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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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SECTIO LXVI.
innen erkant haben. Was diejenige dinge/ welche noch darinnen desideri-
ret werden/ und ich von jeglichem hertzlich gern seine erinnerungen annehme/
anlangt/ so sind die kennzeichen/ so sich in diesen predigten/ wo ich mich fast
immer von meinem texte muste führen lassen/ wie der mich leitete/ nicht mit
mehrerem ausgeführet finden (wiewol ich davor halte/ daß sie alle kürtzer
werden doch berühret seyn) zimlichen theils in einem andern tractätlein/
von Natur und Gnade/ abgehandelt. Den scrupul aber wegen der
vollkommenheit betreffend/ so habe mich über dieselbe materie vor einem
jahr in einer vorrede über ein tractätlein genannt Dialogus de templo Salo-
monis
erklähret. Jch halte aber davor/ es gehöre die materie der vollkom-
menheit nicht in den articul der wiedergebuhrt/ sondern der erneuerung. Wo
wir die wiedergebuhrt recht eigentlich ansehen/ besteht sie in diesen 3. stücken/
in der entzündung des glaubens/ rechtfertigung samt der annehmung an kin-
des statt/ und schaffung des neuen menschen. Diese also wie und weil sie
auff einmahl geschihet/ hat in gewisser maaß ihre vollkommenheit/ wie die
metaphysici von einer perfectione transcendentali reden/ so nicht viel an-
ders ist/ als die wahrheit einer sache. So ist die entzündung des glaubens
vollkommen/ dann obwol der glaube/ der damals entzündet wird/ hernach
noch viel wachsen muß/ so ist er doch auch gleich in dem ersten augenblick so
fern vollkommen/ daß er alles dasjenige an sich hat/ was eigentlich zu der
wahrheit des glaubens gehöret: die rechtfertigung und annehmung an kin-
des statt ist ohne das an an sich selbs allezeit vollkommen/ dann weil jene be-
stehet in der zurechnung der gerechtigkeit JEsu Christi/ die nie anders als
gantz zugerechnet werden kan/ diese aber auch keine grade hat/ sondern wer
zum kind angenommen ist/ nicht anders als vollkommen ein kind seyn kan/ ob
wol in ein und andern früchten der kindschafft etwas unvollkommenes sich
finden mag/ so findet sich nothwendig allezeit hierinnen eine vollkommenheit.
Also in dem augenblick/ als der neue mensch oder die neue art in uns geschaf-
fen oder gebohren wird/ ist solcher in jenem ersten verstand allezeit in sich voll-
kommen/ gleich wie so bald in mutterleib seel und leib beysammen sind/ solche
frucht in solchem gebrauch des worts vollkommen ist/ ob schon an der formi-
rung/ wachsthum und anderen dergleichen/ noch allzu viel manglet. So
fern ist dann die wiedergebuhrt vollkommen/ und kan in solchem verstand kein
streit darüber seyn. Wann aber/ ob man hier in diesem leben vollkommen
seyn könne oder nicht/ disputiret wird/ gehet solches nicht eigentlich die wie-
dergebuhrt sondern erneuerung (so von der ersten unterschieden/ fast wie die
erhaltung von der schöpffung) an/ und redet man von einer solchen vollkom-
menheit/ dero eine andere unvollkommenheit entgegen gesetzet wird/ und
man aus dieser in jene wachsen muß. Da bekenne ich/ daß ich mit Paulo

Phil.
Q q

SECTIO LXVI.
innen erkant haben. Was diejenige dinge/ welche noch darinnen deſideri-
ret werden/ und ich von jeglichem hertzlich gern ſeine erinnerungen annehme/
anlangt/ ſo ſind die kennzeichen/ ſo ſich in dieſen predigten/ wo ich mich faſt
immer von meinem texte muſte fuͤhren laſſen/ wie der mich leitete/ nicht mit
mehrerem ausgefuͤhret finden (wiewol ich davor halte/ daß ſie alle kuͤrtzer
werden doch beruͤhret ſeyn) zimlichen theils in einem andern tractaͤtlein/
von Natur und Gnade/ abgehandelt. Den ſcrupul aber wegen der
vollkommenheit betreffend/ ſo habe mich uͤber dieſelbe materie vor einem
jahr in einer vorrede uͤber ein tractaͤtlein genannt Dialogus de templo Salo-
monis
erklaͤhret. Jch halte aber davor/ es gehoͤre die materie der vollkom-
menheit nicht in den articul der wiedergebuhrt/ ſondern der erneuerung. Wo
wir die wiedergebuhrt recht eigentlich anſehen/ beſteht ſie in dieſen 3. ſtuͤcken/
in der entzuͤndung des glaubens/ rechtfertigung ſamt der annehmung an kin-
des ſtatt/ und ſchaffung des neuen menſchen. Dieſe alſo wie und weil ſie
auff einmahl geſchihet/ hat in gewiſſer maaß ihre vollkommenheit/ wie die
metaphyſici von einer perfectione tranſcendentali reden/ ſo nicht viel an-
ders iſt/ als die wahrheit einer ſache. So iſt die entzuͤndung des glaubens
vollkommen/ dann obwol der glaube/ der damals entzuͤndet wird/ hernach
noch viel wachſen muß/ ſo iſt er doch auch gleich in dem erſten augenblick ſo
fern vollkommen/ daß er alles dasjenige an ſich hat/ was eigentlich zu der
wahrheit des glaubens gehoͤret: die rechtfertigung und annehmung an kin-
des ſtatt iſt ohne das an an ſich ſelbs allezeit vollkommen/ dann weil jene be-
ſtehet in der zurechnung der gerechtigkeit JEſu Chriſti/ die nie anders als
gantz zugerechnet werden kan/ dieſe aber auch keine grade hat/ ſondern wer
zum kind angenommen iſt/ nicht anders als vollkommen ein kind ſeyn kan/ ob
wol in ein und andern fruͤchten der kindſchafft etwas unvollkommenes ſich
finden mag/ ſo findet ſich nothwendig allezeit hierinnen eine vollkommenheit.
Alſo in dem augenblick/ als der neue menſch oder die neue art in uns geſchaf-
fen oder gebohren wird/ iſt ſolcher in jenem erſten verſtand allezeit in ſich voll-
kommen/ gleich wie ſo bald in mutterleib ſeel und leib beyſammen ſind/ ſolche
frucht in ſolchem gebrauch des worts vollkommen iſt/ ob ſchon an der formi-
rung/ wachsthum und anderen dergleichen/ noch allzu viel manglet. So
fern iſt dann die wiedergebuhrt vollkommen/ und kan in ſolchem verſtand kein
ſtreit daruͤber ſeyn. Wann aber/ ob man hier in dieſem leben vollkommen
ſeyn koͤnne oder nicht/ diſputiret wird/ gehet ſolches nicht eigentlich die wie-
dergebuhrt ſondern erneuerung (ſo von der erſten unterſchieden/ faſt wie die
erhaltung von der ſchoͤpffung) an/ und redet man von einer ſolchen vollkom-
menheit/ dero eine andere unvollkommenheit entgegen geſetzet wird/ und
man aus dieſer in jene wachſen muß. Da bekenne ich/ daß ich mit Paulo

Phil.
Q q
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[305/0321] SECTIO LXVI. innen erkant haben. Was diejenige dinge/ welche noch darinnen deſideri- ret werden/ und ich von jeglichem hertzlich gern ſeine erinnerungen annehme/ anlangt/ ſo ſind die kennzeichen/ ſo ſich in dieſen predigten/ wo ich mich faſt immer von meinem texte muſte fuͤhren laſſen/ wie der mich leitete/ nicht mit mehrerem ausgefuͤhret finden (wiewol ich davor halte/ daß ſie alle kuͤrtzer werden doch beruͤhret ſeyn) zimlichen theils in einem andern tractaͤtlein/ von Natur und Gnade/ abgehandelt. Den ſcrupul aber wegen der vollkommenheit betreffend/ ſo habe mich uͤber dieſelbe materie vor einem jahr in einer vorrede uͤber ein tractaͤtlein genannt Dialogus de templo Salo- monis erklaͤhret. Jch halte aber davor/ es gehoͤre die materie der vollkom- menheit nicht in den articul der wiedergebuhrt/ ſondern der erneuerung. Wo wir die wiedergebuhrt recht eigentlich anſehen/ beſteht ſie in dieſen 3. ſtuͤcken/ in der entzuͤndung des glaubens/ rechtfertigung ſamt der annehmung an kin- des ſtatt/ und ſchaffung des neuen menſchen. Dieſe alſo wie und weil ſie auff einmahl geſchihet/ hat in gewiſſer maaß ihre vollkommenheit/ wie die metaphyſici von einer perfectione tranſcendentali reden/ ſo nicht viel an- ders iſt/ als die wahrheit einer ſache. So iſt die entzuͤndung des glaubens vollkommen/ dann obwol der glaube/ der damals entzuͤndet wird/ hernach noch viel wachſen muß/ ſo iſt er doch auch gleich in dem erſten augenblick ſo fern vollkommen/ daß er alles dasjenige an ſich hat/ was eigentlich zu der wahrheit des glaubens gehoͤret: die rechtfertigung und annehmung an kin- des ſtatt iſt ohne das an an ſich ſelbs allezeit vollkommen/ dann weil jene be- ſtehet in der zurechnung der gerechtigkeit JEſu Chriſti/ die nie anders als gantz zugerechnet werden kan/ dieſe aber auch keine grade hat/ ſondern wer zum kind angenommen iſt/ nicht anders als vollkommen ein kind ſeyn kan/ ob wol in ein und andern fruͤchten der kindſchafft etwas unvollkommenes ſich finden mag/ ſo findet ſich nothwendig allezeit hierinnen eine vollkommenheit. Alſo in dem augenblick/ als der neue menſch oder die neue art in uns geſchaf- fen oder gebohren wird/ iſt ſolcher in jenem erſten verſtand allezeit in ſich voll- kommen/ gleich wie ſo bald in mutterleib ſeel und leib beyſammen ſind/ ſolche frucht in ſolchem gebrauch des worts vollkommen iſt/ ob ſchon an der formi- rung/ wachsthum und anderen dergleichen/ noch allzu viel manglet. So fern iſt dann die wiedergebuhrt vollkommen/ und kan in ſolchem verſtand kein ſtreit daruͤber ſeyn. Wann aber/ ob man hier in dieſem leben vollkommen ſeyn koͤnne oder nicht/ diſputiret wird/ gehet ſolches nicht eigentlich die wie- dergebuhrt ſondern erneuerung (ſo von der erſten unterſchieden/ faſt wie die erhaltung von der ſchoͤpffung) an/ und redet man von einer ſolchen vollkom- menheit/ dero eine andere unvollkommenheit entgegen geſetzet wird/ und man aus dieſer in jene wachſen muß. Da bekenne ich/ daß ich mit Paulo Phil. Q q

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/321>, abgerufen am 25.11.2024.