daſ- ſelbe ſelbs/ ohne biß es der HErr gethan/ zu wollen nimmer haͤtten reſolvi- ren/ oder uns dazu uͤberwinden koͤnnen. Da nun ſolcher unſer feind ohn un- ſer zuthun von dem HErrn ſelbs einen ſolchen kraͤfftigen ſtreich empfangen/ ſo wird ihm ſeine krafft dermaſſen gebrochen/ daß ein andermal wir auch ſelbs ſo viel eher mit ihm fertig werden/ und ihn uͤberwinden koͤnnen. Worinnen ein groſſer nutzen ſtecket/ als wir gedencken moͤchten/ daß es alſo auch recht hievon heiſſen mag/ wo unſer euſſerlicher menſch/ auch durch dergleichen leiden des gemuͤths und betruͤbnuͤß/ verweſet/ ſo wird der innere von tag zu tag erneuert. Welches ein nicht geringer nutzen iſt/ wo wir eine jegliche ſache nicht ſo wohl nach menſchlichem gefuͤhl als der wahrheit urthei- len. Sonderlich wird/ welches mein hochgeehrt. Herr wohl bemercket/ durch dieſe verbitterung uns die welt ſehr verleidet/ uñ alſo die erkaͤntnuͤß der eitel- keit ſehr tieff in das hertz gedruckt/ der dieſes hin dadurch tuͤchtiger gemachet/ den goͤttlichen troſt/ der nur die leere ſeelen vornemlich erfuͤllet/ in ſich zu faſ- ſen/ und etwa die bewegungen zu fuͤhlen/ dazu wir ſonſt nicht allemahl faͤhig ſind. Ein groſſes thut auch zu der beruhigung und erkaͤntnuͤß der guͤtigkeit des goͤttlichen willens/ daß wir aus der goͤttlichen gegen uns erkanten liebe vergewiſſert ſeyn/ er nehme uns niemahlen etwas weg/ ſo er nicht alſobalden entweder auff eine andere art durch andere uns wieder erſetze/ oder dasjenige uns unmittelbar zu werden anfange/ was wir vorhin verlangt haben/ daß er uns durch diejenige/ welche er uns entriſſen werden laſſen/ laͤnger haͤtte ſein und dieſelbe uns laſſen moͤgen. Ob wir auch wohl die arten/ wie es diß oder jenes mahl geſchehen moͤchte/ nicht zeigen koͤnnen/ ſo bleibet doch ſein ruhm/ daß er auch in dieſen mehr vermoͤge/ als wir bitten und verſtehen. Eph. 3. Es laͤſſet ſich aber nicht alles dieſes in der enge eines briefs zuſam- men faſſen: auch bedarff mein theurer bruder nicht davon erſt unterrichtet zu werden. Genug iſts/ ob durch dieſen vorſchlag den goͤttlichen willen zu er- wegen derſelbe zu eigener betrachtung einer ſolchen anfangs zwahr herb/ a- ber nach beſſerem koſten angenehmſten materie auffgemuntert wuͤrde/ in de- roſelben durch goͤttliche gnaden-wirckung die krafft des troſtes zu ſchmecken/ welchen kein menſch dem andern geben kan. Er verſuche es ſelbs/ und nechſt hertzlichem gebet laſſe er ſeine ſeele hinunter in dieſe tieffe des vaͤterlichen wil- lens/ ſo wird gewißlich alle gewalt der traurigkeit gebrochen/ ja dieſelbe endlich in einem vergnuͤglichen troſt verwandelt werden. Wir wiſſen auch/ daß der HErr uns nicht zu jener (der traurigkeit) ſondern zu dieſem/ dem troſt beruffen hat/ jene aber nur eben deßwegen uͤber uns verhaͤnget/ damit zu dieſem platz gemachet werde. Da ſonſten die traurigkeit ſelbs und deroſelben nach-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/258>, abgerufen am 22.11.2024.