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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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Das erste Capitel.
voller blätter gewesen/ da vielleicht die andre daherum keine blätter noch
nicht gehabt/ indem es erst zeit gewesen/ daß sie ausschlügen. Daher etwas
sonderbahres davon zu hoffen gewest. 2. Daß bey den Juden auch feigen-
bäume gewesen/ dero feigen/ so aber der besten art gewesen/ allererst in dem
dritten jahr/ von einer andern erst in zwey jahren reiff worden sind/ daher an
denselben stets blätter und feigen sich zugleich fanden/ oder sich finden kun-
ten/ wes wegen auch dieser baum noch von dem vorigen jahr blätter hatte. 3.
Daß deßwegen/ weil dieser baum von dem vorigen jahr noch blätter hatte/
vernünfftig vermuthet werden kunte/ daß er noch von demselben feigen ha-
ben würde/ ob wol an den gemeinen feigenbäumen der natur nach noch keine
feigen von solchem jahr zuvermuthen waren. 4. Jndessen findet der HErr
keine feigen daran/ und ist also vermuthlich der baum allzeit unfruchtbar ge-
west/ daher des fluchs würdig (sihe Luc. 13/ 7. Hebr. 6/ 8.) wie ihn der
HErr auch würcklich verflucht. 5. Jndessen zeigt Christus auch dieses stück
seiner erniedrigung an/ daß nemlich/ ob er wol der allwissende GOtt/ und al-
so auch seiner menschheit die allwissenheit wahrhafftig mit getheilet gewesen
war/ er gleich wol um unsert willen/ sich wahrhafftig auch des stäten gebrauchs
derselben geäussert/ nach Phil. 2/ 7. daß er diesesmal nicht gewußt/ daß dieser
feigenbaum keine feigen hätte/ sondern sie an demselben aus ansehung der
blätter vermuthet/ wie er auch austrücklich von sich sagt/ daß er auch den tag
des gerichts Marc. 13/ v. 32. nicht wüßte/ da er dennoch gedachter massen
die allwissenheit empfangen hatte/ aber sich derselbigen begeben/ damit weil
Adam und Eva nach göttlicher gleichheit/ und also auch der allwissenheit/
mit unrecht gestanden/ unser bürge hingegen also davor büssete/ daß er den
gebrauch solcher herrlichkeit auch eine weil ablegete/ und seinen brüdern nicht
weniger in dieser schwachheit gleich würde. Hebr. 2/ 17. 18. 4/ 15. Daher
auch solche vor uns angenommene unwissenheit/ als ein stück seiner erniedri-
gung/ mit zu dem vor uns bezahlten lösegeld und trost gehöret/ und von uns
mit heiliger verwunderung und danck anzusehen ist. Neben dem allen stack
gleichwol noch ein sonderbahres geheimnüß darinnen/ daß der feigenbaum das
bild wäre der Jüdischen Kirche/ welche vor allen andern bäumen schöne blät-
ter hatte/ und billig früchte an sich haben sollte: Da aber sie keine reiffe früch-
te trug/ und der HErr dieselbe mehrmals vergebens an ihr gesucht hatte.
Luc. 13/ 6. so kommts endlich auff den erschrecklichen fluch über sie/ der sie
noch heut zutage trücket/ und wir uns so wohl nach Pauli erinnerung/ Röm.
11/ 20. u. f. an ihrem gericht spiegeln/ als beten sollen/ daß der HErr nach sei-
ner verheissung sich seines volcks wieder annehmen/ und den vorigen fluch/
nachdem die zeit des gerichts aus seyn wird/ in segen verwandeln wolle. A-
men. 1688.

SECTIO

Das erſte Capitel.
voller blaͤtter geweſen/ da vielleicht die andre daherum keine blaͤtter noch
nicht gehabt/ indem es erſt zeit geweſen/ daß ſie ausſchluͤgen. Daher etwas
ſonderbahres davon zu hoffen geweſt. 2. Daß bey den Juden auch feigen-
baͤume geweſen/ dero feigen/ ſo aber der beſten art geweſen/ allererſt in dem
dritten jahr/ von einer andern erſt in zwey jahren reiff worden ſind/ daher an
denſelben ſtets blaͤtter und feigen ſich zugleich fanden/ oder ſich finden kun-
ten/ wes wegen auch dieſer baum noch von dem vorigen jahr blaͤtter hatte. 3.
Daß deßwegen/ weil dieſer baum von dem vorigen jahr noch blaͤtter hatte/
vernuͤnfftig vermuthet werden kunte/ daß er noch von demſelben feigen ha-
ben wuͤrde/ ob wol an den gemeinen feigenbaͤumen der natur nach noch keine
feigen von ſolchem jahr zuvermuthen waren. 4. Jndeſſen findet der HErr
keine feigen daran/ und iſt alſo vermuthlich der baum allzeit unfruchtbar ge-
weſt/ daher des fluchs wuͤrdig (ſihe Luc. 13/ 7. Hebr. 6/ 8.) wie ihn der
HErr auch wuͤrcklich verflucht. 5. Jndeſſen zeigt Chriſtus auch dieſes ſtuͤck
ſeiner erniedrigung an/ daß nemlich/ ob er wol der allwiſſende GOtt/ und al-
ſo auch ſeiner menſchheit die allwiſſenheit wahrhafftig mit getheilet geweſen
war/ er gleich wol um unſert willẽ/ ſich wahrhafftig auch des ſtaͤten gebrauchs
derſelben geaͤuſſert/ nach Phil. 2/ 7. daß er dieſesmal nicht gewußt/ daß dieſer
feigenbaum keine feigen haͤtte/ ſondern ſie an demſelben aus anſehung der
blaͤtter vermuthet/ wie er auch austruͤcklich von ſich ſagt/ daß er auch den tag
des gerichts Marc. 13/ v. 32. nicht wuͤßte/ da er dennoch gedachter maſſen
die allwiſſenheit empfangen hatte/ aber ſich derſelbigen begeben/ damit weil
Adam und Eva nach goͤttlicher gleichheit/ und alſo auch der allwiſſenheit/
mit unrecht geſtanden/ unſer buͤrge hingegen alſo davor buͤſſete/ daß er den
gebrauch ſolcher herrlichkeit auch eine weil ablegete/ und ſeinen bruͤdern nicht
weniger in dieſer ſchwachheit gleich wuͤrde. Hebr. 2/ 17. 18. 4/ 15. Daher
auch ſolche vor uns angenommene unwiſſenheit/ als ein ſtuͤck ſeiner erniedri-
gung/ mit zu dem vor uns bezahlten loͤſegeld und troſt gehoͤret/ und von uns
mit heiliger verwunderung und danck anzuſehen iſt. Neben dem allen ſtack
gleichwol noch ein ſonderbahres geheimnuͤß darin̄en/ daß der feigenbaum das
bild waͤre der Juͤdiſchen Kirche/ welche vor allen andern baͤumen ſchoͤne blaͤt-
ter hatte/ und billig fruͤchte an ſich haben ſollte: Da aber ſie keine reiffe fruͤch-
te trug/ und der HErr dieſelbe mehrmals vergebens an ihr geſucht hatte.
Luc. 13/ 6. ſo kommts endlich auff den erſchrecklichen fluch uͤber ſie/ der ſie
noch heut zutage truͤcket/ und wir uns ſo wohl nach Pauli erinnerung/ Roͤm.
11/ 20. u. f. an ihrem gericht ſpiegeln/ als beten ſollen/ daß der HErr nach ſei-
ner verheiſſung ſich ſeines volcks wieder annehmen/ und den vorigen fluch/
nachdem die zeit des gerichts aus ſeyn wird/ in ſegen verwandeln wolle. A-
men. 1688.

SECTIO
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[14/0030] Das erſte Capitel. voller blaͤtter geweſen/ da vielleicht die andre daherum keine blaͤtter noch nicht gehabt/ indem es erſt zeit geweſen/ daß ſie ausſchluͤgen. Daher etwas ſonderbahres davon zu hoffen geweſt. 2. Daß bey den Juden auch feigen- baͤume geweſen/ dero feigen/ ſo aber der beſten art geweſen/ allererſt in dem dritten jahr/ von einer andern erſt in zwey jahren reiff worden ſind/ daher an denſelben ſtets blaͤtter und feigen ſich zugleich fanden/ oder ſich finden kun- ten/ wes wegen auch dieſer baum noch von dem vorigen jahr blaͤtter hatte. 3. Daß deßwegen/ weil dieſer baum von dem vorigen jahr noch blaͤtter hatte/ vernuͤnfftig vermuthet werden kunte/ daß er noch von demſelben feigen ha- ben wuͤrde/ ob wol an den gemeinen feigenbaͤumen der natur nach noch keine feigen von ſolchem jahr zuvermuthen waren. 4. Jndeſſen findet der HErr keine feigen daran/ und iſt alſo vermuthlich der baum allzeit unfruchtbar ge- weſt/ daher des fluchs wuͤrdig (ſihe Luc. 13/ 7. Hebr. 6/ 8.) wie ihn der HErr auch wuͤrcklich verflucht. 5. Jndeſſen zeigt Chriſtus auch dieſes ſtuͤck ſeiner erniedrigung an/ daß nemlich/ ob er wol der allwiſſende GOtt/ und al- ſo auch ſeiner menſchheit die allwiſſenheit wahrhafftig mit getheilet geweſen war/ er gleich wol um unſert willẽ/ ſich wahrhafftig auch des ſtaͤten gebrauchs derſelben geaͤuſſert/ nach Phil. 2/ 7. daß er dieſesmal nicht gewußt/ daß dieſer feigenbaum keine feigen haͤtte/ ſondern ſie an demſelben aus anſehung der blaͤtter vermuthet/ wie er auch austruͤcklich von ſich ſagt/ daß er auch den tag des gerichts Marc. 13/ v. 32. nicht wuͤßte/ da er dennoch gedachter maſſen die allwiſſenheit empfangen hatte/ aber ſich derſelbigen begeben/ damit weil Adam und Eva nach goͤttlicher gleichheit/ und alſo auch der allwiſſenheit/ mit unrecht geſtanden/ unſer buͤrge hingegen alſo davor buͤſſete/ daß er den gebrauch ſolcher herrlichkeit auch eine weil ablegete/ und ſeinen bruͤdern nicht weniger in dieſer ſchwachheit gleich wuͤrde. Hebr. 2/ 17. 18. 4/ 15. Daher auch ſolche vor uns angenommene unwiſſenheit/ als ein ſtuͤck ſeiner erniedri- gung/ mit zu dem vor uns bezahlten loͤſegeld und troſt gehoͤret/ und von uns mit heiliger verwunderung und danck anzuſehen iſt. Neben dem allen ſtack gleichwol noch ein ſonderbahres geheimnuͤß darin̄en/ daß der feigenbaum das bild waͤre der Juͤdiſchen Kirche/ welche vor allen andern baͤumen ſchoͤne blaͤt- ter hatte/ und billig fruͤchte an ſich haben ſollte: Da aber ſie keine reiffe fruͤch- te trug/ und der HErr dieſelbe mehrmals vergebens an ihr geſucht hatte. Luc. 13/ 6. ſo kommts endlich auff den erſchrecklichen fluch uͤber ſie/ der ſie noch heut zutage truͤcket/ und wir uns ſo wohl nach Pauli erinnerung/ Roͤm. 11/ 20. u. f. an ihrem gericht ſpiegeln/ als beten ſollen/ daß der HErr nach ſei- ner verheiſſung ſich ſeines volcks wieder annehmen/ und den vorigen fluch/ nachdem die zeit des gerichts aus ſeyn wird/ in ſegen verwandeln wolle. A- men. 1688. SECTIO

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/30>, abgerufen am 23.11.2024.